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Anakao, das Meer und Fifty Shades of Blue

Anakao

Zebukarren fahren am schmalen Strandstreifen entlang und kommen vor uns zum Stehen. So ganz will ich nicht verstehen, bis ich sehe, dass der erste beladene Karren zum Boot nach Anakao übersetzt. Nun sind wir an der Reihe. Mein Rucksack wird gerade auf das Boot geladen, als mir der Mann auf dem Karren seine Hand reicht. Ich solle aufspringen.

15-20 m ziehen uns zwei Zebus durch das flache Wasser – gewiss mein ungewöhnlichstes Boarding bisher. Ich reiche dem Mann auf dem Zebu einen Schein, als am hinteren Ende des Karrens drei weitere Gesichter auftauchen und behaupten, an unserer Überfahrt beteiligt gewesen zu sein, was sie sich belohnen lassen möchten. Auf dem Schnellboot, das uns in einer Stunde nach Anakao bringen soll, sitzt nur eine italienische Familie, die wir bereits im Isalo NP trafen. Über das ruhige Meer gleiten wir einmal über den südlichen Wendekreis.

Dorfleben von Anakao

Als wir nach einer Stunde um eine Bucht fahren, sehe ich von Weitem schon die braun-beigen Strohdächer am Strand. Dort muss es sein – Anakao, das kleine Paradies südlich von Tuléar. Je mehr wir uns dem Ufer nähern, desto mehr nehmen die braun-grünen Flächen hinter dem strahlenden Sandstreifen Konturen an und zeichnen Umrisse von Hütten in das trockene Gebüsch. Aus dem türkisfarbenen Wasser des Indischen Ozeans schauen Köpfe heraus. Mütter ziehen Kinder durchs Wasser, Jungs schnorcheln oder lassen sich auf Holzbrettern treiben. Die gesamte Bevölkerung von Anakao scheint sich morgens um 11 Uhr im und am Wasser aufzuhalten. Sie lebt nicht nur am Wasser, sondern auch mit und von dem Wasser. Hier werden Töpfe abgewaschen, wird Körperpflege betrieben und auch gern mal das kleine oder große Geschäft erledigt. „Cadeau, Cadeau“ schallt es zu uns ins Boot hinüber. Mütter ermahnen ihre Kinder mit einem gefauchten No, uns weiter anzubetteln. Doch hier fehlt es schon am Nötigsten. Dass ein Ort am Meer so nach Wasser dürstet, ist kaum vorstellbar. Und doch wird immer wieder nach „Eau vive“ gefragt. Sauberes Trinkwasser gibt es hier nur in teuren Flaschen.

Verlassen im Paradies

Eine Nacht lassen wir uns mitten im Dorf nieder und beobachten das bunte Treiben. Wie die gefleckten Segeltücher stramm dem Wind strotzen. Als wenige Stunden später das Wasser immer mehr verschwindet, verschwinden auch die wunderschönen Boote aus dem Meer. Bald sind alle mühevoll mit ausreichend Manpower ans Land gezogen und zieren den Strand. In der glühenden Hitze schleppen wir uns im madagassischen Rhythmus „mora, mora“ durch den einsinkenden Sand. Wir wollen die Gegend ein wenig erkunden, und doch fällt jeder Schritt schwer. Auch das Denken fällt schwer. Eine Bucht weiter schaffen wir, dann kehren wir um. Nach einer Pause loten wir die nördliche Dorfgrenze aus und finden in einer kargen Buschlandschaft 800 m vom Ortsende ein Schild mit der Aufschrift Glacier. Wir erwarten, dass dieser Glacier-Laden längst seine Tätigkeit eingestellt hat, denn Touristen kann man hier wie anderswo in Madagaskar in der Nebensaison zählen. Wie erstaunt sind wir, als uns eine junge Französin mit einem freundlichen Strahlen auf der Düne empfängt. Die Wanderung durchs Niemandsland hat sich gelohnt. Selbstgemacht, frisch und fruchtig genießen wir ihr handgemachtes Eis bei grandioser Aussicht übers Meer. So schön dieser Ort auch ist, so ganz allein ein Holzhäuschen auf einer Düne mit Meerblick, so sehr liest man aus jedem ihrer Worte heraus, dass sie hier nicht sein will. Tatsächlich entpuppte sich der Kauf des Grundstücks als kleine Enttäuschung und peu à peu wurde ihre Geschichte zu einem „Gefangen im Paradies“.

