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Eine Radtour um den Tollensesee

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Ein bisschen Eiszeitgefühl überkommt mich an diesem Ostersonntag. Wir haben uns die Räder geschnappt, um ein Stück auf der Eiszeitroute zwischen Feldberg und der Vier Tore Stadt Neubrandenburg entlang zu radeln. Eine Radtour um den Tollensesee. Der kalte Wind weht mir harsch entgegen, als ich wieder mit strammem Tritt mal steile, mal leichtere Hügel der Moränenlandschaft passiere, die den ca. 10 km langen und 2,5 km breiten Tollensesee und die angeschlossene 3 km lange und 2,5 km breite Lieps sanft umschließen.

Schlösser von Hohenzieritz und Prillwitz

Bevor wir uns auf die Räder schwingen, halten wir noch einmal in der 500 Seelen-Gemeinde Hohenzieritz, ein kleiner Ort im Schatten eines Schlosses. Die Königin des Hohenzollernhauses, Luise von Preußen, starb hier 1810. Ihr Vater Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz ließ das cremeweiße Schloss als Sommerresidenz erbauen, in dem heute das Nationalparkamt sitzt. Und auch das Sterbezimmer von Luise mit dem Sarkophag kann nun besichtigt werden. Wir widmen uns aufgrund der wenigen Zeit nicht dem Inneren des Schlosses, sondern dem umgebenden Schlosspark, den Luises Vater ab 1771 als ersten Landschaftsgarten nach englischem Vorbild in Norddeutschland anlegen ließ. Beim Schlendern auf dem originalen Wegenetz hat man einen schönen Blick auf die leicht gewellte Landschaft, aus der die ersten Frühblüher zaghaft hervorsprießen. Neben dem Schloss liegt der kleine Luisentempel – ein kleiner Akzent in dem Park, der am Rande einer Endmoräne liegt.

Wir fahren weiter zu dem nächsten Schloss, dem Jagdschloss Prillwitz, das direkt am Ufer der Lieps liegt. Hier starten wir unsere Radtour, die uns ca. 35 km um die Seenlandschaft südlich Neubrandenburgs führt. Zunächst fahren wir ein kurzes Stück noch auf einem Asphaltweg entlang, der schnell in einen Wald- und Plattenweg mündet. Schnell verschwindet das Eiszeitgefühl an den ersten Anstiegen, die zwischen den Wiesen und in den Wäldern ein bisschen Leistung abverlangen.

Alt Rehse und seine besondere bauliche Gestaltung

Dann erreichen wir den Ort Alt Rehse – eines der schönsten Dörfer 1995 des Landes Mecklenburg-Vorpommerns. Hier tragen die niederdeutsch wirkenden Fachwerkhäuser mit Schilfrohrdächern aus dem Jahr 1939 Namen wie Baden oder Sachsen-Anhalt – als Erinnerung an die deutschen Gaue in ihrer Entstehungszeit im Nationalsozialismus. Kaum einer, der hier nicht fasziniert den Fotoapparat zückt – ist die bauliche Gestaltung von Alt Rehse doch ein seltenes Beispiel von dörflicher Architektur im Nationalsozialismus, an die man ungern erinnert wird, während auf dem Spielplatz gegenüber vom Dorfweiher und der Kirche Kinder an diesem sonnigen Nachmittag spielen. Am Ortsausgang passiert die Dorfstraße ein lustiges Haus – das einen weiteren Blickfang bietet. Bemalungen und Banner deuten hier auf ein interessantes Experiment hin – Selbstversorgung und Gemeinwohlökonomie und ein Bedingungsloses Grundeinkommen haben sich die ehemaligen Bewohner des Projekts „Tollense Lebenspark“ auf die Fahne geschrieben, wo sich einst der Alte Gutshof befand. Was sich hier aktuell abspielt, bleibt uns verborgen – ich las etwas von Rückabwicklung und Zwangsversteigerung im vergangenen Jahr. Doch ein bemaltes parkendes Auto weist noch auf Bewohner hin.

