Ping, pong, ping, pong… Gleichmäßig dringt der Ton vom Tennisplatz durch die hauchdünne Scheibe unserer Wohnung. Anfahrende Autos mischen sich unter dieses Geräusch. Es ist das letzte Mal, denke ich. Vielleicht bleibe ich deshalb einfach liegen, als der Wecker um 6.30 Uhr klingelt. Die Wohnung ist laut, sehr laut – Lateinamerika eben, sagte mir mein Spanischlehrer. Meine ruheverwöhnten Ohren brauchten tatsächlich ein paar Tage, um sich wieder daran zu gewöhnen. Doch jetzt zieht sich ein wenig mein Herz zusammen, denn ich weiss, morgen bin ich irgendwo auf der Strecke – zwischen Ecuador und Kolumbien. Ich verlasse mein warmes Nest, das ich im letzten Monat mein Zuhause nennen durfte und tausche es gegen Busse, Flugzeuge und Hotels ein. Ich beginne wieder zu reisen, genau in dem Moment, in dem ich angekommen bin, ein Stück Alltag aufgenommen habe.
Unsere Zeit in Quito war tatsächlich gut getaktet: Früh aufstehen, um bis 13 – 14 Uhr zu arbeiten, dann rein in die Stadt und dann abends wieder arbeiten und schnell mal im Megamaxi und Quicentro einkaufen. Dazwischen kamen Spanischstunden in der Sprachschule Simon Bolivar in Mariscal, Laufen im Parque Carolina, Spaziergänge im Parque Metropolitano oder einfach mal ein paar Runden Drehen im Swimming Pool.
Das klingt unspektakulär, das klingt normal – und irgendwie war es das auch. In der ersten Woche hatten wir Probleme mit unserem Appartement, also noch mal umziehen. Dazu kam, dass wir täglich bis mittags in der Sprachschule saßen und den Stress unterschätzten. Nach unserem kurzen Wochenendaufenthalt in der Hacienda Rumiloma am Hang des Pichinchas groovten wir uns in der zweiten Woche ein wenig ein. Ich verzog mich mit meiner Arbeit ein paar Stunden auf die Dachterrasse unseres neunstöckigen Wohnhauses mit dem schönen Namen Lycaste, um dem Lärm im Erdgeschoss zu entgehen.
Nun lag unsere Wohnung weiter im Norden, und somit waren wir auf Trole und Taxi angewiesen. Dabei stellten wir fest, dass der Trole zwar mit 0,25 USD billig ist, aber nur dann Spaß macht, wenn nicht gerade Rush Hour ist. Die ist aber so gut wie ganztägig – der Kampf zur Tür musste dann immer schon 3 Stationen vorher aufgenommen werden. Wir stellten fest, dass auch ein paar Taxifahrer richtige Gauner waren, so wie wohl überall. In der ersten Woche freuten wir uns noch über Preise von 5-7 USD, um in der nächste Woche herauszufinden, dass die gleichen Fahrten mit Taxameter nur 2 USD kosten. Manchmal verließen wir ein Taxi, weil der Fahrer wieder nicht das Taxameter anstellen wollte.
Nachdem wir am Ende der zweiten Woche von unserem Kurztrip an den Rio Napo (in der Lodge Cotococha) nach Quito zurückkehrten, überkam mich ein wenig der Blues. Es wartete neben meiner normalen Arbeit noch einige Arbeit für Projekte wie unser neues Buch. Wo verdammt noch mal war die Sonne geblieben? Die Kälte Quitos wurde für mich unerträglich. Ich mummelte mich beim Arbeiten in mehrere Decken ein und schaute immer wieder sehnsüchtig auf meine ungetragenen Röcke und Tops im Kleiderschrank. Dazu kam noch, dass ich zum ersten Mal an Problemen mit der Höhe litt, bei jedem Schritt hechelte und Kopfweh hatte. Wie schnell mich doch die drei Tage im Urwald ausgeknockt hatten? Zudem musste noch all das nachgeholt werden, was wir bisher in Quito nicht geschafft hatten: den Präsidenten Rafael Correa bei seiner wöchentlichen Ansprache vom Balkon des Präsidentenpalasts lauschen, durch die farbenfrohen Gassen von Guápulo streunern und dem Markttreiben Quitos zuschauen, wie in Saquisili.
