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Kasan – ein Streifzug durch die dritte Hauptstadt Russlands

Kasan

Vor dem geöffneten Kofferraum stehen ein paar Frauen auf den wackeligen Absätzen ihrer High Heels. Sie essen noch schnell ein paar Happen, bevor sie in ihren festlichen Kleidern den Hügel hinauf eilen. Das goldene Gebäude, das schon von Weitem glänzt, ist Ziel vieler Paare, die hier den Bund fürs Leben eingehen. 70 Ehen werden heute im Hochzeitspalast geschlossen, meint der Herr an der Eingangstür. Es ist Samstag und da ist nun einmal viel los. Touristen mischen sich unter die Hochzeitsgäste auf dem Weg auf das 32 m hoch gelegene Standesamt. Auf dem Dach befindet sich eine Aussichtsfläche über zwei Etagen mit Blick über die Altstadt und den Kreml. Eine schöne Kulisse, nicht nur für Hochzeitsfotos.Kasan, TatarstanKasan, TatarstanKasan, Tatarstan

Ich bin nicht irgendwo in Russland, sondern in der „dritten Hauptstadt des Landes“ – womit Kasan wirbt. Doch anders als Moskau und Sankt Petersburg ist Kasan im Ausland wenig bekannt. Und auch von der autonomen Republik Tatarstan haben die meisten kein konkretes Bild.

Kasans ehemaliger Glanz

Dabei steckt in diesem Ort durchaus viel Geschichte. Kasan wurde einst von Wolgabulgaren gegründet und war bis Mitte des 16. Jahrhunderts ein wichtiger Stützpunkt des mongolischen Reiches der Goldenen Horde. Das bis dahin bedeutende Handels- und Handwerkszentrum eroberte Zar Iwan der Schreckliche im Jahr 1552 und verleibte die Region in Russland ein. Dabei ließ er auch die Moscheen zerstören. Als Katharina II. im 18. Jahrhundert Kasan besuchte, hob sie das Verbot auf, Moscheen zu errichten. Heute leben die tatarischen und russischen Einwohner den Islam oder die russisch-orthodoxe Religion gleichberechtigt aus und halten häufig als vorbildliches Beispiel und Symbol für ein friedliches Zusammenleben her. Oft beginnt dies schon in den Familien und so wird gemeinsam tatarisch und russisch gesprochen und gespeist und eben auch geheiratet.Kasan, Tatarstan

Kasan, Tatarstan

Hochzeitspalast und Hochzeiten am Fließband

Inzwischen befinde ich mich auf dem Dach des Hochzeitspalasts. Für Besucher, die keine ehelichen Bande knüpfen wollen, dient dieses Familienzentrum vor allem als beste Aussichtsplattform der Stadt. Und interessant ist das Gebäude auch noch.

So gleicht es einem gigantischen Kochtopf über einem lodernden Herd und dient als Anspielung auf den Stadtnamen, der auch Kessel heißt. Das Gebäude wurde eigentlich anlässlich der internationalen Studenten-Olympiade „Universiade 2013“ als Pressezentrum gebaut und wurde dann mit seinen drei Festsälen zum Hochzeitspalast umfunktioniert. Am Ufer des Kazanka Flusses spazieren Hochzeitspaare.

Kasan, TatarstanKasan, Tatarstan

Im Kasaner Kreml

Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses erhebt sich auf einem grünen Hügel eine weiße Festung über Kasan. Sie zaubert der Stadt Tag und Nacht ein Strahlen ins Gesicht und schenkt ihr den bescheidenen Glanz, der schon viele Besucher überraschte.

Wer Kreml hört, denkt an Moskau. So ging es mir auch vor vier Jahren. Als ich damals vom Bahnhof an der gläsernen Pyramide, einem Einkaufszentrum, vorbeilief, und dahinter auf dem satten Grün eines Hügels den strahlend weißen Kreml erblickte, war ich ziemlich überrascht. Dass ich von dieser Stadt noch nie zuvor etwas gehört hatte, konnte ich bei dem Anblick dieser Sehenswürdigkeit, die seit 2002 UNESCO-Weltkulturerbe ist, nicht glauben.

