Kennt Ihr das auch? Man plant die nächste Reise, sucht sich ein Ziel aus, bucht den Flug, liest viel im Internet und schaut sich vielleicht auch ein paar Fotos schon mal an. In den heutigen Zeiten alles ganz einfach. Und dann steigt man in der Ferne aus dem Flieger und es ist doch alles ganz anders. Weil Reisen mehr ist als nur zusammengetragene Informationen, Fotos oder ein Flugticket. Da sind Gerüche, Geräusche, Geschmack. Da ist man aber auch selbst. Auch wenn das Ziel doch das gleiche ist, gleicht keine Reise der anderen. Und doch lesen wir gern darüber, sind neugierig, lassen uns inspirieren.
Ich lese wenige Blogs. Ich möchte mich wegträumen, ich möchte aus den Berichten wissen, wie das Land schmeckt, ohne das mir das Rezept vorgestellt wird, wissen wie es sich anhört, ohne das ich ein Video sehen muss. Das finde ich viel zu wenig und auf den vielen Tipp- und Infoseiten schon gar nicht. Auch möchte ich den Autor nicht aufdringlich im Fokus sehen (das mag an meinem Alter liegen). Vielleicht ist es das, warum ich mich seit geraumer Zeit sehr gut bei den Reisedepeschen aufgehoben fühle. Ich finde hier immer gute Geschichten und Berichte von nah und fern und dies von wechselnden Autoren, denen eines gemein ist – Leidenschaft für Reisen und Geschick für das Schreiben. Ich habe schon manch einen Autor hier entdeckt, dem ich dann auf seinem eigenen Blog weiterfolgte.
Mit The Travel Episodes hat der Grimme-Preisträger Johannes Klaus den nächsten Schritt gewagt und die Geschichten und Reportagen ins multimediale Scrollytelling-Zeitalter gehoben. Und dann das. Muss es jetzt auch noch ein Buch sein, nach dem innovativen Format ein Schritt zurück in das analoge Zeitalter? (Und warum will sich eigentlich jeder Blogger als Autor auf einem Buchcover sehen?)
Manch eine Geschichte aus dem Buch ist mir bereits bekannt. Und trotzdem lese ich sie noch einmal. Weil ich sie gut fand, sie nun noch einmal mit einem anderen Blick lese, weil die Auswahl und Strukturierung der Geschichten getroffen sind und weil es einfach schön ist, endlich mal wieder ein Buch in der Hand zu halten, das 99 %* das enthält, was man sucht. Es ist schon etwas anderes, die Geschichten scrollend zwischen Morgenkaffee und Arbeitsweg wie einen Snack zu lesen, oder am Wochenende entschleunigt und mit viel Ruhe im Garten in Mecklenburg (Internetwüste) als Desert zu „konsumieren“.
Eine bunte Mischung aus Abenteuern, schrägen Erlebnissen, Reisegedanken gepaart mit einer guten Portion Selbstreflektion erwarteten mich. Ich wurde an Orte geholt, die für viele eher als unerreichbares Reiseziel gelten – egal ob aus Kosten- oder Sicherheitsgründen: von Somaliland mit Johannes, Pakistan mit Morten und Rochssare bis in die Antarktis mit Dirk.
Und dann durchleide ich mit Gesa die Schmerzen und Angst nach einem Surfunfall, der sie ins indonesische Krankenhaus bringt. Ich quäle mich gedanklich mit Dirk über 3000er Pässe und zig Höhenmeter, die er täglich mit dem Rad in den Rocky Mountains bezwingt. Während ich Pias Trip über den Atlantik mit Segelboot verfolge – eine Traumvorstellung, die dann real doch irgendwie immer anders ist – denke ich an meine stürmischen Bootserlebnisse zurück, die lediglich wenige Stunden dauerten und mir doch einen realistischeren Blick auf das Abenteuer „Segeln“ gaben. Und dann ist da Marcos Trennungsgeschichte, die mich zurück auf die Philippinen bringt, das Archipel, das ich unter ziemlich identischer Voraussetzung Anfang des Jahres erst bereiste und mir daher gefühlsmäßig sehr nah ist.
Nicht zuletzt sind es aber die Zwischentöne, die manchmal auch die Sinn- und Selbstsuche auf Reisen hinterfragen. Sehr schön beschrieben in den beiden Geschichten von Philipp. Vietnam gibt dem ganzen nur einen Rahmen, der mit dem Gedanken ausgefüllt wird, sich am paradiesischsten Ort nicht wohl zu fühlen, weil dazu einfach mehr als eine Traumkulisse gehört. In seiner Erkenntnis über das Reisen kommt er schließlich zum Schluss, dass Reisen nicht glücklich macht. Eine mutige (und doch sehr nachvollziehbare) Feststellung, gerade da Dir viele immer häufiger verkaufen wollen, dass Du am besten aus Deinem Hamsterrad aussteigen solltest, um Dein Glück in der Ferne zu finden. Das stellt auch Gesa im Rückblick auf ein Gespräch mit einer Zimmergenossen fest, die sie das Blumenmädchen nennt. Während sie selbst ständig an Fernweh leidet, spüren andere wie jene Bekanntschaft vielmehr das Heimweh. Und da sind wir wieder: Jeder Mensch ist anders, jede Reise ist anders. Die Erwartungen auch. Inspirationsquelle ist das Buch The Travel Episodes, das Geschichten von Fernweh und Freiheit verspricht, allemal.
Helge Timmerberg schenkt dem Sammelwerk zu meiner Freude einführende Worte. Ein schöner Zufall will, dass sich The Travel Episodes in meinem Regal zwischen Timmerberg und Altmann wiederfindet. Und das meine ich nicht nur hinsichtlich der Ordnung, sondern auch inhaltlich.
Übrigens: Bis zum 15. Mai könnt Ihr noch ein Exemplar gewinnen. Alles Weitere findet Ihr hierzu auf der Webseite und dem Facebook-Account von The Travel Episodes.
Johannes Klaus (Hrsg.): The Travel Episodes. Geschichten von Fernweh und Freiheit. Malik / National Geographic Society, 347 Seiten, 14,99 € > jetzt bestellen
* Ich könnte jetzt sagen, es sollte ja immer Luft nach oben sein, aber tatsächlich wurde ich mit der Geschichte Olympia Bavaria aus Oberbayern nicht ganz warm, vielleicht weil sie mir kulturell zu weit entfernt schien ;-).