Am Karnevalswochenende flogen wir nach Cuenca in den Süden. Ich erwartete als Faschingsmuffel das Schlimmste und wurde positiv überrascht. Mehr als ein bisschen Wasser spritzten sie hier nicht herum – anders als in Bolivien, wo alles auf einen drauf geworfen wurde. Mir war es schon fast zu wenig Aktion in der schönsten Stadt Ecuadors, denn noch nicht mal farbenfreudige Umzüge gab es. Daher folgten wir wieder unserer Sehnsucht nach Natur und machten noch einen Abstecher in den Nationalpark El Cajas. Zurück in Quito am Sonntagabend stand auch hier alles still. Wo war die Autokolonne, die sich sonst durch unsere Straße (Eloy Alfaro) von 5 bis 24 Uhr lärmend zog?
Stattdessen sitzen die Quiteños, die ihre arbeitsfreien Tage nicht am Meer oder sonstwo verbringen, vergnügt im Park und spielen Ecuavolley, Fußball, Basketball oder Grillen. Und es ist genau der Moment, in dem wir gestern durch den Parque Metropolitano spazieren, auf die Stadt niederschauen und sagen, irgendwie schon wie Berlin, nur nicht mit dieser verdammt guten Lage!
Nachdem die Rucksäcke gepackt sind, schaue ich noch einmal minutenlang aus unserem Wohnzimmerfenster, taste mit meinen Augen die Konturen der Nordstadt ab. Mein Blick schwenkt über das Estadio Olímpico Atahualpa über die blinkenden Schautafeln des Quicentro hinüber zum gegenüberliegenden Hang. Hier zieht sich eine Lichterkette in der Dunkelheit den Bergrücken hinauf. Irgendwo bildet diese einen leuchtenden Rand. Ein paar Hundert Meter höher blinkt etwas vermeintlich im Himmel. Kurz muss ich überlegen, warum der Flieger so still hält. Doch dann fällt mir wieder ein, dass da oben im Himmel die Bergspitzen liegen, auf denen sich Sendemäste befinden. Und als hätte ich darauf gewartet, erhellen Feuerwerkskörper den Himmel über dem Parque Carolina.
Quito ist die Stadt, in der die Berge den Himmel küssen. An manchen Tagen verschwindet die Stadt gar im Himmel. Wolken legen sich dann an die Hänge und schieben sanft die Nebelschwaden durch die Straßen. Quito ist ein bisschen wie San Francisco, sagte ein junger US-Amerikaner – mit einer Anspielung auf das Auf und Ab der Straßen, das einem eine gute Kondition abverlangt. Quito hat kein Wasser, aber immerhin Berge, viele sogar. Manchmal ist die Stadt auch ein Moloch, aber ein charmanter Moloch, der mir ans Herz gewachsen ist.
Gestern fragte uns der Sicherheitsmann unseres Hochhauses, ob wir jetzt Freunde seien. Als wir antworteten, dass unsere Freundschaft aber nur noch für zwei Tage hier vor Ort Bestand haben würde, sah ich seine Enttäuschung. Als wir vor ein paar Tagen im Kaffeeladen um die Ecke eine Bonuskarte in die Hand gedrückt bekamen, machte sich ein kleines Gefühl des Ankommens breit. Man kennt uns jetzt.
Wie wird es sein, wenn wir morgenfrüh die Haustür hinter uns schließen, mit dem Taxi zum Nordbahnhof fahren, von dort den Bus zur kolumbianischen Grenze nehmen und Quito einfach hinter uns lassen? Zurück bleibt wieder eine Geschichte vom Kommen und Gehen, ein aufregender kurzer Lebensabschnitt und ein komisches Gefühl mit der Frage, wann werde ich Dich wiedersehen?
PS: Auf dem Weg an die Karibikküste Kolumbiens, erfüllten wir uns einen langgehegten Traum. Es handelt sich dabei um eine Kirche im Departmento Nariño im Süden Kolumbiens, kaum zu glauben. Aber die Santuario de las Lajas ist einfach wunderschön gelegen und hat eine besondere Strahlkraft.
- Gerade der vielen Arbeit ist es geschuldet, dass ich so wenig über unsere Zeit hier gebloggt habe. Alles Wissenswertes findet Ihr aber in unserem kostenlosen Stadtführer Quito, den Ihr hier als Download bestellen könnt.
- Alle Beiträge zu Ecuador in einer Übersicht.
Oh, immer wenn ich Spanischunterricht lese, muss ich daran denken, dass ich vor zwanzig Jahren auch mal zwei Jahre Spanisch gelernt habe und eigentlich NICHTS davon hängen geblieben ist. Eigentlich eine Schande. (Von den sechs Jahren Russisch will ich jetzt mal gar nicht reden…) Wie hat das bei Euch geklappt mit der Sprachschule? Vielleicht sollte ich das auch mal in Angriff nehmen, meine rudimentären Kenntnisse in einem spanischsprachigen Land wieder aufzufrischen… Viele Grüße, Beatrice