Ein weiterer Tag am Strand – wir sind an den nördlichen Ortsrand gewechselt – etwas weg vom Geschehen und näher an Mad Nad, dem Eisladen dran. Der kräftezehrende Marsch zur neuen Unterkunft ist ein kleiner Spießroutenlauf – zwischen den eigenen Schweißperlen, den groben Körner des Sandes und den Offerten der Einheimischen, die aus Zöpfe flechten, Pirogenfahrten und Massagen bestehen. Auch Geschenke sind sehr erwünscht, mehr Kommunikation lassen weder ihre noch meine Französisch-Kenntnisse zu. Am Strand mischen sich Seealgen mit Klamotten, Plastik und Müll. Frauen heben Dinge aus dem angeschwemmten Treibgut auf, um sie nach Weiterverwendung zu prüfen. In Schüsseln balancieren sie frischen Fisch auf ihren Köpfen. Wie elegant sie sich doch durch den tiefen Sand bewegen. Man sieht den Stolz in ihren Gesichtern.

Sextourismus am Traumstrand

Wir sind nicht viele Ausländer in diesem Dorf, das mag an der Nebensaison liegen, die neben uns hauptsächlich alte europäische Männer heranspült, die hier ein bisschen Liebesglück suchen. Als in unserer Unterkunft ein alter Deutscher mit drei Kindern im Schlepptau auftaucht, können wir uns nur noch fremdschämen. Sextourismus spielt eine Rolle wie an vielen Orten dieser Welt. Trotz der gesetzlichen Strafe von 10 Jahren bei Sex mit Minderjährigen, schreckt das nicht wirklich ab. Dabei sind wir noch nicht mal auf der beliebten Insel Nosy Be, vor der uns jeder warnt. In unserer neuen Unterkunft sind zwei weitere Gäste, ein vermeintlich verliebtes Paar. Er Franzose, sie Madagassin – Händchenhaltend gehen sie tagein, tagaus ins Wasser und ins Restaurant, um so wieder in ihrer Hütte zu verschwinden. Wir kaufen ihnen die Liebe völlig ab. Später entzaubert unsere Eisverkäuferin diese Liaison. Sie ist eine bekannte Prostituierte, die nächste Woche mit dem nächsten Händchenhaltend dem Sonnenuntergang zuschaut. Als ich das Mädchen später auf dem Bildschirmschoner des Franzosen entdecke, frage ich mich, wer spielt hier eigentlich wem etwas vor und welches Herz ist am Ende doch gebrochen.

Meerblick und nicht mehr

Strandtage sind grundsätzlich nicht mein Ding, und doch bin ich hier dazu verdammt. Was sollte ich auch sonst tun? Ein türkisfarbener Traum liegt vor mir – ein Stillleben, das nur von dahingleitenden Pirogen Abwechslung erfährt. Es ist wie eine Leinwand, die die Projektion des endlos gleichen Bilds des Meeres zeigt, in das die Segel schippern. Zum Eindösen genau das Richtige. Von meinem Balkon schaue ich auf das glitzernde Meer, schaue den Gezeiten zu, wie sie kommen und gehen und sehe am anderen Ende der Bucht schemenhaft das Treiben des Dorfes. Ist das das Paradies?