In der Kul Sharif Moschee – eine der Größten Europas

Dabei verbergen sich hinter den Festungsmauern, die auf das 12. Jahrhundert zurückgehen, neben den administrativen Gebäuden drei sehr interessante Bauwerke. Die Minarette der Kul Sharif Moschee, die neben der prachtvollen Maria-Verkündigungs-Kathedrale erbaut wurde, ragt über allem heraus. Bereits zu Zeiten des Kasaner Khanats befand sich auf dem Gelände des Kremls eine strahlend weiße Moschee mit hellblauen Kuppeln und Minaretten.

Fast viereinhalb Jahrhunderte später wurde ihr Wiederaufbau beschlossen. Zum 1000. Jahrestag Kasans im Jahr 2005 fand dann ihre Einweihung statt. Heute ist die Kul Sharif Moschee mit ihren vier mächtigen Minaretten das neue Wahrzeichen der Stadt und zählt zu den größten Moscheen Europas.

Kasan, Tatarstan

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Obwohl ich die Moschee auf meiner Reise vor vier Jahren schon einmal besuchte, bin ich beim Betreten des religiösen Gebäudes erneut fasziniert. Es ist wie das Eintreten in eine mir doch sonst so fremde Welt, als ich das Tuch über meinen Kopf binde und mit meinen nackten Füßen fast behutsam den persischen Teppich betrete.

War ich vor vier Jahren auf der Empore, fühle ich dieses Mal die Ausmaße des imposanten Baus in der Mitte des Gebetsraums. Klein stehe ich unter der Kuppel – türkisfarbene Kacheln und schimmernder Marmor umgeben mich. Fast könnte man meinen, mit diesem Bau in einen Größenwettstreit eingetreten zu sein – zwischen Islam und russisch-orthodoxer Kirche. 1500 Menschen kann die Moschee fassen, auf dem Vorplatz finden 10.000 Menschen Platz.

Kasan, Tatarstan

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Unter den Zwiebeltürmen der Maria-Verkündigungs-Kathedrale

Diesen Gedanken nach Größe findet man weniger in der Maria-Verkündigungs-Kathedrale wieder, dafür ist sie nicht minder prunkvoll gestaltet. Fresken zieren den Innenraum, golden glänzt der Altar. Im schimmernden Kerzenschein beten Gläubige vor den Ikonenbilder. Wieder habe ich mir ein Tuch übergestreift, bevor ich das Kircheninnere betrete.

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Ist die Mosche klar, minimalistisch und aufgeräumt, wirkt es in der russisch-orthodoxen Kirche doch etwas schummrig. Sanft fällt ein Lichtstrahl durch die Fensterscheibe und wirft seinen Schatten auf das Gesicht einer betenden Frau. Ein Spiel von Licht und Schatten schafft sich seinen Raum. Es ist die friedliche Dialektik, die sich überall in der Stadt wiederfindet. Moderne Architektur findet man neben alten tatarischen Holzhäusern. Tatarisch hört und liest man auch auf den Beschilderungen genauso wie Russisch. Russisch-orthodoxe Religion wird gleichberechtigt neben dem Islam ausgelebt. Muslimische Frauen im Minirock sind genauso akzeptiert wie Frauen mit einem Hidschab.

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Der schiefe Turm von Kasan

Mit einer interessanten Geschichte ist der schiefe Sujumbike-Turm verbunden, der nach der letzten Zarin benannt wurde und sich auch auf dem Gelände des Kremls befindet. Sujumbike soll einst Ivan den Schrecklichen mit ihrer Schönheit verzaubert haben. Der Turm wurde einer Legende nach im 16. Jahrhundert als Bedingung von Sujumbike für die Heirat mit Ivan den Schrecklichen gebaut. Sie glaubte nicht, dass der Bau in der vorgegebenen Zeit von 7 Tagen gelingen würde. Als es doch klappte, stürzte sie sich von dem fertiggestellten 59 m hohen Turm. Die Neigung entstand im Laufe der Zeit auf Grund des sandigen Untergrundes.

Kasan, Tatarstan

Vom Kreml führt mit der Baumann-Straße ein prächtiger Boulevard mit cremefarbenen Bürgerhäusern im Jugendstil und Klassizismus zum Tukay Platz, hinter dem der Wildschwein-See (Kaban-See) liegt.

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Tatarenviertel

Und auch mit diesem See ist eine Legende verbunden. Ein reicher Fürst soll auf der Flucht an dem Ort, wo heute Kasan liegt, Rast gemacht haben. Er schickte seinen Diener mit einer goldenen Schüssel zum Wasser holen an den See. Diesem fiel die Schüssel in die Wolga. Der Diener befürchtete eine Strafe, doch der Fürst sah in diesem Vorfall ein Zeichen und errichtete daraufhin die Stadt Kasan. Der Name „Kasan“ bedeutet nämlich auf Deutsch so viel wie „Schüssel“.

