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Wenn die Erde bebt

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Ich starte ziemlich überinformiert in diese Reise und habe zum ersten Mal das Gefühl, weniger Informationen täten meinem Wohlbefinden gut. Was mich beunruhigt, ist der Radar von Instituto Geofísico, dem ich seit ein paar Tagen auf allen Social-Media-Kanälen folge. Hinzu kommen die beunruhigenden Nachrichten von Latina Press „Quitos Einwohner sitzen auf gepackten Koffern“. Nicht, dass ich auch gerade auf meinem gepacktem Rucksack sitze. Nur eben umgekehrt. Quitos Bevölkerung soll demnach jederzeit zur Evakuierung bereit sein während ich nach Quito reise. Und zum zweiten Mal in meinem Leben beschäftige ich mich mit der Frage, wann sage ich eine Reise ab? Wann dreht sich Vorfreude in reines Entsetzen, wann ist mir Leben und Gesundheit wichtiger als Geld und drei Wochen Reiselust? An diesem Abend weiß ich die Frage wieder nicht zu beantworten. Stattdessen starre ich gebannt auf den Radar – ein Nachbeben jagt das nächste. Seit einer Woche, als Quito von zwei größeren Beben erschüttert wurde, scheint sich das ganze Land in Wackelpudding zu verwandeln.

„70 % der Häuser in Quito halten Erdbeben nicht stand“, berichten die Medien. Begebe ich mich in ein Legoland, dessen Mauern in sich zusammenfallen, wenn es einmal bebt? Mein chilenischer Schwager ist Experte in Sachen erbebensicherer Architektur. Ich höre es durch die Tastatur lachen. In Chile verschwindet man unterm Tisch, in Ecuador sollte ich so schnell wie möglich raus auf die Straße rennen. Vorsicht vor herabhängenden Stromleitungen und am besten immer schon vorher nach einem sicheren Platz „Sitio seguro“ Ausschau halten. Sicher ist hier wohl nur ein offener Platz. Notfall-Checklisten, Notfall-Nummern, Erdbeben-Spanisch-Vokabular schwirren durch das Netz und nehmen in meinem Kopf viel zu viel Platz ein. Mich überkommt nur ein Gefühl – Angst. Mich zwingt niemand, die Reise zu starten und doch will ich unbedingt.

48 Stunden nach unserer Landung sitzen wir im Restaurante El Crater nördlich von Quito. Eine riesige Scheibe trennt uns von der Natur. Unter uns liegt eine Schlucht, die nur zu erahnen ist. Nebelschwaden suchen sich ihren Weg, verpacken die schöne Aussicht. Unter meinen Füßen federt es dumpf, als würde die Berliner U-Bahn in der Frankfurter Allee unter mir vorbeisausen – nur ein paar Sekunden. Ich renne nicht raus, ich springe nicht unter den Tisch, ich bleibe einfach sitzen.

Langsam schwenke ich meinen Blick wieder ins Restaurantinnere. Wir sind die letzten Gäste. Ein Kellner deckt gelangweilt die Tische neu ein. Auch wir sollten gehen. Ich greife meinem Freund an den Oberarm und sage ganz leise: „Das war ein Erdbeben.“ Er lacht und schüttelt mit dem Kopf. Nein, da muss etwas im Keller des Gebäudes gepoltert haben. Ich wiederhole meine Worte. Und er bleibt fest bei seiner Meinung, denn wie sonst könnte ein Kellner so ruhig seiner Arbeit nachgehen. Ich meine, wenn es das achtzigste Rütteln in einer Woche ist, dann wird auch das für uns Außergewöhnliche für den Kellner zur Normalität. Dann greife ich zu meinem Handy. Die neuste Nachricht in meiner Twitter Timeline stammt vom Instituto Geofisico:

Sismo Revisado – 2014/08/22-16:02:18 Magnitud 3,1 Prof 6,90 km Provincia PICHINCHA Latitud:-0.08“.

Mit Genugtuung lege ich ihm mein Handy hin und trete vor die Tür. Ich starre in die schroffe, karge Berglandschaft und atme die frische Andenluft ein. Plötzlich hat meine Angst ein Gesicht.

Drei Wochen später liege ich morgens um 6.38 Uhr in meinem Bett im Westen Aserbaidschans. Langsam bewegt sich mein Körper unter der Bettdecke hin und her. Einen kurzen Moment denke ich, dass ich träume – ich bin irgendwo in Ecuador. Doch als ich meine Augen öffne, sehe ich, dass nicht nur ich mich bewege. Mein Körper erstarrt, als wolle er der ganzen Bewegung eine Kraft entgegensetzen. Mein Blick wandert von meinem Spiegelbild hinüber zum Fenster während ich wie gelähmt liegen bleibe. Ich müsste nur aufstehen, die Tür öffnen und die Nottreppe neben meinem Zimmer vier Stockwerke hinunterrennen, dann kurz durch die Lobby laufen und ich wäre draußen. Doch irgendetwas hält mich davon ab. Ich starre über die Dächer hinweg hinüber zu den kaukasischen Bergen. Durch das geöffnete Fenster höre ich das Zwitschern der Vögel. Warum habe ich mir immer gedacht, dass in solch einem Moment die Welt stehen bliebe? Die innere Lähmung löst sich unter meiner warmen Bettdecke.

Die Nachricht über das Erdbeben in Sheki mit einer Stärke von 5 bis 6.

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  1. Letztes Jahr ist es mir genau so ergangen wie euch in Quito. Wir saßen in Sulawesi auf den Togean Islands beim Frühstück, als plötzlich der Boden zum Schiff wurde. Es schwankte! Wir Touris (Tauchlehrer inkludiert) sahen uns entsetzt an und aus der Küche kam eine gelangweilte Stimme: That’s an earthquake. Im Nachhinein kann ich darüber lachen, aber damals war die Situation so gar nicht zum Lachen..

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