Ich möchte einfach nur hinaus aufs Meer starren, dem Funkeln der Wellen dabei zuschauen, wie es sich im Ozean verliert, bis die Lider zufallen. Das Wasser färbt sich vor unseren Augen schwarz unter dem schwindenden Licht der Mondsichel, die allmählich erlischt. Das Meeresrauschen dringt durch die geöffneten Fenster unserer Holzhütte und wiegt mich in den Schlaf. Die gleiche Melodie, die mich nachts begleitet, weckt mich sanft am Morgen. Ich trete hinaus auf den Balkon – vor uns liegt am Horizont der weiß-grüne Streifen von Nosy Ve.

Nosy Ve – Eine Insel für uns allein

Eine Piroge wartet bereits darauf, uns überzusetzen. Das beige Segel wird gezogen und schon gleiten wir dahin. Geschwindigkeit spürt man nicht. Mora, mora – alles fließt, auch die Worte unserer zwei Begleiter. Als ich mich 10 Minuten später umdrehe, merke ich erst, dass der Ort schon weit hinter uns liegt. Der helle Fleck am Horizont scheint sich zu nähern. Und dann geht das Dunkelblau in einen türkisfarbenen Ton über. Kleine helle Sandflecken schauen aus dem Meer. Etwas mehr als eine halbe Stunde später legen wir an. Rotschwanztropikvögel kreisen kreischend über unseren Köpfen. Ansonsten herrscht totale Stille. Der Parkwächter kommt, uns abzukassieren, dann sind wir wieder allein. Wir gehen hinauf zu einem Baum, wo das Segel bereits ausgebreitet ist für das spätere Picknick. Keine Palme und doch ein kleines idyllisches Paradies. Drei Hühner stellen sich vor die Decke und starren uns an, als wären wir nicht von hier. Im Gebüsch kauert ein Rotschwanztropikvogel, der brütet. Ein Männchen nimmt Landeanflug auf diesen Busch. Ansonsten passiert nicht viel in den folgenden fünf Stunden und doch sind wir fasziniert. Beeindruckt von der Farbpalette, die das Meer mit der mittäglichen Ebbe freigibt, beeindruckt von der Leere dieser unbewohnten Insel, die als Highlight-Tour in Anakao verkauft wird, beeindruckt von der Ruhe, die plötzlich von einem Grollen am Horizont über dem Festland durchbrochen wird. Als wir nach Anakao zurückkehren, begleiten uns drei Delfine. Begeistert schreie ich „Dolphins“ heraus. Unser Bootsmann schaut hinüber und lächelt nur müde. Das Paradies ist immer anderswo. Wir haben es für einen Moment gefunden.

Auf dem Rückweg nach Tuléar verlässt uns 30 Minuten vor unserem Ziel der Motor. Das sanfte Schnurren geht in ein abruptes Stottern über. Wir liegen plötzlich vor Madagaskar. Am Horizont erblicken wir die Skyline von Tuléar, so nah und doch so fern. Vezo-Männer segeln an uns mit ihren farbigen Tüchern vorbei. Einen Augenblick genieße ich das Stück geschenkter Entschleunigung und die 50 Schattierungen des Blaus, mit denen sich der Indische Ozean von uns verabschiedet.

Was man sonst noch zu Anakao wissen sollte?

In Anakao sind Wasser und Elektrizität ein kostbares Gut. Die meisten Unterkünfte haben somit nur eine Eiterdusche. Strom ist teilweise erst ab 18 Uhr vorhanden und zum Aufladen muss man dann die Steckdosen in den Gemeinschaftsräumen nutzen.

Hier wird auch vermehrt gebettelt. Wer etwas geben möchte, dem seien Nahrungsmittel, Bonbons, sogar Wasser, oder Klamotten empfohlen.

Anakao liegt in einer Bucht, in der sich auch die meisten Lodges befinden. Es ist offensichtlich, das Wasser ist der Ort für das ganze Dorf. Dementsprechend wird auch alles darin verrichtet. Für Hygiene-Nerds ist dieser Ort nichts.