Auf der rechten Seite des Kaban-Sees findet man monumentale Sowjetarchitektur, auf der linken Seite leuchten hingegen farbenfrohe Holzhäuser mit Wellblechdächern. Diese Gegend ist das alte Tatarenviertel. Dieses war mit seinen Kaufmannshäusern das Industrie- und Handelszentrum der Stadt. Heute findet man in den Häusern Restaurants, Shops und Museen, die das einstige Leben Kasans demonstrieren.

Kasan als Studenten- und Sportstadt

Läuft man durch die Straßen Kasans, fällt einem schnell auf, dass die Stadt sehr sauber und recht jung ist. Tatsächlich ist der Anteil der Studenten, die hier leben, hoch. Die Universität von Kasan zählt zu den ältesten Russlands und hat eine große Anziehungskraft. Kasan gilt zudem laut Umfragen als lebenswerteste Stadt Russlands und zieht auch viele Touristen an. Häufig kommen diese aber aus dem eigenen Land oder den ehemaligen Sowjetrepubliken.

Nicht zuletzt zieht Kasan als Austragungsort verschiedener, großen Sportveranstaltungen zunehmend auch internationale Aufmerksamkeit auf sich. Als Fußball-Fan hat man in diesem Sommer sicherlich den Confederation Cup in Kasan verfolgt. Nächstes Jahr wird Kasan eine der zwölf Spielstätten der Fußball-WM sein. Schon bei meiner Reise 2013 hörte ich von dem Ruf, Kasan sei eine Sportstadt, denn 2013 fand gerade die Universiade statt, die Weltspiele der Studenten. Von dieser hatte ich zwar noch nie zuvor gehört, doch die Russen räumen ihr hohe Bedeutung ein. Wo anderswo nach Großsportereignissen die Gebäude verfallen, werden hier die Stadien und Hallen weiter genutzt.

Kasan, TatarstanKasan, Tatarstan

Am letzten Abend meiner Reise stehe ich in der leeren Fußball-Arena. Künstliches Vogelzwitschern ertönt aus den Lautsprechern, um Vögel vom Naturrasen fernzuhalten. Der Autolärm der nahen Straße ist plötzlich ganz fern. Hinter mir im Gang hängen die Poster der deutschen und chilenischen Fußballmannschaft. Auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions blinken die Großbuchstaben KAZAN.

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Diese Stadt denkt groß. Moskau – Sankt Petersburg – Kasan. Diese selbstbewusste Positionierung mag manch einem ein Schmunzeln entlocken.

Doch auch Katharina die Große soll einst die Bedeutung Kasans bei ihrem Besuch erkannt haben: „Diese Stadt ist nach Moskau zweifellos die erste Stadt Russlands. Alles hier weist darauf hin, dass es die Hauptstadt eines großen Königreichs ist.“ Vom Königreich mag man nicht mehr sprechen, aber von ihrer geschichtlichen und kulturellen Bedeutung schon. Und in dieser Hinsicht braucht sich Kasan nicht zu verstecken. Wir werden sicherlich noch mehr von der Hauptstadt der autonomen Republik Tatarstan hören.

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Was man sonst noch über Kasan wissen sollte?

  • 1,2 Millionen Einwohner
  • Achtgrößte Stadt Russlands
  • 800 Kilometer östlich von Moskau
  • 1005 n. Chr. gegründet
  • Guter Aussichtspunkt: Hochzeitspalast und Riesenrad
  • Zweisprachige Beschilderungen auf Russisch und Tatarisch
  • Beim Besuch von Moscheen und russisch-orthodoxen Kirchen sollte man als Frau ein Tuch tragen und auch Beine und Schultern bedecken. Tücher gibt es am Eingang auszuleihen.
  • Übrigens, benötigt man bei einer Teilnahme an der Fussball-WM mit dem Kauf einer Fan-ID kein Visum und hat mit dieser kostenfreien Zugang zu öffentlichen Verkehrsmittel neben dem Eintritt ins Stadion.
  • Zwei wöchentliche Direktflüge mit Aeroflot von Frankfurt/Main (Flugzeit 4 Stunden) oder aus anderen deutschen Städten über Moskau

Ich wurde vom Visit Tatarstan zu dieser Recherchereise eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.

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