Allgemein, Antarktis, maddyswelt
Kommentare 1

Spuren im Schnee und die Magie des Lichts – von Orne Harbour in die Gerlache-Strasse

Orne Harbour, Antarktis

Es ist gegen 23 Uhr, als ich noch einmal über das Außendeck streife. Die Vorhänge vieler Kabinen auf Deck 6 sind bereits zugezogen, als sich vor uns das schönste Naturkino auftut. Die Landschaft der Antarktis ist dafür gemacht, sie als Gast zu besuchen, um dann wieder behutsam aus jener Traumwelt zu verschwinden. Für diesen Ort, der komplett den Naturgesetzen folgt und kein Besitztum kennt, kann man keine Dauerkarte erwerben.

Neumayer-Kanal, Antarktis

Neumayer-Kanal, Antarktis

Neumayer-Kanal, Antarktis

Nachdem der späte Sonnenuntergang um 22 Uhr die vergletscherten Berge des Neumayer-Kanals mit einem intensiven Orange beschenkt hat, verliert sich dieses am Horizont, um für ein tiefes Rosarot Platz zum machen.

Vor mir breitet sich eine Zuckerwattenlandschaft aus, eine Farbwelt wie im Lillifee-Land. Kitschig schöne babyblaue Eisberge, durch die unser Schiff gleitet, verschmelzen mit dem pinken Himmel. Nie sah ich bisher eine Landschaft in solchen surrealen Farbkompositionen, nie sah ich die Welt so pur und rein, so glatt, so traumhaft schön. Und das an einem der unwirtlichsten Orte, an dem es kaum Leben gibt. Auf Breitengrad 64,47 sind wir dem Südpol am Nächsten und kehren um. Wenn man glaubt, es gäbe keine Steigerung, dann wird man überrascht. Dabei hatte mich der Morgen in der Bucht von Orne Harbour schon mit einer makellos schönen Schneelandschaft, in der sich Pinguine tummeln, ergriffen.

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Ankunft in Orne Harbour

Nachdem wir Deception Island hinter uns gelassen haben, kreuzten wir mit der MS Midnatsol erneut die Bransfieldstraße, um in der Bucht von Orne Harbour in der Gerlache-Straße zu ankern. Diese Passage trennt die fransige Westseite der antarktischen Halbinsel von den Inseln des Palmer Archipels. Viele Namen stammen von belgischen Abenteurern und Entdecker – so wie auch de Gerlache. Anders als sein König zu dieser Zeit, der sich auf Kongo stürzte, interessierte den Marineoffizier der eisige Kontinent. Am Ende des 19. Jahrhunderts erkundete de Gerlache auf seiner Expedition diesen Wasserweg und benannte ihn zunächst nach seinem Schiff, der Belgica. Später wurde diese Meerenge zu Ehren Gerlaches umbenannt.

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Schneegipfel ziehen an meiner Fensterscheibe vorbei, als ich morgens den Vorhang zurückziehe. Wie immer eile ich noch vor dem Frühstück auf das Außendeck 6, auf dem mir ein eisiger Wind entgegenschlägt. Wir dürfen heute mit dem Expeditionsteam etwas früher rausfahren, um die Vorbereitungen mitzuerleben. Jedoch erreicht uns kurz vor 8 Uhr die Nachricht, dass das morgendliche Cruising gestrichen ist und auch die Landgänge sind noch ungewiss. Der Wind ist einfach zu stark und der Wellengang ermöglicht kein einfaches Einsteigen in die Tenderboote.

Orne Harbour, Anlandung mit dem Expeditionsteam, Antarktis

Orne Harbour, Anlandung mit dem Expeditionsteam, Antarktis

Landgang mit dem Expeditionsteam von der MS Midnatsol

Wie die Teammitglieder des Expeditionsteams auch befinden wir uns im Standby-Modus. Das heißt nicht nur warten, sondern auch unter vielen Pullovern und Jacken im Zwiebelschalenprinzip zu schwitzen. Nach einer Stunde erreicht uns die frohe Botschaft, dass wir unserem Ziel der Anlandung auf Orne Harbour ein Stück näher kommen – wir dürfen am Tender Pit auf Deck 3 warten. Und dann ist es soweit, das Expeditionsteam fährt raus. Und als nächstes steigen wir im Balanceakt in die wackeligen Tenderboote.

