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Abenteuer Kirgistan

Kirgistan

Gelangweilt schleppt sich der graue Köter von dem Immigration-Häuschen hinüber zur Toilette, dann lässt er sich wieder plumpsen. Viel passiert hier oben nicht – zwischen Tadschikistan und Kirgistan. Längst haben wir uns ausgestempelt – sitzen nun im Niemandsland auf 4000 m Höhe. Der Kopf drückt, Müdigkeit macht sich breit. Und die Frage, warum wir heute Morgen so früh los mussten und an dem herrlich leuchtenden Karakulsee vorbeirauschten, anstatt für ein Foto zu stoppen. Nach zwei Stunden Warten kommt ein Bus vorbeigefahren. Amerikanische Touristen steigen aus und wechseln in unseren Geländewagen.

Am härteste Grenzposten der Welt

Endlich kann es losgehen – 20 km bzw. eine Stunde fahren wir auf ruckeliger Piste, spüren jeden harten Aufschlag und jede Vibration. Dann verlassen wir das Stück Erde, für das sich niemand verantwortlich fühlt – auch nicht hinsichtlich des Straßenbaus – und stempeln uns an einer der härtesten kontrollierten Grenzen der Welt ein. Kirgistan liegt auf der Drogenschmuggelroute und so wird das Fahrzeug gut durchsucht. Uns hingegen traut man weniger kriminelle Energie zu. Nur beim Fotografierverbot bleiben die Grenzbeamten hart. Nach einer halben Stunde werden wir nach Kirgistan entlassen – auf eine Straße, die die weiten Grasebenen durchschneidet. Pferde, Kühe, Yaks, Schafe, Ziegen ziehen hinter der Fensterscheibe an uns vorbei. Hin und wieder ziert die Landschaft eine einzelne Jurte.

Nun sind wir in Kirgistan, haben Hunger und keine richtige Währung. Der Dorfkonsum, den wir im verlassenen Ort Sarymogol aufsuchen, kann mit einer breiten Auswahl an Bonbons und anderen Süßigkeiten dienen, aber Geld wechseln tut die Verkäuferin nicht. Also erbarmt sich unser Guide Ulan.

Pik Lenin und die versteckten Gipfel

Wir lassen den Ort mit seinen braunen Lehmhäusern, die blaue Fernster- und Türrahmen schmücken, hinter uns. Bei Kashka-Suu verlassen wir die sehr gute Straße. Normalerweise würden sich nun vor uns die 6000er und 7000er auftun. Doch an diesem diesigen Tag bleibt uns nur die Maulwurfshügellandschaft zu bewundern. Nach einer weiteren Stunde erreichen wir das Basislager des Pik Lenin. Es regnet inzwischen, von einer schneebedeckten Bergkulisse ist keine Spur zu sehen. Ein paar Zelte stehen im farblosen, nassen Rasen. Hier will man noch nicht einmal eine Nacht bleiben, die Bergsteiger bleiben jedoch manchmal mehrere Tage oder Wochen – nicht nur im Basislager, sondern auch in einem der anderen zwei Lager auf dem Weg zum Gipfel. Wer den Pik Lenin in drei Wochen nicht geschafft hat, kehrt zurück, berichtet Ulan. Für uns gibt es im Regen nicht viel zu tun, also fahren wir wieder zurück. Zwei weitere Stunden holpern wir durch die Grashügellandschaft querfeldein. Dann erreichen wir das Camp Tulparköl Yurt Stay.
Es wäre so schön, würde die Sonne scheinen, doch inzwischen haben sich Kälte und Nässe durch alle Kleidungsschichten durchgearbeitet. Unsere Jurte ist bereits an eine polnische Gruppe vergeben – Alternativen gibt es keine. Als wir vom Abendessen aus einer anderen feuchtkalten Jurte zurückkehren, ist die polnische Gruppe fort. Wochenlang habe ich mich gefreut auf diesen speziellen Jurtenmoment. Was war es gemütlich in der Mongolei, wenn abends das Feuer gezündet wurde. Doch hier verpufft die Wärme durch die Löcher und Ritzen. Zum Nachlegen gibt es kein Holz. So greift der Geheimtipp – die Frau des Hauses legt unsere Matten kuschelig eng auf den Boden. Fahrer und Guide links, unsere rechts. Die Körperwärme wird es richten. Tut sie jedoch nicht so ganz. Leider kommuniziert auch Ulan recht wenig, ist nicht da, wo uns Fragen unter den Nägeln brennen. Unser Fahrer hingegen ist immer da – auch nachts. Er spricht nur Russisch, schnarcht lautstark und lächelt den Rest auf brummelige Art und Weise weg.

Auf dem Pamir Highway

Am nächsten Tag geht es frühmorgens weiter. Im Regen verlassen wir die Transalai-Kette im nördlichen Teil des Pamir, ohne auch nur einmal den Pik Lenin gesehen zu haben. Nach den vielen Hochs in Tadschikistan bekommen wir einen Blues. Die Stimmung ist angeschlagen. In Sarymogol verabschiedet sich unser Guide. Wir schlängeln uns die Serpentinen hinauf über den 3615 m hohen Taldyk-Pass. Eine zarte, grüne Schicht aus Grasbüscheln überzieht das grau-braune Felsgestein des Alai-Gebirges. Wir fahren immer weiter am Gulcha-Fluss entlang. Irgendwann geht das Braun in Rotbraun über. Wolken hüllen die Gipfel ein. Die Menschen am Straßenrand leben in Jurten, Bauwagen oder Zelten. Männer tragen die traditionellen Filzhüte, Frauen Kopftuch. Zunehmend passieren wir Ortschaften mit Steinhäusern und Wellblechdach. Kinder verkaufen aus kleinen Eimern Aprikosen und Milch am Straßenrand.

