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Irre-Führung

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Die Nacht war sehr stürmisch und ließ bereits erahnen, was einem im sibirischen Winter erwartet, außer die minus 40 Grad und Eisidylle. Wie gut, dass man von der Kälte, die jetzt in den Nächten schon herrscht, im beheizten Ger nichts mitbekommt. Nur den Sturm, der an den Zeltwänden reißt, und die Wellen des Khuvsgul Sees, hören wir sehr deutlich. Zum Glück verweilten wir einen weiteren Tag hier und bekamen den See von seiner Sonnenseite zu spüren. Zudem konnten wir endlich einmal „ausschlafen“. So waren wir um 9.30 Uhr die letzten im Frühstücksraum. Alle anderen unterwerfen sich dem Zwang des Programms. Unser Programm liegt heute in der Langsamkeit und im Erkunden der Umgebung. Hinter dem Camp und somit auch gleich am Uferrand ragen Berge gen Himmel, die es heute zum Teil zu erklimmen gilt. Eine nette Wanderung auf den nächstliegenden Berg, um einen Ausblick über die Weite des Sees zu bekommen, war unser Ziel. Battuul kam mit uns und zudem noch der Fahrer Njam und Battuuls Freund. Alle mit Fotokamera ausgestattet. War schon ein witziger Anblick, da ich noch nie Guides mit Fotoapparaten so hantieren sehen habe, wie auf dieser Tour. Posing vom allerfeinsten. Doch wo geht der Weg auf den Berg? Einfach hier durchs Gestrüpp, zeigt unser Guide – das ist der direkteste, aber nicht einfachste Weg. Ich entdecke am Wegesrand auf einem einfacheren, aber nicht direkten Weg überall grün markierte Bäume. Noch bestehe ich auf meinen Willen, habe ich schon längst bemerkt, dass das Guiding in dieser Tour stark ausbaufähig ist. Ja, geht wohl auch, meint Battuul. Und so begeben wir uns auf einen schönen Wanderweg zu noch schöneren Aussichtspunkten über den See.

Irgendwann entscheiden wir uns zum Rückweg und wollen diesen auf einem anderen Pfad zurücklegen – näher am Steilufer entlang. Man kann auch am Ufer entlanggehen, schlägt uns Battuul vor. Nunja, vielleicht hundert Meter, denn ab da ragt eine Steilwand direkt in den See. Oder sollen wir diese Stelle umschwimmen? Man weiß es nicht. Sie meint, es sei möglich. Ich meine, da ist nichts möglich, also nehmen wir einen höheren Weg direkt am Steilufer entlang. Am Anfang sieht er noch nach einem ausgetretenen Pfad für Pferde aus, sehen wir genug Kothaufen. Doch diese tierische Markierung verlässt uns bald und mit dieser auch mein Mut. Rutschige, schmale Pfade die fast senkrecht ins Wasser ragen. Ich bin kein Esel und auch kein Pferd, das für diese Tretpfade gemacht ist. Das Profil auf meinen Schuhen gleicht dem von Ballerinas und meine Knie beginnen sich zu Wackelpudding zu verwandeln. Wir sind schon zu weit, um zurückzublicken. Zu viele rutschige Stellen habe ich inzwischen überkrabbelt. Aber plötzlich tut sich vor uns auch ein Abgrund auf, den man eher auf dem Hosenboden bewältigt. Ich horche in meine Knie und die antworten mit Schlottern. Die Vernunft sagt, hier geht’s nicht weiter, während Battuul nach unten rutscht und meint, alles gut, wir sollen ihr folgen, doch da unten war nichts mehr. Kein Weg, nichts, was ich meinen schlottrigen Knien als Argument zum Gehen hätte entgegnen können.

Inzwischen waren alle drei Mongolen wie mongolische Bergziegen den Hang hinuntergerutscht. Ich entschied mich für Rückzug. So schön ich den Khuvsgul See finde, aber hineinstürzen möchte ich nicht. Nun kämpfte ich mich den Weg wieder zurück zu der Stelle, wo sich Hin- und Rückweg kreuzten, um von dort aus im aufrechten Gang durch den schönen Lerchenwald zu spazieren. Vielleicht bin ich weniger outdoor, sondern mehr Genießer. Zumindest bin ich nicht lebensmüde an solch einem schönen Tag. Eichhörnchen hüpften die Bäume entlang, Möwen kreisten über dem See und Wald und die Sonne wärmte uns. Von nun an genossen wir wieder. Aber die Stimmung mit Battuul war schon etwas getrübt, denn einen Spaziergang den Berg hinauf hätte ich auch ohne sie hinbekommen. Aber sich zu verlaufen und jenseits ausgetretener Pfade entlangzuhangeln, das habe ich nur mit ihr hinbekommen.

Um 14.30 Uhr waren wir wieder im Camp. Das Mittagessen tröstete uns alle über das Erlebte hinweg. Nach dem Essen bevorzugten wir einen Ausflug ohne (Irre-)Führung. Wir ließen Battuul und ihre Fotojungs im Camp und begaben uns allein auf den Weg nach Khatgal. Der Ort hatte uns schon am Vortag sehr gut gefallen. Und so spazierten wir am flachen Ufer des Sees entlang und über den ausgestorbenen Hafen zurück. Die Saison ist definitiv vorbei, denn nahezu jedes Camp ist verriegelt und verrammelt. Und auch am Hafen war alles dicht, nur eine Frau kam gleich angerannt und bot uns Fisch an. Auf dem Weg zum Ort überholten uns irgendwann Battuul und ihre Jungs mit Pferden. Sie hatten sich für einen kleinen Ausritt entschieden. Auf wessen Rechnung dies geschah, will ich gar nicht wissen. Wahrscheinlich wird auf Boums Rechnung am Ende stehen, einmal Ausritt für die beiden Deutschen, stattdessen vergnügte sie sich mit ihrem Freund. Die Spannung steigt auf das Kommende. Morgen geht es erst einmal zurück. Der Tag war sehr laufintensiv und so haben wir vorgearbeitet für den morgigen Fahrtag im Jeep. Wir genossen noch eine Stunde vor unserer Jurte in der Sonne sitzend, lesend und schreibend. Das Camp, gestern noch voll, wird zunehmend leerer. Und mit jedem gehenden Gast kommt mehr der Herbst.

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