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Irkutsk – das Paris des Ostens? Transsib Teil 5

Irkutsk

ENGLISH VERSION HERE
Die Sonne scheint vom strahlend blauen Himmel, das Thermometer zeigt knapp 30 Grad – wir sind in Irkutsk, der schönsten Stadt Sibiriens. Und nicht nur ihr positiver Ruf eilt dieser Stadt voraus. Gleich auf den ersten Kilometern, als wir über die Angara fahren, hat uns Irkutsk genauso eingefangen. Alles was mir an Russland gefällt, finde ich hier: russische Holzhäuschen, Kirchen mit (kleinen) Zwiebeltürmen, viel Natur und Wasser. Irkutsk hat einiges zu bieten und ist zudem ziemlich entspannt und freundlich. Gleich beim Einchecken ins Hotel bekommen wir einen Touristen Pass als Kompass in die Hand gedrückt und mit dem geht es direkt ins Getümmel.

Holzhaus in Irkutsk

Holzhaus in Irkutsk

Russen beim Musizieren

Russen beim Musizieren

Wer in Irkutsk ist, sollte die Stadt auch auf einer Bootstour auf der Angara kennenlernen. Das hatten wir vor. Von einstündigen Touren Richtung Triumphbogen haben wir gehört. Am Ende der Karl-Marx-Allee finden wir ein Restaurant mit einem Steg, an dem ein Boot wartet. Wir sind uns sicher, das muss es sein. Was erwarten wir? Die Angara entlang bis zur Moskovskye Vorota zu fahren. Doch die Kassiererin schüttelt immer wieder den Kopf – „Bridge to Bridge“ soll die Tour gehen und das in einer halben Stunde. Überzeugt sind wir nicht von der Tour und als wir auf dem Boot sind, wird das ganze kein Stück überzeugender. Ostpop, Modern Talking und das Schlechteste der 90er wird angeschmissen während wir einmal die Insel der Jugend umrunden. Zugegeben, ich habe schon schönere Bootstouren erlebt, am Ufer gibt es hier nun mal einfach nicht viel zu sehen. Trotzdem lassen wir uns dazu hinreißen, als wir bei unserer Rückkehr das richtige Ausflugsschiff entdecken, nach einer Ergänzungs-Bootstour zu fragen. Kann ja nur noch besser werden. Das große Boot sollte vor einer viertel Stunde schon gestartet sein, aber liegt noch immer still im Hafen. Vier Passagiere haben sich bislang eingefunden – 16 fehlen noch, um in den Fluss zu stechen. Weit und breit sind keine Touristen zu sehen. Die Angara ist wohl doch nicht die Seine, sondern eher ein Ladenhüter.

Irkutsk Markt

Irkutsk Markt

Irkutsk Markt

Irkutsk Markt

Darauf hin schlendern wir doch lieber über den Markt, auf dem die Babuschkas Frisches aus ihrem Garten anbieten. Ein wahrer Augenschmaus erwartet uns – Eimerchen voller Beeren, Pilze und überschaubare Mengen an Gemüse. Bonbons, Bücher, chinesischer Plastikkram findet man hier genauso wie  kleine Katzen und Hunde, die zum Verkauf angeboten werden.

Weniger bunt aber aufgepimpt geht es im 130. Quartier zu. Seit Irkutsk 1997 vom World Fund for Monuments Preservations auf die Liste der 100 Städte, die historische Restaurierung benötigen, gesetzt wurde, belebte die Stadtverwaltung dieses Viertel als Irkutsk Sloboda wieder. Man sieht historisch nachempfundene Holzhäuser, die jedoch ein bisschen kitschig anmuten und den Charme der Originale vermissen lassen. Dennoch tummeln sich hier Touristen wie Einheimische gleichermaßen. Die einen um Fotos zu machen, die anderen um auszugehen. Nicht weit von diesem nachgebauten Vergnügungsviertel findet man sie tatsächlich, die alten Holzhäuschen meist aus dem 19. Jahrhundert. Zwischen der Timirjazewa und der Dserschinskowo Straße springt mein Holzhäuschen-Herz höher – ein Foto-Motiv nach dem anderen tut sich hier auf. Viele dieser kleinen Häuser sind inzwischen abgesackt, stehen schief und tragen ein Schild zum Verkauf. Ein besonders schönes Holzhaus gleich hinter dem Busbahnhof beherbergt heute Museen, Cafés und Hotel und heißt Europäisches Haus.

Auf dem Markt in Irkutsk

Auf dem Markt in Irkutsk

Unser Kapitän wartet auf Gäste

Unser Kapitän wartet auf Gäste

Unser Blick gilt aber nicht nur den verzierten Holzhäusern sondern auch den besonders schönen Kirchen. Und Irkutsk war einst sogar noch reicher davon – so gab es zur vorletzten Jahrhundertwende über 20 Kirchen, wovon heute nur noch sieben größere überlebt haben.
Neben deutschen Transsib-Reisegruppen treffen wir im „Kirchenviertel“ auf einige Franzosen. Die wollen sicherlich mal nachschauen, ob das „Paris“ an der Angara eine ernst zu nehmende Konkurrenz zu ihrer Hauptstadt an der Seine ist… Gern wüssten wir ihre Antwort.