Durch die Wälder am Uferweg des Tollensesee nach Neubrandenburg

Hinter dem Haus führt uns die Straße in Richtung Tollensesee. Endlich radeln wir immer direkt am Wasser entlang. Buschwindröschen werden im sanften Licht der Sonne zwischen den Baumstämmen der Laubwälder angestrahlt. Im Wasser liegt das abgestorbene Schilf in kleinen Stücken, die sich zu Schilfteppichen verbinden. Am einzigen Camingplatz am Tollensesee, dem Gatsch Eck, gibt es einen kleinen Imbiss. Wir rasten jedoch kurz am Strand von Buchort, an dem Badegäste im Sommer ihre Hüllen fallen lassen, denn hier ist FKK angesagt. Im folgenden Stück begegnen einem immer wieder Spaziergänger, die den Brodaer Forst zu Fuß erkunden. Besonders viele haben sich in Belvedere auf dem Hügel über dem steilen Ufer eingefunden, um hier die Aussicht über die Landschaft zu genießen. An dieser Stelle ließ Großherzogin Marie von Mecklenburg-Strelitz einst ein Ausflugshäuschen erbauen. Unterhalb dieses Hügels liegt die Badestelle von Broda. Von hier ist es nur noch ein Katzensprung in das Zentrum von Neubrandenburg. Nach einer Stunde auf dem Rad sind wir an unserem Zwischenziel angekommen und trinken einen Kaffee im Kornhus Neubrandenburg. Dass Neubrandenburg einmal sehr schön war, kann man nur noch an manchen Stellen erahnen. Von der Roten Armee zum großen Teil zerstört, blieben nur noch die mittelalterliche Wehranlage mit Stadtmauer, die berühmten vier gotischen Stadttore und einige rekonstruierte Wiekhäuser, die ehemalige Klosteranlage, die einstige Hauptpfarrkirche St. Marien, das Schauspielhaus und ein paar Wohnhäuser als Zeitzeugen des einstigen Stadtbilds erhalten.

Das Steilufer um Klein Nemerow mit dem Chimborazo

Nach einer Kaffeepause setzen wir unsere Radtour fort und passieren den Park um das Augustabad. Hier gehen verschiedene Nordic Walking-Strecken in den Wald des Nemerower Holzes, die Behms Höhe mit Aussichtsturm lassen wir links liegen. Der landschaftlich schöne Teil mit seinem Steilufer führt uns nach Klein Nemerow, wo wir den Uferweg verlassen. Zuvor irritiert uns ein Schild mit der Aufschrift Chimborazo. Dieser 50 m hohe „Berg“ wurde im 19. Jahrhundert dem deutschen Naturforscher Humboldt gewidmet. Natürlich müssen wir diese Herausforderung annehmen, und den deutschen Chimborazo gleich einmal „besteigen“. Wo man in Ecuador ohne Steigeisen und Eisaxt nicht weit kommt, joggen wir hier flink hinauf. In Klein Nemerow spürt man die Nähe zur Burg Stargard. Gleich am Strand steht die Ruine der Klosterscheune der ehemaligen Komturei Nemerow aus dem 13. Jahrhundert.

Am Südufer der Lieps

Das letzte Stück nach Usadel ist noch einmal eine kleine Herausforderung. Einige Anstiege sind zu überwinden. In dem Hotel Bornmühle bereiteten wir uns letztes Jahr in der Höhenkammer auf unsere Cotopaxi-Besteigung vor. Hier kann man mit schönem Ausblick noch einen Kaffee trinken. Wir aber radeln weiter zwischen den Wiesen des Golfplatzes entlang. Am Ortseingang von Usadel biegen wir rechts Richtung Lieps ab, um das Südufer zu umrunden. Nun haben wir auf der gegenüberliegenden Seite das Schloss Prillwitz vor Augen. Besonders schön ist der Blick von der Aussichtsplattform Gnagelberg. 

Der Radweg führt an kleinen Bächen und Feuchtwiesen vorbei. Immer wieder lädt eine Bank zum Verweilen ein. Nach 2,5 Stunden Fahrtzeit erreichen wir unseren Ausgangspunkt vor dem Tor des Jagdschlosses Prillwitz, das im Naturschutzgebiet Nonnenhof liegt. Geweihe zieren das Anwesen. Wir vertreten noch einmal unsere Beine in der kleinen Parkanlage am See und laufen zum Bootsanleger. Ca. 250 m entfernt liegt inmitten des Sees die kleine unbewohnte Insel Kietzwerder. Wo bei archäologischen Grabungen Keramikreste gefunden wurden, die auf eine vorslawische Besiedlung hinweisen, flattern heute nur noch Kormorane. Hier wird auch das nicht lokalisierbare Rethra vermutet, ein slawisches Zentralheiligtum in Nordostdeutschland. Wir können nur ahnen, welches Geheimnis sich unter der Wasseroberfläche verbirgt. Doch das Geheimnis einer schönen Radtour ist nun gelüftet.

Was man noch wissen sollte:

  • Streckenlänge: ca. 35 km; mit Neubrandenburg ca. 38 km
  • Terrain: durch die eiszeitlich geprägte Landschaft doch streckenweise recht hügelig – besonders eher im Süden der Strecke
  • Straßenbelag: vorwiegend Waldweg, Teile auch holpriger Plattenweg und Asphalt
  • Geplante Zeit: ca. 2,5-3 Stunden mit vielen Pausen

5 Kommentare

  1. Wie schön *.* man denkt immer, man müsste weit weg, so wie ich -.- habe den Kalterer See besucht und das war auch sehr sehr schön, aber es gibt auch tolle Orte in DE, danke für deinen Artikel und einen lieben Gruß

  2. Wooowww faszinierend schön :). Möchte das auf jeden Fall live erleben. Danke für den Beitrag. Gruß aus Hotel Meran

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