Drei nackte Frauen schwingen seit Sekunden über meinem Kopf hin und her, als ich meine Augen öffne. Die Uhr auf dem Nachttischschrank zeigt 6.38 Uhr an. In 22 Minuten sollte der Wecker klingeln. Doch dieses Schaukeln hat mich abrupt aus dem Schlaf gerissen. Langsam komme ich zu mir während mein Bett noch immer wackelt und mein Körper in das Wippen des Frauenbildes einstimmt. Shaky Sheki – hier wird man also von einem Erdbeben geweckt. Dabei meinte mein Guide Rena noch, der Stadtname leite sich von dem Volksstamm Saka ab, der im 7. Jahrhundert v. Chr. von Norden in das Gebiet einwanderte, und der Stadt den Namen Sakasena gab. So ganz mag ich ihr an diesem Morgen nicht glauben.
Sheki ist die älteste Stadt Aserbaidschans. Im 2. Jahrhundert v. Chr. wanderten Karawanen auf der 4000 Meilen langen Seidenstraße entlang von Ostasien nach Westen und auch zurück. Einst ein florierendes Handelszentrum, versucht die von den Bergen des Kaukasus umgebene Stadt im Nordwesten Aserbaidschans heute Touristen anzuziehen. Womit die Stadt lockt, wird auch gleich deutlich. Neben den Gaumengenüssen der besten Pahlavas, die hier oft in alter Familientradition hergestellt und im angeschlossenen Laden verkauft werden, lockt ganz besonders der Khan Palast auf einer kleinen Anhöhe in der Stadt.
Sheki wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts Hauptstadt eines unabhängigen Khanats, dem Khanat Sheki. Dem Khan gehörten 40 prächtige Häuser, wobei dieser einzige Übriggebliebene der Kleinste war. Große 500 Jahre alte Platanen zieren den Vorgarten, in dessen „fürstlichen“ Brunnen kleine Plastikseerosen schwimmen. Was man dahinter sieht, ist jedoch weniger „künstlich“. 85 % des Palastes ist noch original, betont der Guide immer wieder. In zehnjähriger Bauzeit entstand er, wobei zwei Jahre auf die eigentliche Bauzeit entfallen und acht Jahre auf die Malereien und Verzierungen.
Das Besondere steckt im Detail oder besser gesagt im Fenster. Es handelt sich hierbei um Mosaik verzierte Shebeke-Fenster, die ineinander gesteckt wurden und in satten Rot-, Blau, Gelb- und Türkistönen leuchten. Der Palast kommt wie seine Fenster ohne Nagel und Klebstoff aus und ist damit einmalig. Die Kunst des Shebeke-Fenster-Handwerks demonstriert Tofig Rasulov noch immer, auch für Touristen, in einem Nebengebäude auf dem Gelände und ist damit weltbekannt. Aber nicht nur die Fenster faszinieren den Besucher im Palast, sondern auch die Verzierungen und Malereien in den sechs Räumen. So findet man immer wieder Vögel, Blumen und Fabelwesen, aber auch Butas – die Feuerzunge im Wind, ein beliebtes aserbaidschanisches Motiv. Während der Blick an der Decke und den Wänden hängen bleibt, sollte man doch auch die Türschwellen im Blick behalten – wahre Stolperfallen. So sind diese höher als gewohnt gebaut, da man früher auf dem Boden saß und man einen Zug vermeiden wollte.
Nicht weit von Sheki entfernt liegt das kleine Bergdörfchen Kish und dort eine weitere Attraktion. Denn wer vermutet schon, dass die Norweger und Aserbaidschaner Gemeinsamkeiten haben? Thor Heyerdahl schon. Bei Ausgrabungen in der Gegend glaubte er, dass die Wikinger einst nach Gobustan übergesiedelt sind. Helle Knochen mit stattlichen Ausmaßen deuteten auf über 2 Meter große blauäugige Menschen aus dem Mittelalter hin, die hier begraben und in Krypten zu sehen sind. Man fand aber auch bei den Ausgrabungen Tierskelette aus der Bronzezeit und Gegenstände von 4000 v. Chr. neben dem vorchristlichen Tempel Kis Alban Mabadi.