Dubrowskij Kirche in Irkutsk

Dubrowskij Kirche in Irkutsk

Kiosk

Kiosk

Nicht nur das Zentrum hat etwas zu bieten, auch im ca. 20 Minuten entfernten Stadtteil Solnetschny wartet ein echtes Original – der ehemalige Eisbrecher „Leodokal Angara“. Hier kann man sich für 50 Rubel einen Eindruck darüber verschaffen, wie einst in Anfangszeiten der Transsib Passagiere über den Baikalsee transportiert wurden. So richtig scheint dies jedoch kaum jemanden anderes zu interessieren, so sieht man die ehrliche Freude in den erstaunten Gesichtern des alten Mannes und der Kassiererin. Sie sind wahrlich bemüht und zeigen uns vom Motorraum bis zum oberen Deck alles, was noch aus alten Glanzzeiten übrig geblieben ist, davon gibt’s leider nicht mehr viel.

Eisbrecher Ledokol Angara

Eisbrecher Ledokol Angara

Wir spazieren noch die imaginäre Promenade zum Schiffsanleger Rakjeta entlang – zwischen hoher Betonmauer am Ufer und Plattenbauviertel eingequetscht. Hier könnte man noch mehr tun, wenn man wollte. Will man wohl nicht. Ufer wegsperren ist hier die Lösung. Am Museumsschiff gibt es einen Freizeitsportanbieter, der Kanus, Surfbretter etc. verleiht. Am besten geht man von dort gleich direkt aufs Wasser, denn das ist es nunmal wirklich schön. So glasklar habe ich selten einen städtischen Fluss gesehen. Am Schiffsanleger Rakjeta, von wo aus die Boote Richtung Baikalsee abfahren, findet man aufgeblasene Gummispielzeugbeschäftigungen für die Kids und Restaurants und Sitzinseln zum Picknicken für die Erwachsenen. Auch die obligatorischen Yachten und Segelboote dürfen hier nicht fehlen. Mit dem Trolleybus fahren wir zurück in das Zentrum und sind mit einmal wieder in „Klein-Paris“.
So sehen wir Brautpaare im Minutentakt. Wo wir auch stehen, geben sich frisch Vermählte die Klinke in die Hand. Wo ein Brautpaar ist, sind auch immer die Fotografen nicht weit. Ein Berufsstand mit absoluter Jobgarantie in Russland. Und ein Hummer Stretch SUV gehört hier auch zu einer standesgemäßen Hochzeit. Wer verliebt ist, geht nach Paris, wer richtig dick heiraten will, der kommt nach Irkutsk.*

Hochzeit in Irkutsk

Hochzeit in Irkutsk

Hochzeit in Ulan Ude

Hochzeit in Ulan Ude

 

*Es bleibt zu recherchieren, wie hoch die Vermählungsrate in Russland ist. Nie sah ich so viele Brautpaare auf einer Reise wie hier: Moskau, Kazan, Jekaterinburg, Krasnojarsk, Irkutsk, Ulan Udè… wohin wir auch kamen, sie waren schon da. Frischvermählte mit ’nem dicken Smiley im Gesicht. Wie fühlt es sich wohl an, in Russland Single zu sein? 

Begleitet uns auf unserer Reise unter dem Hashtag #puriygoeseast

Zum Teil 1: Moskau – Wo russische Märchen beginnen.
Zum Teil 2: Hop on, hop off und manchmal geht gar nichts … Moskau Teil 2
Zum Teil 3: Missverständnisse und der Luxus Bahnreisender. Transsib Teil 1
Zum Teil 4: Nach Asien auf dem Landweg. Transsib Teil 2. Jekaterinburg und die Fahrt nach Krasnojarsk
Zum Teil 5: Durch Sibirien. Transsib Teil 3
Zum Teil 6: Am Baikalsee. Transsib Teil 4
Zum Teil 8: Über Ulan-Udè, Bator und unseren letzten Tag in Russland. Transsib Teil 6
Zum Teil 9: Zug Nummer 4 – und einmal durch die Mongolei. Transsib Teil 7
Zum Teil 10: Datong und die Tour mit den Touren. Transsib Teil 8
Zum Teil 11: Peking – wo Drachen in den Himmel steigen.
Zum Teil 12: Im Dunstkreis der Mauer oder 40 Minuten verschwendete Lebenszeit

Auf unserer Reise werde wir durch Lernidee unterstützt. Alle Ansichten sind unsere eigenen.

ENGLISH VERSION
Irkutsk – Paris of the East? Trans-Sib part 5.