Als wir mittags den 1200 m hohen Ort Gulcha erreichen, zeigt sich die Sonne, sie gibt der kirgisischen Stadt ein freundliches Gesicht. Hier bilden drei Flüsse den Kurshab Fluss. Doch sonst ist es nicht viel, was den Ort ausmacht. Eine Statue, ein Museum und ein wunderschöner Restaurantgarten. Auch hier speist man wieder auf erhöhten, überdachten Podesten auf den Knien oder im Schneidersitz. Es wird üppig aufgetischt. Aus den Lautsprecherboxen, die in den Bäumen hängen, schallt Musik.

Zu Besuch bei Familie Bekish

Hinter Gulcha biegen wir in einen Weg ein, der sich sanft in die Berglandschaft einfügt. Jurten malen kleine beige-weiße Akzente in die grüne Landschaft. Auch wir wollen heute in einer Jurte nächtigen. Unser Guide weiß, welche Familien Gäste beherbergen. Und so fahren wir gezielt Saryoi an, wo die Familie Bekish in den Sommermonaten lebt. Es ist eine Traumkulisse, die wir hier vorfinden. Ein Fluss rauscht, satte Wiesen leuchten dem Himmel entgegen und die Gipfel tun ihr übriges. Kein Nachbar, der den Blick versperrt. Und doch ist das Leben hart. Wo wir Ruhe und zu uns finden, muss Aipery, die Frau des Hauses, fast allein tagein, tagaus schuften. Die Familie hat fünf Kühe, fünf Pferde, Hühner und Schafe. Ihr Mann ist auf Ernteeinsätzen in den Bergen. Sie lebt ab Mitte Mai für drei Monate allein mit ihrem Schwiegervater und ihren vier Mädchen im Sommercamp. Das jüngste Kind ist gerade einmal acht Monate alt, die älteste Tochter zehn Jahre. Eines der Kinder ist erkältet. Aipery bittet uns zaghaft um Medikamente.

Wir sind zwei Tage Teil der Familie, die ihre Jurte für uns räumt und in die zugige „Küchen-Jurte“ umzieht. Tagsüber ruhen die Decken für das Nachtlager hinter einem Vorhang in der Jurte. Nur Kissen und Tischchen dienen als Mobiliar. Von der Decke baumeln Aufbewahrungsregale an Seilen herunter. Man sieht den gesamten Besitz der Familie auf einem Blick, betritt man die Jurte. Mit einem heißen Tee, Brot und selbstgemachter Butter in der Hand schauen wir aus der Jurtenöffnung, die tagsüber geöffnet bleibt. Es ist ein Heidi-Panorama mit Bergen und Kühen auf den Weiden. Abends schauen wir Aipery beim Melken und Butterschlagen zu und dürfen auch selbst einmal ran. Das Schlagen der Sahne verlangt viel Muskelkraft. Erschöpft vom Nichtstun und viel frischer Luft gehen wir früh zu Bett. Wieder richten sich unser Guide und Fahrer auf der linken Seite der Jurte ein, die den Männern vorbehalten ist, während wir uns auf der rechten Seite der Jurte niederlassen. Es ist zugig, durch jede Ritze der Jurte dringt die Kälte nach Innen. Ich ziehe alles an, was ich dabei habe und doch ist alles nicht genug.

Wandern im Alai Gebirge

Am nächsten Tag wollen wir die Bergwelt zu Fuß erkunden und planen eine Wanderung. Da dunkle Wolken bereits über den Gipfeln liegen, dampfen wir die eigentliche Route etwas ein. Wir wandern vier Stunden immer am Fluß Jylnu Suu entlang zum Berg Asan Korgon. Es ist kein schwieriger Aufstieg, sondern eine leichte Wanderung. Nur etwas unklar ist der Weg. Unser Guide ist der Meinung, alle Wege führen nach Rom – und so überqueren wir den Fluß, um dann wieder festzustellen, dass wir doch auf der falschen Seite sind. Schnell wird die Wasserflasche mit frischem Wasser aufgefüllt. Meine Schuhe sind längst durchnässt, als wir durch stacheliges Gebüsch unseren Weg schlagen. Aber das ist wohl Teil des Abenteuers Kirgistan.

 

Meine Reise wurde unterstützt durch die PECTA in Zusammenarbeit AKF/MSDSP Kyrgyzstan and Tajikistan, GIZ Tajikistan, KCBTOrom TravelTcellMATT und Kyrgyz Concept.
Alle Ansichten sind meine eigenen. 

4 Kommentare

  1. Liebe Mad

    Oh… unglaublich faszinierend und wiedermal superspannend geschrieben. Kann es kaum erwarten, die Stan Länder selbst zu bereisen. In rund 2 Jahren ist’s aber dann endlich soweit. Juhuuu… 😀

    Liebe Grüsss,
    Reni

    • Ganz lieben Dank, Reni. Lange hat’s gedauert, bis ich endlich meine Eindrücke aus Kirgistan in die Tastatur tippen konnte. Ich in ziemlich angefixt von den STAN-Ländern und es sollen sicherlich auch bei mir noch einige folgen. Welches STAN-Land steht denn bei Dir hoch im Kurs?

  2. Das ist so schön mal von einem Land zu lesen, von dem einem nicht ständig erzählt wird. Das finde ich toll und wünsche mir, dass ich durch Blogs noch weitere besonderen Orte entdecke :)
    Danke für diesen Beitrag und ganz liebe Grüße aus Rodeneck.

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