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Abgetaucht

Utila_Strand

Ich war für alles gewappnet, als ich nach zwei Jahren endlich mal wieder den Neoprenanzug und die Taucherausrüstung überstreifte. Wer auf Utila ist, muss es einfach tun, denn ohne Tauchgang macht Utila nur halb so viel Spaß. Das ist eben so wie auf dem Sinai in Ägypten.

Wie war das gleich noch mal mit den Unterwasserzeichen? Daumen und Zeigefinger zu einem ovalen Ei geformt, das verstehe ich noch. Alles bestens! Der Pioniergruß verheißt, wie man es nimmt, nichts Gutes oder etwas Sensationelles – denn dann ist ein Hai in Anmarsch. Während ich mein in Thailand erlerntes Wissen ein wenig auffrischte, träumte ich schon von dem Farbenspiel der Korallen und kleinen, bunten Fischen. Von mir aus konnte es gern dabei bleiben. Die Ästhetik ist mir auch beim Tauchen wichtiger als der Kick. Kleine bunte Fische erfreuen mich tatsächlich mehr, als jede hässliche Muräne oder der Tiefgang auf 30 m. Bei 18 m sehe ich noch wunderbar, danach drückt es mir nur auf den Ohren und unsichtbare Kräfte beginnen, an meinem Leib zu ziehen. Und sehen tue ich da unten ohnehin nichts mehr. Die Welt unter 18 m Tiefe wird mir zu grau. Und auch das zirpende Konzert der Fische weicht plötzlich der Stille.

An diesem Morgen gehe ich meinen vierten Tauchgang an. Tauchgänge in Little Bight auf der Südseite, Ragged Cay an der Westseite und The Maze auf der Nordseite lagen bereits hinter uns. Wir wurden langsam wieder zu echten Tauchhasen. Und nun steuerten wir Ron’s Wreck auf der Südseite der Insel an.

Wieder geht es auf die Bootaußenkante und so lasse ich mich nach hinten plumpsen. Ein Meter, drei Meter, vier Meter, fünf Meter geht es runter. Halt, wo ist gleich mein Buddy? Ich habe ihn verloren. Meine Schwester mit ihrem Fliegengewicht war einfach wieder aufgetaucht. Ohne Buddy geht beim Tauchen nun mal nichts und so musste auch ich nach oben, um bald wieder gemeinsam mit meiner Schwester in die Tiefe der Karibik abzutauchen.

Zimmerausblick auf Utila

Zimmerausblick auf Utila

Tauchschule auf Utila

Tauchschule auf Utila

Mit jedem Meter, den ich an Tiefe gewinne, verliere ich das Gefühl in meinen Gliedmaßen. Alles, was ich noch vernehme, ist ein leichtes Kribbeln, das immer stärker wird. Und plötzlich sticht es in meinen Händen, dann in meiner Kniekehle. Ich verliere erst das Gefühl, dann ein wenig den Verstand. In wenigen Minuten blättert mein Kopf genau das Kapitel im Schnelldurchlauf durch, das etwas über die Gefahren des zu schnellen Ab- und Auftauchens Auskunft gibt. Und genau da verirre ich mich im Kapitel.

Denn vor uns taucht plötzlich ein großer Fisch auf oder was man dann so unter Wasser als groß empfindet. Kurz vor meinem Gesicht bleibt er stehen, um mich aus seinen riesigen starren Augen anzuglotzen. Alle schauen interessiert auf diesen Fisch, dessen Maul groß und gefährlich erscheint. Vorsichtig hebe ich meine Hand, um einen Pioniergruß in Richtung meines Divemasters Barak anzudeuten. Meine Augen schauen in diesem Moment mindestens genauso fragend wie die meines Gegenübers, des unbekannten Wesens, für das ich genauso interessant bin. Die Sekunden erscheinen endlos, bis der Fisch abrupt abdreht und wie ein Pfeil nach rechts ins graue Nichts der Unterwasserwelt verschwindet.

Wir schwebten weiter über farbenfrohe Korallenriffe, vorbei an Rochen und Muränen zu einem Schiffswrack. Der Tauchgang setzte wahre Glücksgefühle frei, nach der Begegnung mit dem vermeintlichen Hai. Da blätterte mein Schmerzzentrum wieder das Kapitel der Krankheitssymptome auf und mein Bein wurde erneut attackiert von Stichen, die sich über meinen ganzen Körper ausbreiteten. Das Schmerzzentrum war plötzlich überall. Ich begann panisch zu werden, sah Gasblasen in meinem Körperinneren aufsteigen. Meter für Meter rauschte an mir vorbei. Und da war das Bild einer aufschäumenden Sprudelflasche, wohl das einzige, das ich mir aus meinem Tauchbuch gemerkt hatte. Ich kämpfte plötzlich an verschiedenen Fronten, denn nun kam auch Wasser in meine Maske. Verschwommen sah ich, wie sich Barack wild gestikulierend unter mir immer weiter entfernte und als mein Blick nach oben ging, sah ich schon die schwappenden Wellen der Oberfläche. Plötzlich realisierte ich, dass ich wie ein Luftballon aufgestiegen war, unkontrolliert und viel zu schnell. Kein Boot, in meiner Nähe. Ich begann zu paddeln, dann legte ich mich wieder in die Wellen.