Erreichbarkeit

Man erreicht Anakao mit dem Schnellboot Anakao Transporte von der Bar Blu in Tuléar. Die ca. einstündige Überfahrt kostet Hin und Zurück 100.000 Ariaray. Es gibt auch einen Landweg, der aber bedeutend mühevoller (großer Umweg) ist und länger dauert.

Unterkünfte

Peter Pan

Die Top Choice des LP hat sich für uns eher als Enttäuschung herausgestellt. Da wir mindestens vier Tage hier verweilen wollten, hatten wir uns auf eine Hütte mit Meerblick gefreut. Bei unserer Ankunft wurde uns dann trotz Reservierung die letzte freie Hütte in der hintersten Reihe angeboten, die auch von der Ausstattung trotz gleichem Preis einfacher gehalten war. Die ohnehin kleine Matratze war super durchgelegen und bog sich nach oben. Das Pricing hat sich uns hier nicht erschlossen. Gerade auch, wenn man diese Unterkunft mit anderen im Ort vergleicht, die nur unwesentlich teurer sind, dafür aber alle Meerblick haben und meist auch besser ausgestattet sind. Auch die Gemeinschaftsarea ist hier nicht wie bei anderen luftig frei, sondern in einem Holzhaus, das lediglich ein Lüftchen durch die offenen Fenster reinlässt. Peter Pan ist die einzige Unterkunft neben Chez Emilie, die im Ort ist und somit auch wirklich den Strand mitten im Dorf hat. Die Unterkunft selbst wird von zwei jungen Italienern geführt, wir lernten nur einen kennen. Sie versprüht ein bisschen die Abhängatmosphäre, die viele Backpacker suchen. Mit der Kokosnuss in der Hängematte findet man auch den Besitzer tagsüber. Und so kann man es ihm in den Hängematten oder Liegestühlen am Strandstreifen gleichtun. Das Karte des Restaurants liest sich gut unsere vegetarische Pasta war lecker. Und auch Aktivitäten werden hier angeboten. Sicherlich ein Treff, um mit anderen Reisenden ins Gespräch zu kommen – bei uns waren es vornehmlich Italiener.

Preis pro Hütte: 70.000 Ariaray (Englisch wird gesprochen)

Lalandaka

Nachdem wir nach einer Alternative zu Peter Pan suchten, wurden wir am nördlichen Ortsrand fündig. Ruhig gelegen direkt am Meer laden die Holz- und Steinhäuser zum Verweilen ein. Drei der Hütten sind sogar direkt am Strand – jede mit eigenem Balkon. Nicht nur die eigenen Hütten und der offene und freundliche Gemeinschaftsbereich haben uns hier gleich wohl fühlen lassen. Auch der Umgang ist super zuvorkommend und äußerst freundlich – von den Angestellten bis zu den Besitzern. Wer es etwas ruhiger mag, dem kann ich diesen Ort nur empfehlen.

Preis pro Hütte: 85.000 – 115.000 Ariaray (Französisch wird gesprochen)

Eisladen Mad Nad

In den Restaurants der Unterkünfte und einfachen Hotelerys des Dorfes wird man gut versorgt. Dennoch freut man sich manchmal über etwas Besonderes – und das ist in Anakao definitiv der kleine Eisladen Mad Nad, der außerhalb des Ortes liegt und einen Spaziergang wert ist. Eine Kugel Eis kostet 6000 Ariray, in der Waffel 7000 Ariary.

To Do

Pirogenfahrt nach Nosy Ve inkl. Picknick: 25.000 Ariary pro Person + 5000 Ariary Nationalparkgebühr

Übrigens: Der Strand ist grobkörnig. Das Wasser ganztägig badewannenheiß.

Was sagt wikipedia zu dem süßen Fischerort Anakao.

3 Kommentare

  1. Ein sehr ehrlicher Bericht, der dazu einlädt, über unsere Reisen in ärmere Länder nachzudenken. Sextourismus ist leider immer noch ein grosser Bestandteil dieser Länder und auch das tägliche Leben oft ein Überlebenskampf für die Einwohner.

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