Die Fahrt hinüber zum entfernten Ufer gleicht einem Schlängellauf. Eisschollen treiben auf uns zu und schließen uns manchmal gar ein, während der Wind über die Wasseroberfläche fegt. Manchmal müssen wir einfach über das Treibeis hinweg fahren. Vor uns liegt am Horizont eine geschlossene weiße Oberfläche, in der wir schwer eine Anlandungsstelle oder gar Wege ausmachen können. Doch je mehr wir uns dem Land nähern, desto sichtbarer wird das Expeditionsteam mit seiner leuchtend rot-blauen Kleidung.

Und dann zeichnet sich vor uns im Schnee eine feine Linie im Zick-Zack-Kurs ab. Orange Hütchen kennzeichnen die Kurven. Auf dem Gipfel schaufelt das Expeditionsteam noch Wege frei und setzt weitere Markierungen. Bald setzt sich unser kleiner Tross in Gang und kommt doch immer wieder zum Halt. So schön ist die Szenerie und das kontrastreiche Spiel von Wasser, Schnee und Gestein.

Orne Harbour, Anlandung mit dem Expeditionsteam, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Mit Arved Fuchs im Eis von Orne Harbour

Einmal auf dem Gipfel angekommen, liegen uns der Errera Kanal, die Gerlachstraße und die Anvers und Brabant Inseln zu Füßen. Mein Blick schweift über die Wasser-, Berg- und Schneelandschaft, während ich etwas abseits von unserer kleinen Gruppe und dem Expeditionsteam die totale Stille genieße.

Emsig wird ein Zelt-Replikat aufgebaut, das Amundsen 1911 auf seiner Fram-Expedition in den Südpol verwendete. Unweit vom Zelt hält der Polarexperte Arved Fuchs, der unsere Fahrt in die Antarktis begleitet, für eine Fotosession ein Stück Stoff in den Himmel, das die Aufschrift „In jedem steckt ein Entdecker!“ trägt. Im Jahr 2000 hat Fuchs die berühmte Shackleton-Expedition mit einem originalgetreuen Nachbau seines Schiffs wiederholt. Er war zu Fuß am Nordpol und Südpol binnen eines Jahres, weiß, wie es sich anfühlt, mit seinem Segelboot tagelang vom Treibeis eingeschlossen zu sein und sich in Geduld zu üben, hat Kap Hoorn mit Kajak umrundet und noch viel mehr.

Orne Harbour, Anlandung mit Arved Fuchs, Antarktis

Orne Harbour, Anlandung mit dem Expeditionsteam, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

In jedem seiner Worte steckt so viel Lebenslust, Motivation und Erlebnisdrang – die einen nicht minder hier an Ort und Stelle prägen. Gedanken, denen ich in den ruhigen Minuten im Eis nachhänge: „Man muss das Potential nutzen, dass das Leben uns gegeben hat.“ oder „Das Abenteuer findet im Kopf statt, da muss die Bereitschaft vorhanden sein, aufzubrechen. Aber auch der Wille, Grenzen zu sprengen, Äußere und vor allem auch Innere.“ Jede Reise durchlebe ich auf zwei Ebenen – zum einen ist da das Erleben selbst und zum anderen das, was das Erlebte mit einem macht. So be- und verzaubernd die Expeditionen auf diesem unbewohnten Kontinent sind, so faszinierend ist auch das Kopfkino, die Gedankenwelt.