Strand

Strand

Dorfstraße

Dorfstraße

Hinter mir hörte ich ein Geräusch, das immer näher kam. Der Bootsmann hatte mich zum Glück aus der Ferne geortet und zog mich in Windeseile an Bord. Ich musste mich erklären. Wo ist mein Buddy und wo ist Barack? Langsam begann ich anzudeuten, was mich so schnell in die Höhe getrieben hatte. Da begannen die Dinge ihren Lauf zu nehmen, ohne dass ich noch einen Einfluss darauf gehabt hätte. Ehe ich mich versah, bekam ich eine Maske übergezogen und hing an einem Sauerstoffgerät. Als Marie, eine andere Instruktorin, das Boot mit ihrer Gruppe erreichte, nahm sie sich meiner an und machte verschiedene Übungen mit mir. Das Ergebnis war wohl nicht befriedigend genug, denn nun wurden alle Tauchgänge abgebrochen und wir steuerten umgehend die Tauchschule an. Dort wurde ich mir meiner Lage bewusst.

Die Leere des Raums verschluckt uns. Der Druck zerbricht meine Gedanken. Nun bin ich der Fisch im Aquarium. Alle schauen durch die Scheibe der Dekompressionskammer. Es gibt nichts, hinter das ich mich verstecken könnte. Nur eine kahle Bank, die Temed und ich für die nächsten fünf Stunden beziehen, dient als Inventar. Hier werden wir nun in eine Druckumgebung gebracht, die in 18 m Tiefe herrscht. Meine Ohren kämpfen. Es knirscht nur so, was Hammer, Amboss und Steigbügel an Geräuschkulisse so hergeben. Wir verweilen für 30 Minuten in der Tiefe. Dann steigen wir Stück für Stück mit dem Druck. Wie ein Fisch tauche ich behutsam auf – 15 m, auf 9 m – immer mit Stopps. Nicht nur mein Geist langweilt sich in diesem jämmerlichen Zustand zu Tode. Meine Gliedmaßen scheinen ebenso eingenickt zu sein. Beim Aufsteigen macht sich erneut ein Taubheitsgefühl in meinen Gliedmaßen breit. Ich möchte es nicht erwähnen. Fünf Stunden bester Tageszeit in der Karibik verbringe ich in einer Druckkammer anstatt am Strand. Zu sehr fürchte ich, noch einmal Hinabgelassen zu werden, bis sich mein Körper wieder normal anfühlt. Temed redet immer wieder auf mich ein. Klar, auch er langweilt sich. Doch er kann wenigstens frei reden. Ich kann meistens nur nicken, da ich eine Sauerstoffmaske tragen muss. Während mein ganzer Körper zu schlafen scheint, ist mein Geist so klar wie selten. Gern wäre ich benebelt, dann fühlte ich wenigstens kein Schamgefühl. Doch so sitze ich einfach nur auf meiner Bank und starre aus meinem U-Boot in die ernsten Gesichter derer, die mir kurz zuvor noch berichteten, dass sie meinetwegen heute die Party absagen würden. Es gibt kein Entkommen, ich kann mich diesen Blicken einfach nicht entziehen.

Ich schließe meine Augen, während ich meinem tiefen Atem unter der Maske lausche, der fließend in ein Meeresrauschen übergeht. Vor mir sehe ich bunte Fische, denen ich hinterher schwimme. Der Ozean rauscht an mir vorbei. Blasen atme ich aus, Blasen sauge ich auf. Dabei beginnt meine Blase zu drücken. Ich glaube am Druck zu zerbersten, die Blase zum platzen zu bringen. Die ganze Blase ein einziger Traum! Die kahle Röhre verschlingt mich, trägt mich in ihrem Bauch. Ich spüre den Druck auf meiner Haut. Jemand wird kommen, um den Knopf zu bedienen, um mich aus dem Albtraum zu entlassen.

Plötzlich durchdringt die tiefe Stimme des jungen Israelis an meiner Seite die Stille der Dekompressionskammer. „The Barracuda was really great.“ Da sind wieder die starren Augen direkt vor mir, die mich fixieren. Langsam quiekse ich in die Sauerstoffmaske während sich mein Brustkorb immer unrhythmischer hebt und senkt. Dann beginne ich laut zu lachen. „No Tiburón? Nur ein blöder Pfeilhecht?“ Auch Temed beginnt herzhaft zu lachen. Einen Moment lang füllt unser Gelächter die Dekompressionskammer mit Leben.

Dieser peinliche Moment ereignete sich am 19. März 2002 auf Utilá in Honduras. Leider war ich damals noch ein Greenhorn bezüglich der fotografischen Dokumentation – ich habe tatsächlich kein einziges Foto von dieser komischen Röhre und von der Unterwasserwelt sowieso nicht. Daher nur ein paar Bilder von Utila.

Was sind Eure peinlichsten Erlebnisse auf Reisen? Verratet sie mir!

 

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