Immer wieder streckt er seinen Kopf in die Höhe. Mein Pass scheint nebensächlich zu sein. Bitte einmal in die Kamera lächeln, doch wo befindet die sich eigentlich? Ich solle ihm einfach ein Lächeln schenken. Ohnehin habe ich doch einen so schönen Namen. Die Schlange hinter mir ist lang, doch der Immigration Officer im Glaskasten hat sich wohl eine besondere Freundlichkeit deutschen Damen gegenüber auf die Fahne geschrieben. Und so setzt er in Zeitlupe seinen Stempel in meinen Pass und überreicht mir diesen mit einem Augenzwinkern. Schnell suche ich die Toilette auf, wo sich eine aserbaidschanische Mutti mit Kopftuch mit einem zwanzigteiligen Teeservice über alle Waschbecken ausgebreitet hat und dieses gemütlich abwäscht und trocknet. Nur noch meinen Rucksack schnappen und diese Schiebetür durchschreiten, dann bin ich da – in Aserbaidschan. Ich schiebe meine Welt beiseite und tauche wieder in eine neue ein. Mein Auge wird die nächsten Minuten trotz enormer Müdigkeit nicht ruhen. Mein Gehirn wird Schablonen herauskramen, nur um diese wieder zu verwerfen, denn für das, was mich erwartet, gibt es noch keine Schablone.
Ich habe noch immer den heiligen Koran aus dem Unterhaltungsprogramm des Fliegers in den Ohren, als wir nachts um 2.30 Uhr vom Flughafen zum Hotel fahren. 20 Minuten, in denen ich in eine andere Welt abtauche. Überall Mauern – schöne Mauern, verzierte Mauern, hohe Mauern, sterile Mauern – die angestrahlt werden, umschließen den funktionalen Highway. Minimalismus in höchster Form in Szene gesetzt. Habe ich mir so Aserbaidschan vorgestellt? Immer wieder versuche ich einen Blick hinter die Mauern zu erhaschen. Manchmal glückt es mir, ein Haus zu erblicken. Doch meistens bleiben mir die Häuser hinter den Mauern verwehrt. Was verbirgt sich hinter diesem Schutzwall? Immer wieder frage ich mich, ob er den Lärm abhalten soll oder Teil der Kultur ist. Später wird mir unser Guide Rena erklären, dass es doch eher die Kultur ist, damit sich früher Frauen auch einmal unverschleiert auf ihrem Grundstück zeigen konnten. Ich mag das Argument fast nicht glauben, zu wenige verschleierte Frauen sehe ich in der Umgebung von Baku.
Das Licht strahlt eine nachts leblose Kulisse aus. Und doch wissen mich allein die Mauern zu interessieren. Hinter einer dieser Mauern liegt auch unser Hotel auf der 60 km langen Halbinsel Absheron direkt am Meer. Ich öffne meine Balkontür und höre das Rauschen des Kaspischen Meeres, das sich mit dem Pfeifen des Windes vermischt. Im Dämmerlicht der Nacht sehe ich den Strand. Ich möchte nicht schlafen, obwohl mich mein Körper dazu drängt.
Ich bin im Land des Feuers. Und als morgens schon nicht der große Feuerball über dem Kaspischen Meer aufgeht, sondern sich hinter der diesigen Wolkenschicht versteckt, fahren wir nach Surakhany zum Feuertempel Ateschgah. Im 2. Jahrhundert entdeckte man hier durch Erdgasvorkommen gespeiste Feuerstellen, die immer mehr Leute aus religiösen Gründen anzogen. Im 15. Jahrhundert kamen vor allem Inder, denen die Feuer heilig waren und die hier Askese betrieben. Sie saßen und starrten ins heilige Feuer. 1723 begannen sie, 26 Räume um die Feuerstellen zu bauen. Es entstand eine Karawanserei. Als 1850 plötzlich die Feuer erloschen, verlor der Ort seine Anziehungskraft. Noch 20 Jahre harrte ein Mann aus, der an die Wiederkehr des Feuers glaubte, doch 1870 ging auch er. Warum bis heute das Feuer nicht aus natürlicher Kraft zurückgekehrt ist, sieht man bereits auf dem Weg nach Surakhany. Unzählige Erdölförderanlagen säumen die Straße. Es mutet schon fast einem Spielzeugland an, wie kleine Wippen ragen die blauen Metallkonstrukte aus der Landschaft. Die Massenerdölförderung Mitte des 19. Jahrhunderts war das Ende des Feuertempels von Ateshga.
