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Und dann kam Laurencia… Eine Geschichte vom Fliegen

Air Dolomiti

Nervös schaue ich auf das Flugticket meines Sitznachbarn. Immer wieder lese ich „Boarding 6.30 Uhr – Abflug 7.00 Uhr – Verona-Monaco“. Das Blut schießt mir in den Kopf, meine Hände und Füße beginnen zu kribbeln. Ich schaue mich um und entdecke nur Italiener. Ihr Ziel ist unklar. Wieder starre ich auf das Ticket in der Hand meines Nachbarn und mustere ihn von Kopf bis Fuß. Wer ist hier falsch? Zum zigsten Mal gehe ich alle Wege im doch recht überschaubaren Flughafen Veronas durch. Wo ist der Fehler? Hätte es nicht auffallen müssen, mit diesem Ticket einzuchecken? Monaco? München? Es war einfach alles viel zu schnell gegangen, der Abschied von Verona, von Italien… Es könnte durchaus sein, was nicht sein darf. Sitze ich wirklich auf der falschen Maschine? Nach nur zwei Stunden Schlaf mag ich das nicht mehr mit Sicherheit verneinen. Zu hektisch war das abgelaufen, was ich noch vor zwei Stunden erlebte.

Der Weckruf riss mich um 5 Uhr aus meinem viel zu kurzen Schlaf. Eine halbe Stunde später befand ich mich geistig noch immer im Trance, war aber physisch startklar oder einfach nur da. Dort, wo sonst nur noch der Nachtwärter wartete, an der Rezeption. Nicht minder müde, aber dennoch im professionellen Wachzustand überreichte er mir ein kleines Frühstückspaket. Der Shuttle sollte längst auf mich warten, aber so richtig wollte mich das noch nicht stören. Seltsamer fand ich, dass das zweite Frühstückspaket noch auf seinen Abholer wartete. Und während ich langsam meinen Denkprozess anstieß, „was wäre wenn“, fing der Nachtwärter meinen Blick auf und fasste ihn in Worte. Ob ich eine Nummer von dem zweiten Frühstückspaketempfänger hätte. Nein, habe ich nicht. Ich kenne zwar all seine Social Media-Konten und seinen Blog, aber eine Nummer hatte ich nicht. Was sollte diese auch nützen. Längst hatte der Nachtwärter schon geklopft und mehrfach angerufen, alles ohne eine Reaktion.

Flughafen Verona

Flughafen Verona

Wir sollten um 7 Uhr gemeinsam nach München fliegen. Nun wurde auch ich nervös. Vielleicht war der Nachtwärter zu zaghaft an die Nummer gegangen, also pochte ich so laut wie möglich und so dezent wie nötig an die Zimmertür, während es der Nachtwärter telefonisch versuchte. Mein Blick fiel immer wieder auf die „Bitte nicht stören“-Schilder an den Nachbarzimmern. Nach zehn Minuten raffte ich, dass nicht nur mein Reisebegleiter mein Problem war, sondern ebenso der nicht vorhandene Shuttle. Ich ließ den Nachtwärter die Möglichkeit eines Taxis aussondieren, während ich mich wieder der Tür widmete. 60 EURO würde ein Taxi kosten. Ufffff, das ist ne Stange Geld.

Die Gardesana und die Dorfstraßen waren wie ausgestorben, 70 Minuten vor Abflug kein Fahrer weit und breit. Das Adrenalin begann meinen Denkprozess auf die Sprünge zu helfen. Nicht der leichtfüßige Abenteurer ist mein Problem, sondern mein eigener Flug war plötzlich gefährdet. Noch während ich auf der Straße stand und in die Weite starrte, begann es mir ganz klar zu werden. Ich hatte einfach zu lange gewartet. Pronto, pronto war nun meine Devise, eine Liste an Taxiunternehmen wurde hurtig abtelefoniert. Kein Taxi konnte oder wollte am Sonntagmorgen kurz vor um 6 Uhr. Frühstens in 20 Minuten! Zehn Minuten vor Torschluss ergibt eine Minusbilanz von 20 Minuten. Der Flieger wäre weg! Die Nervosität stieg und mit ihr die Anzahl der negativen Antworten.

Und dann war da diese Frau und ein langes Telefonat. In 15 Minuten könne sie hier sein, vielleicht auch in zehn. Ich sah eine Catwoman einfliegen, während ich im Dämmerzustand niedrigste Mathematik betrieb. Die Rechnung war negativ, aber von mir aus könne man es wagen. Also her mit dieser Frau! Nach zehn Minuten fuhr eine schwarze Limousine vor, Laurencia stieg aus. Im toughen Ton klärte sie mich auf: Verona sei 30 bis 40 Minuten entfernt, eine 50/50-Chance, wir könnten es versuchen. Dennoch das ganze hat seinen Preis. Und warum nur habe ich kein Taxi am Vorabend bestellt. Sie sei gekommen, weil sie sich eine hilflose, alte Frau am Telefon vorgestellt hatte, die vom Hotel in Stich gelassen wurde. Der Anruf habe sie direkt aus dem Bett ans Lenkrad katapultiert – ungewaschen und mit ungeputzten Zähnen, das betonte sie mehrfach. Laurencia trat auf’s Gas, ja, sie arbeitete an ihrer „Record“. Sie sei ein „crazy driver“, deshalb habe man sie sicherlich angerufen. Und tatsächlich war sie genau das, was ich in diesem Moment brauchte. Ihre Art begann mich zu beruhigen.

Air Dolomiti Flugzeug

Air Dolomiti Flugzeug

Gate

Gate

Eine halbe Stunde vor Abflug fuhren wir vor. Laurencia hatte gegen die Zeit gesiegt, war auch nicht anders zu erwarten. Schließlich ist der Name Programm. Schnaubend erreichte ich den verwaisten Check-in. Bin ich zu spät? Nein, der Flieger gehe erst in zwei Minuten oder sein Desk schließt dann. Ich raste durch die Halle und landete direkt in der schon boardenden Schlange. Hinter mir fiel die Tür zu. Die Maschine setzte sich noch vor offizieller Abflugzeit in Bewegung. Punktlandung! Jede Minute später wäre eine Minute zu spät gewesen. Müde schließe ich die Augen und lasse die Geschichte noch einmal passieren – in verschiedenen Variationen. Als ich aufwache fällt mein Blick auf die Hände des Sitznachbarn und dann auf sein Ticket. Was wäre wenn? Ich tauche ab in eine türkis-blaue Farbenwelt. Alles ist möglich, Monaco nicht ausgeschlossen. Und dann wandert mein Blick zum Fenster. Ich erblicke schneebedeckte Gipfel und atme erleichtert auf.

7 Kommentare

  1. Puh, Glück gehabt! Das liest sich ja spannender als jeder Krimi!

    Vor soetwas habe ich auch immer Angst, aber zum Glück war ich noch nie in so einer Situation!

  2. Zu so früher Zeit liest Du schon meine Geschichten? Ach, Du machst mich glücklich 😉 Das war wirklich ein crazy Morgen, vielleicht auch doppelt so crazy, weil ich einfach todmüde war… Und irgendwie ist ja alles möglich.

  3. Das Interieur der Maschine sieht ja ziemlich nach den 60er/70er Jahren aus…

    Ganz davon abgesehen: Tolle Story, ich habe am Ende sehr schmunzeln müssen.

    • Danke, Ingo. Ja, mit der türkis-blauen Farbenwelt ist nicht nur die des Mittelmeers gemeint. Der Flieger war sehr speziell, aber mir gefielen Design und Farbe.

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