The sun is shining and the sky is blue, the thermometer shows almost 30 degrees – we are in Irkutsk, the most beautiful city of Siberia. And it’s not only the positive reputation that runs ahead of the city. After the first kilometres, as we cross the Angara River, Irkutsk fascinates us, too. Everything I like about Russia, I can find here: Russian wooden houses, churches with (small) onion domes, a lot of nature and water. Irkutsk has plenty to offer and is also very easygoing and friendly. As we check in at the hotel, we get a tourist pass that serves as a compass, and with that we throw ourselves into the fray.
When you are in Irkutsk, you should definitely get to know the city on a boat tour on the Angara River. We were planning to do that. We heard about one-hour tours towards the triumphal arc. At the end of Karl-Marx-Avenue, we discover a restaurant with a footbridge, where a boat is waiting. We are sure that this must be it. What we expect? Driving along the Angara River until we reach Moskovskye Vorota. But the cashier is shaking her hand over and over – the tour is supposed to go “from bridge to bridge”, and all that in half an hour. We aren’t quite happy with this tour and it doesn’t get much better once we are on the boat. They turn on eastern pop, Modern Talking and the worst of the 90s whereas we circuit the island of the youth. Frankly, I went on nicer boat trips than this one. There just isn’t much to see at the riverside here. However, we still let ourselves get carried away as we spot the right excursion boat and ask for an additional boat tour. It can only get better. The big boat was supposed to leave 15 minutes ago, but is still at the port. There are four passengers here already – 16 more are needed to set sail. There wasn’t a tourist in sight. Well, the Angara River isn’t the Seine after all, but more of a non-seller.
After that, we stroll over the market where the babushkas are selling fresh things from their gardens. There is a real treat for the eyes waiting for us – you can find buckets full of berries, mushrooms and negligible amounts of vegetables, candies, books and Chinese plastic stuff as well as kittens and puppies that are put up for sale.
It is less colourful but pimped up in the 130th quarter. Since the World Fund for Monuments Preservations put Irkutsk on the list of the 100 cities that needed historical restoration in 1997, the municipality revived the district as Irkutsk Sloboda. You can see historically recreated houses that seem a bit trashy, though, and they lack the charm of the originals. Nevertheless, there are many tourists and also locals bustling about here. Some are here to take pictures and others want to go out. Not far from this recreated entertainment district, you can actually find them, the old wooden houses, mostly from the 19th century. My wooden house-heart beats faster between Timiriazewa and Sershinskowo Street – one great scene after another opens up before me here. A lot of those small houses already sank a bit, are crooked and signs show that they are up for sale. A particularly beautiful wooden house right behind the train station houses museums, cafés and a hotel today and is called European House.
However, we are not only looking at the decorated wooden houses, but also at the particularly beautiful churches. And Irkutsk once had even more of those – there were over 20 churches at the second last turn-of-the-century, from which only seven bigger ones survived. Next to German Trans-Sib travellers, we meet a few French people in the “church district.” They probably want to have a look, if the “Paris” at the Angara River is a serious competition for their capital at the Seine… we would really like to know their answer.
Not only the city centre has plenty to offer, but also the district Solnetshny, which is only 20 minutes away. You can find a real original there – the former icebreaker “Leodokal Angara”. For 50 roubles, you can get an idea of how the Trans-Sib passengers were transported over Lake Baikal during the early years. But no one else seems to be really interested in that, so you can see the honest joy in the astonished faces of the old man and the cashier. They are really anxious and show us everything that’s left of the glory days, from the motor compartment to the upper deck. Unfortunately, there isn’t much more to see anymore.
We are walking along the imaginary promenade over to the shipping pier Rakieta – constricted between the high concrete walls at the riverside and the apartment block district. You could do more here if you wanted to. But they don’t seem to want. Blocking the riverside is the solution here. There is a leisure sports provider at the museum ship, who lends canoes, surfing boards etc. The best thing to do is to go directly onto the water from there, as it is just lovely. I have rarely seen such a crystal clear city river. You can find inflated rubber toys for the kids and restaurants and ottomans for the adults at the shipping pier Rakieta, from where the boats leave towards Lake Baikal. And also the compulsory yachts and sailing boats aren’t missing here. We are driving back to the city centre with the Trolleybus and are suddenly back in “Little Paris”. We see bridal couples every minute. Wherever we are standing, there was an endless coming and going of newlyweds. If there are bridal couples, the photographers aren’t far. This profession is a guarantor of jobs in Russia. And a stretched hammer SUV is a standard at weddings here, too. People in love go to Paris, people who want to have a great wedding go to Irkutsk.*

*It’s still to be researched, how high the marriage rate is in Russia. I have never seen so many bridal couples on a trip like here: Moscow, Kazan, Yekaterinburg, Krasnoyarsk, Irkutsk, Ulan Udè… wherever we went, they were already there. Newlyweds with a big smile on their faces. What it must feel like to be single in Russia?

Follow us on our trip through Russia, Mongolia and China with the Transsib under #puriygoeseast.

We are being supported on our trip by Lernidee. All opinions are our own ones.

2 Kommentare

  1. Toller Bericht und die Singlefrage ist wirklich interessant. Da muss ich mich mal umhören ☺️

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