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Ein Sonntagsausflug {DIARY}

Tigre

Der zweite Tag des Jahres ist angebrochen. Heute bin ich fest entschlossen, der Großstadt zu entkommen, und so soll es mit dem Zug nach Tigre gehen. Viele gehetzte Großstädter scheint die gleiche Idee überkommen zu haben, so finden wir uns in einer langen Ticketschlange nach Tigre wieder. Wenigstens der Zug soll gleich kommen, als wir den Bahnsteig betreten. Doch auch das wäre zu einfach. Wir sind doch schließlich in Südamerika, wenngleich im fortschrittlicheren Teil. Aber eine halbstündige Zugverspätung ist Pflicht. So füllt sich der Bahnsteig im null Komma nichts und der Run um die wenigen Sitzplätze ist vorprogrammiert. So drängelt sich ein Hüne von Israeli vor und wird von einem Argentinier nur auf sein Verstoß hingewiesen, da rastet der Israeli aus und geht auf den Argentiner los, als hätte ein Palästinenser seine Mutter beleidigt. Auch ich muss mir meinen Platz erkämpfen, aber auf harmlosere Weise. Schließlich teile ich mir die Vierersitzgruppe mit einer sechsköpfigen Familie und erhalte als Friedensangebot einen Mate gereicht. Die Bahn füllt sich von Station zu Station mehr und so wird die Luft so dünn, dass ein Mädchen sogar in Ohnmacht fällt. Auch mir erscheint diese Stunde sehr lang.

In Tigre angekommen, pilgert die Masse vom Bahnhof zum Hafen. Wir müssen nur folgen. Irgendwie haben wir auch gar keine Vorstellung von dem, was wir hier genau machen wollen. Wir wollen das Tigre Delta sehen, ja, aber was genau, weiss ich auch nicht. Das erschwert den Ticketkauf ungemein. Schliesslich zahle ich für etwas, von dem ich nicht weiss, wohin es mich führt. Ein Überraschungspaket, könnte man sagen.

Als wir das Boot besteigen, werde ich nach meinem Ziel gefragt. Wenn ich das doch wüsste. Ich dachte, alle steuern dasselbe an. Dann sagt mir der Bootsmann etwas mit Bocas. Ok, dann fahre ich eben nach Bocas. Der Tigre Fluss scheint sich zum reinsten Vergnügungspark zu entwickeln. Ich sehe Idylle, ja, aber nur ganz weit entfernt an ruhigen Wintertagen, wenn sich kaum ein Porteño hierher verirrt. Im Sommer hingegen scheinen die wohlhabenden und gut verdienenden Großstädter ihre Spielwiese gefunden zu haben und toben sich im Delta aus. Naturschutz scheint ein Fremdwort. Was schützenswert ist, sind nur die Flausen der Zahlenden. So surren die Motoren von Wasserski, Motorbooten und Ausflugsschiffen. Kleine Ruderboote kämpfen gegen deren Wellen ebenso an wie die Natur. Dieser Sonntagsausflug fordert einiges ab. Viel Vorstellungskraft. Man muss seine Sinne abschalten, nicht hören, nicht sehen. Dann kann es klappen. Einfach nur in sich hineinschauen, die eigene Imagination walten lassen. Häuschen an Häuschen reihen sich am Ufer entlang – jedes mit Steg, Boot, Badestelle, Hängematte, Grillplatz – das muss idyllisch sein. Wie ein bewohnter Spreewald, der heute einem Vergnügungspark gleicht. In Tres Bocas gehen wir von Bord und erleben doch noch für einen Augenblick die Ruhe, die Natur, die Idylle. Hier kann man wohnen, aber eben nicht dann, wenn Großstädter hier Ferien machen.

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