Eine Rauchfahne zieht über die Dächer von Sheki, als ich am Nachmittag auf dem Hauptplatz das Stadtgeschehen beobachte. Irgendwo wird auf einem Hof gegrillt, zumindest mutet der Geruch so an. Ich gehe meiner Nase nach, spaziere durch die Straßen der 63.000 Einwohner zählenden Rayon-Stadt. Aus einer Moschee dringt Kindergeschrei. Kleine Jungs spielen auf dem Hinterhof unter dem strengen Blick der Lehrer. Und nicht nur die Kinder haben sie im Blick, auch mich schielen sie aus einem Augenwinkel an. Schnell laufe ich weiter, doch immer wieder spüre ich neugierige Blicke auf meiner Haut. Sie sind nicht unangenehm, aber doch ungewohnt. It’s a man’s world in Sheki nachmittags um 5. Ich vermisse die Frauen, die in Aserbaidschan normalerweise kein verschleiertes Leben hinter den Mauern fristen müssen. Doch in dieser Stunde sind sie wie vom Erdboden verschwunden.
Nur eine Dönerverkäuferin lächelt mich von der gegenüberliegenden Straßenseite verschämt an, während vor dem Schönheitssalon neben ihrem Laden ein Auto hält und zwei junge Damen schnell durch die Tür verschwinden. Doch auf den Gehwegen sehe ich überall nur Männer stehen, entweder wartend oder in ein Gespräch vertieft. Die „Kafes“ und Teegärten sind gut besucht – natürlich trinken hier ausschließlich Männer.
Ich gehe weiter die Hauptstraße hinauf, hier glänzt alles oder was noch nicht glänzt, dem wird in den nächsten Monaten dazu verholfen. Was einst im sowjetischen Baustil erstrahlte, wird heute hübsch verkleidet. An mir fahren unzählige Ladas vorbei, die fast als einziges Zeichen noch auf die Zeiten vor der Unabhängigkeit hindeuten und mich in meinen Gedanken in meine Kindheit zurückversetzen.
Vor allem Pahlava-Läden findet man überall am Wegesrand von Sheki. Zwei Karawansereien sind ein Überbleibsel aus den boomenden Handelstagen, in denen es einmal fünf gab. Eine wird aktuell zu einem Fünfsterne-Hotel umgebaut. Der Blick in die Seitenstraßen zeigt das übliche Bild in Aserbaidschan – Steinmauern mit verzierten Metalltoren verdecken meist die Häuser. Aus den Gärten lugen allenfalls Wein oder Granatapfel- und Birnenbäume hervor und dahinter die Dachspitze. Dennoch sieht man, dass die Armut anderswo wohnt. Hier und da hat man das Werk der Modernisierung noch nicht ganz vollendet und Fassaden aus der Sowjetzeit suchen sich im sauberen Stadtbild ihren Platz. Und dann sind da noch die unzähligen Kanäle, die zum Fluss Kish führen. Eine Schlammflut hat 1772 bereits schon einmal die Stadt weggespült. Das soll nicht noch einmal passieren.
Als ich von meinem Spaziergang zurückkehre und noch einmal die Moschee passiere, sind alle Kinder verschwunden. Der Muezzin hat gerufen. Ich kehre in mein Hotelzimmer zurück, wo mich über meinem Bett die drei nackten Damen erwarten. Ich öffne das Fenster um den Duft der Stadt einzuatmen. Ich schaue auf den Hinterhof des Nachbarhauses während im Hintergrund die kaukasischen Berge im Licht der untergehenden Sonne erstrahlen. Sheki hat mich gerührt und auch geschüttelt.
Sheki ist 325 km von Baku entfernt und mit Minibus oder über organisierte Touren zu erreichen.
Die Nachricht über das Erdbeben mit einer Stärke von 5 bis 6.
Die Reise in Bildern findet Ihr auf Instagram unter #puraserbaidschan
Ich wurde vom Tourismusministerium Aserbaidschan eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.
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Die Architektur ist wirklich sehr interessant.
Danke Neni, die Architektur in Baku ist noch interessanter 😉 http://puriy.de/baku-und-es-werde-licht/ LG, Madlen