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Potosi – Der härteste Arbeitsplatz der Welt

Potosi

Minenarbeiter ist wohl generell einer der härtesten Jobs. Diesen in Potosi auszuführen, ist wohl noch ein Stück weit härter und heißt so viel wie Minimierung der eigenen Lebenserwartung. Wie kann man das Leid anders ertragen als mit hochprozentigem Alkohol, Coca und Rauchen. Was erwartet man von einer “Minentour”? Das Leben eines Minenarbeiters authentisch kennenzulernen? Helfe ich dem Menschen damit? Nein, bestimmt nicht. Man erfasst das Elend nicht wirklich. Kann ich fühlen, was der Minenarbeiter fühlt, wenn ich durch die engen Schächte meinen Körper quetsche, wenn ich in geduckter Haltung versuche, dem Hunt Waggon mit dem abgetragenen Gestein zu folgen? Tonnenschwere Ladung, die auf mich stürzen kann, wenn ich nicht schnell genug zur Seite springe. Zu sehr ist man in diesen Schächten mit sich selber beschäftigt, als dass man das Leid der Arbeiter ausreichend reflektieren könnte. Hier wird gearbeitet, hier wird geschuftet unter härtesten Bedingungen. Und wir Touristen sind mittendrin. Wenn die Hunte Waggons, die jeweils von drei Arbeitern geschoben und gezogen werden, entgleisen und wieder mit Menschenkraft auf die Schienen gehoben werden müssen, beobachten wir an der Wand des Schachtes gequetscht das Treiben. Hier wird geschrien. Der raue Ton gehört genauso dazu wie der Alkohol. Wer stumpft in solcher Umgebung nicht ab?

 

Als wir uns vor der Statue ihres Gottes in Teufelsform „Tío“ Platz genommen haben, setzen sich zwei Arbeiter hinzu. Der eine übt den Job schon seit 18 Jahren aus. Man sagt, nach 20 Jahren ist solch ein Arbeiter am Ende, nicht nur durch die schwere Arbeit, sondern vor allem wegen der giftigen Gase. Die Lunge wird peu à peu vergiftet. Saß ich hier einem Todgeweihten gegenüber, einem Mann, der statistisch gesehen nur noch 2 Jahre zu leben hat? Die Blicke beider Arbeiter waren die ganze Stunde nach unten auf den Boden gerichtet. Nur die Frage, was wir dabei hätten, ließ sie mal kurz nach oben schauen. Ich hatte nur Softgetränke mitgebracht, da ich Geschenke wie Alkohol, Zigaretten und Coca verweigere. Doch in diesem Augenblick schämte ich mich. Kann man hier noch seine ethischen Maßstäbe ansetzen? Diese Arbeitsumgebung erfordert Betäubung. Wie schnell öffnete er die Flasche des hochprozentigen Schnapses (85 %) meiner Begleiterinnen. Die Backe war stets mit einem durchkauten Ball Cocablätter gefüllt. So sieht auch das Mittagessen der Minenarbeiter aus. Die giftigen Gase, die durch die Reaktion mit Lebensmitteln hier unten entstehen, macht es nicht möglich, eine Mahlzeit einzunehmen. Hierzu müssten sie die Mine verlassen. Das tun nur wenige.

  

Aus einem 50 m tiefen Schacht werden die Kollegen an einem Seil hochgezogen. Das T-Shirt total durchnässt. 40 Grad sind es da unten. Schwerstarbeit bei unerträglichen Temperaturen. Und alle legen sich hin und kauen während ihrer Pause. Als wir noch tiefer in die Mine uns vorarbeiten, nimmt der ätzende Gestank des Dynamits zu. Ich will nicht wissen, wie viele Arbeiter hier sterben. Der gesamte Cerro Rico ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Jeder Minenarbeiter arbeitet für eine Kooperative und somit eigentlich nur für sich selbst. Es gibt keine Absicherung, keinen Sicherheitsplan für den Fall, dass etwas passiert. 8000 Arbeiter in einem Berg! Keiner weiss, wo der andere buddelt. Zusammenstöße mit tödlichem Ausgang sind hier keine Seltenheit. Die Arbeitsbedingungen haben sich seit der Kolonialzeit nicht verändert. Am Ende der Tour steht eine Dynamitsprengung – als würde das gesamte Gesehene weggesprengt werden sollen – Verarbeitung eingeschlossen.

 

Minentouren werden von verschiedenen Tour Agenturen in Potosi angeboten. Ich habe die Minentour mit Greengo Tour durchgeführt.
Weitere Bolivien-Tipps
Weiterführende Informationen zur Arbeit im Cerro Rico in der Zeitonline (02.07.2013) und auf Reisedepeschen (2.10.2013)

6 Kommentare

  1. Brueckner sagt

    Dieser Artikel ist mir ganz schön an die Nieren gegangen und ich hatte Tränen in den Augen. Diese Minenarbeiter können das Leben nur mit Alkohol und Drogen einigermaßen meistern,das sind ihre Schmerzmittel, damit sie funktionieren und ihr besch….Leben ertragen können. Da hat sich seit der spanischen Eroberung nichts geändert. Wo ist da Evos Hilfe?

  2. Ninette Brückner sagt

    Schlimmer noch ist, dass die abgebauten Materialien u.a. nach Europa exportiert werden. Da fragt man sich: Schert sich Europa wirklich einen Dreck um die Arbeitsbedingungen? Hauptsache billige Mineralien einkaufen. Wen interessiert dabei schon das Leben eines bolivianischen Minenarbeiters.

  3. Toller Artikel. Ich würde jedoch im ersten Absatz den Begriff „Waggon“ durch Lore oder noch besser durch (Gruben-)Hunt ersetzen. Passt besser, weil auch auf dem dritten Foto eindeutig ein umgekippter Hunt zu sehen ist…

    • Danke Ingo – für Lob und Kritik! Waggon klingt vielleicht wirklich zu sehr nach netter Bahnfahrt. Tatsächlich handelte es sich natürlich um Förderwagen, also Hunte 😉

  4. Vielen Dank für den informativen und bewegenden Bericht. Man mag sich wirklich nicht vorstellen, wie der Alltag der Minenarbeiter aussieht. Umso wichtiger, dass ihr mit eurem Artikel darauf aufmerksam macht!

    • Danke Dir, Antje. Wir waren nur wenige Stunden im Berg und ich war ehrlich gesagt froh, als wir wieder draußen waren. Das Erlebnis klang wirklich noch Wochen nach auf meiner Reise – und ergreift mich heute noch. LG, Madlen

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