Doch nicht weit von hier kann man tatsächlich noch immer natürliche Feuer bestaunen, die noch in ihrer Blüte stehen. Der brennende Berg Yanardag ist ein natürliches Erdgasfeuer an einem zehn Meter breiten Grat an einem Kalksteinhügel nördlich von Baku. Kleine Flämmchen legen sich über die Erde, aber auch hohe Flammen lodern in den Abendhimmel. Ein Erdbrand, wie man ihn kaum woanders sieht. Kaum zu glauben, dass es unter dieser Erde so sprudelt.
Zurück am Meer kämpfe ich mich durch die Wellen ins hüfthohe Wasser während an meinen Beinen die Kräfte der Strömung ziehen. Vielleicht hätte ich das Schild nicht missachten dürfen, das Schwimmen verbietet. Es sei kein Lifeguard vor Ort. Doch kaum bin ich im Wasser, nähert sich der Rettungsschwimmer im roten Outfit.
Behutsam setzte ich jeden Schritt, als wollte ich den Reichtum im Boden nicht zerstören. Und doch ist es nur die Kraft, die mich zu der Vorsicht zwingt. Und dann ist da der Respekt, im größten See der Welt zu stehen – einfach so. Feuer, Wasser und viele Mauern – langsam bekommt mein Aserbaidschan Konturen.
Beide Sehenswürdigkeiten – Feuertempel Ateschgah und der brennende Berg Yanardag – liegen auf der Halbinsel Absheron und sind von Baku aus sehr gut zu erreichen.
Die Reise in Bildern findet Ihr auf Instagram unter #puraserbaidschan
Ich wurde vom Tourismusministerium Aserbaidschan eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.
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Fantastische Bilder. Vorallen die von den Erdfeuern. Vielen Dank für die Mühe, nicht nur die Reise zu beschreiben, sondern auch die Historie mit hier zu erörtern. Das ist wirklich sehr interessant und die Bilder sind einmalig.
Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Land so viel bietet. Das wäre wirklich eine Reise wert, abseits der normalen Touristikrouten.
Danke Yvonne. Gerade die Geschichte um die Feueranbetung ist sehr spannend. Aber das Land bietet noch viel mehr. Besonders war ich von der Kaukasusregion beeindruckt. Hier steckt viel touristisches Potential, aber aktuell ist man ziemlich einsam dort unterwegs und man merkt dies, wenn die Menschen einen sehr neugierig anschauen und ansprechen. Unbedingt mal hinreisen! LG, Madlen
Toller Bericht zu Aserbaidschan. Finde es immer wieder spannend was zu einem nicht ganz so bekannten Reiseziel zu lesen. Scheint ja alles ziemlich unkompliziert gelaufen zu sein. Wie ist es so mit Visum und Reisen im Land?
Hallo Daniel, die Visumsrichtlinien haben sich seit dem 1. September geändert. Demnach sind die Gebühren 35 EUR reduziert wurden und man beantragt es nicht mehr in der Deutschland ansässigen Botschaft/ Konsulat sondern bei Agenturen vor Ort: http://www.azembassy.de/index.php/konsularangelegenheiten/visabestimmungen Nur in Berg Karabach solltest Du zuvor nicht gereist sein, dann wird es wohl problematischer. Ansonsten fahren im Land selbst Busse und Minibusse. Man kann sich aber auch Touren (wenn nicht von Deutschland aus) von Baku aus buchen oder für die Umgebung sich ein Taxi nehmen. Schlammvulkan, Gobustan, Halbinsel Absheron sind Ziele, die man auch einfach an einem Tag mit Taxi machen kann. Ich bin so begeistert, dass ich gern noch mal mit mehr Zeit im Gepäck nach Aserbaidschan reisen möchte. LG, Madlen
Super! Würd mich sehr für Aserbaidschan interessieren. Tolle Eindrücke Madlen!
Danke lieber Clemens. Bei meiner Ankunft war ich wirklich ziemlich „geflasht“. LG, Madlen
Tolle Geschichte. Hat sich wirklich spannend gelesen. Tolles Land und super Bilder, macht Lust auf mehr. Vielleicht mal nach Aserbaidschan?
Tolle Eindrücke von Aserbaidschan, muss wirklich ein beeindruckendes Land sein auch mit seiner Vielfalt. Man sollte es kennenlernen. Dein Artikel regt auf jeden Fall dazu an.