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Die langen Wege der Zügelpinguine

Hinter mir liegt am Ende des markierten Pfads eine kleine Zügelpinguinkolonie. Während einige Pinguine schon bäuchlings im Schnee und auf den Felsen liegen und mit dem Brüten begonnen haben, eilen andere im Wackelgang an mir vorbei. Da auf den Berggipfeln Schnee und Eis am schnellsten abtauen, werden diese wärmenden Orte am liebsten als Brutstätten aufgesucht.
Aus der Ferne zeichnen sich klare Konturen und Linien auf den Bergrücken ab, auf deren Hängen die flugunfähigen Vögel emsig entlang watscheln und hüpfen. Wie ein löchriger Käse schaut der Schnee aus, durch den sich die Pinguine gearbeitet haben. Skuas, die „Bad Boys“ der Antarktis, lauern in der Umgebung auf den Moment, Eier oder später auch Jungtiere zu klauen und zu verspeisen.

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Hinter dem Gipfel befindet sich wieder als Kontrast zum strahlenden Hellblau das tiefblaue Meer. Egal zu welcher Seite man auch schaut, diese Eislandschaft bietet ein Traumbild von der Antarktis.

Am späten Nachmittag können wir noch einmal durch die Eis- und Gletscherlandschaft cruisen. Im Zick Zack Kurs zeichnen sich unsere Fußstapfen noch am Hang ab. Wie lange wird es wohl dauern, bis die Spuren als einzige Erinnerung an unserem Besuch verwischen?
Zwischen Eisbergen und Treibeis fahren wir zu Gletscherabbruchkanten und genießen wieder die skurrilen Abreibungen und Formationen.

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Zum Sunset durch die Gerlache-Straße und den Neumayer-Kanal

Es fällt mir schwer, die strahlende Eislandschaft am Abend zu verlassen, obwohl unser nächstes Ziel nur eine Bucht weiter liegt. Danko Island will der Kapitän ansteuern.
Doch zunächst überrascht er uns noch mit einer Sunset-Fahrt durch die Gerlache-Straße und den Neumayer-Kanal. Die bergigen Uferzonen schließen immer mehr das Schiff ein. Schneebedeckte Gletscher zeichnen im zarten Pinselstrich den Horizont. Dazwischen liegen Eisberge und Eisschollen, durch die wir entschleunigt gleiten.

Und dann ist es da, das magische rosarote Licht am Himmel. Im Bug stehen zwei Teammitglieder, die sich leise unterhalten, ansonsten ist das Außendeck komplett verwaist. Ich spüre gewisse Rastlosigkeit in der energiegeladenen Atmosphäre, drehe Runde für Runde, um das Gesamtbild zu erfassen. Irgendwann setze ich mich, komme zur Ruhe und genieße die taghelle Nacht. In diesem Moment begleiten mich Arved Fuchs‘ Worte. „Ich lebe permanent meine Träume.“ Und ich frage mich, ob in diesem Augenblick mehr Leben oder mehr Traum steckt.

Neumayer-Kanal, Antarktis

Neumayer-Kanal, Antarktis

Neumayer-Kanal, Antarktis

Neumayer-Kanal, Antarktis

In Kürze findet ihr hier im Blog noch mehr Berichte, Geschichten und Eindrücke von meiner Reise in die Antarktis und den chilenischen Fjorden!
PS: Meine Reise auf den Social-Media-Kanälen:
#hurtigruten &
#flaggesetzen &
#allesaufa

Orne Harbour, Antarktis

Orne Harbour, Antarktis

Mehr zu unserer Reise findet ihr auch in meinem Blog unter Antarktis.

Lektüre zur Antarktis:

Ich wurde von Hurtigruten zu dieser Recherchereise in die Antarktis eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.

1 Kommentare

  1. Hi Mad!

    Das sind ja wirklich unglaublich beeindruckende Bilder! Wir sind gerade in Argentinien und sehr bald in Feuerland – bis zur Antarktis werden wir jedoch nicht gelangen :)

    Liebe Grüße,
    feli

Schreibe einen Kommentar zu feli Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert