Alle Artikel mit dem Schlagwort: Leben

UM

Abschiedsspiel

Vielleicht wünsche ich mir den Winter – weil  dieser weniger schmerzt, wo Wunden nur sehr fragil zusammengewachsen sind. Die Sonne beleuchtet die Narben. Minutenlang schaue ich auf die unebene Stelle auf der Haut. Wo der Winter verhüllt, entblößt der Sommer. Es ist nicht dieser Duft von Wasser und der Gesang der Möwen in der Luft, der mein Herz öffnet, mir die Freude ins Gesicht zeichnet, ohne die Sorgenfalten wegzuradieren. Es ist nicht das laute, lebensbejahende Lachen, das sich in die Häuserschluchten legt, sondern das kleine Zucken im Mundwinkel und Glitzern in den Augen, das das Fenster öffnet, wenn man nach Wärme suchend zusammenrückt. Was Monate zuvor die Kulisse eines Kammerspiels war, nimmt wieder die gleichen Formen, Farben, Klänge und Gerüche an. Alles erinnert zu sehr an das Gegangene, Vergangene. Ganz schleichend kamen die Erinnerungen, die ich längst im vergangenen Winter geglaubt, gelöscht von der Festplatte. Doch immer wieder stürzt man über dieselben Bordsteine und ächzt unter dem Ballast des eigenen Gedächtnisses. Erinnerungen sind die schwerste Last hinter meinen Lidern. Ich suche Botox für die Seele.

Happiness

Wenn Reisen eine Flucht ist

Reisen ist eine Droge, von der man schwer loskommt. Sie radiert einfach für einen Moment all die Dinge aus dem Gedächtnis aus, die uns bedrücken. Sie lässt uns vergessen. Sie kann aber auch heilen. Als ich meine Leidenschaft für andere Länder entdeckte, wusste ich nichts von dieser Wirkung. Ich war einmal im Jahr high, ohne es bewusst zu steuern. Ich tankte Kraft für den Alltag und öffnete den Blick, mit dem ich nach meiner Rückkehr sah, auf welch hohem Niveau sich unser Jammern abspielt. Doch seit dem vorletzten Jahr folge ich immer mehr dem Reflex, wenn es mir nicht gut geht, setze ich mich in den Flieger – weil ich es kann. Mit dem Ergebnis, dass die Droge nicht mehr wirkt. So wie jedes Medikament seine Wirkung verliert, wenn es im Dauereinsatz ist. Denn auf die Dosis kommt es an. Hinzu kommt, dass sie ein Stimmungsverstärker ist. Was bringt es mir, auszureisen, wenn mich am Ende doch alles einholt. Ich kann nicht vor mir selbst ausreisen und dem Ballast, den man mit sich trägt. Das …