Schlurfende Geräusche tönen durch das Treppenhaus des Chez Aina und holen mich aus dem Schlaf. Das Prasseln des Regens auf das Ziegeldach begleitet die Geräusche im Flur. Mora Mora (Langsam, langsam) – das ist der Rhythmus von Madagaskar und diesen hört man in jedem Schritt.
Es ist noch nicht einmal zwölf Stunden her, als wir in Antananarivo ankamen. Vor uns türmten sich die dunklen Regenwolken auf, als wir auf dem überschaubaren Flughafen der madagassischen Hauptstadt landeten. Kurz darauf ergoss sich der Regen über uns, als wir eine Stunde in die Innenstadt fuhren. Stop and go – und das an einem Sonntag, Fredrik, der uns fuhr, war sehr erstaunt. Ich war weniger überrascht in Anbetracht der engen Straßen und der Vielzahl an Taxi-Broussies, die immer wieder zum Halten kamen, um Passagiere ein- und aussteigen zu lassen. Die enge Straße teilen sich die Busse und Autos mit Fußgängern, die einfach gehen. Es ist ein komisches Bild, das ergänzt wird von der kompletten Stille, die durch meine geöffnete Fensterscheibe in das Auto dringt. Natürlich laufen in Afrika grundsätzlich die Menschen viel. Doch immer mal wird ein Plausch links und rechts gehalten, gelacht, gewunken. Doch hier läuft jeder zielgerichtet und das gibt dem Ganzen einen seltsamen Anstrich. Die gerichtete Bewegung kommt erst ins Schwanken, als es zu regnen anfängt. Die Menschen auf der Straße beginnen zu rennen. Zebus ziehen archaisch Holzkarren hinter sich her. Auch Menschen sind vor die Karren gespannt und zerren Lasten die Hügel hinauf. Aus einer Seitengasse tauchen plötzlich vier Männer vor uns auf, die einen Sarg tragen. Noch ein Stück weiter stehen Frauen an öffentlichen Waschbecken, die überdacht sind und waschen ihre Wäsche.
Antananarivo ist anders, anders als alle anderen afrikanischen Städte, die ich bisher gesehen habe. Zwischen den Häusern sieht man immer wieder sattes Grün der Reisfelder, auf denen inzwischen viele Stadtteile gebaut sind. Enge Altstadtgassen winden sich die zwölf Hügel hinauf, Giebeldächer ragen überall heraus. Es ist weniger Wellblech. Rote Dachziegel zieren die Spitzdächer der Backsteinhäuser, die häufig Balkone schmücken. Manche Häuser sind verputzt und farbenfroh angestrichen. Fast immer wird aus dem Erdgeschoss heraus etwas verkauft. Schaut man hinter die Fassaden bröckelt einen gnadenlos die städtische Armut entgegen. Das schöne und das hässliche Gesicht liegen hier eng beieinander. Denkt man an Madagaskar, hat man Bilder von Flora und Fauna vor Augen, die häufig endemisch ist. Dass das Pro-Kopf-Einkommen sogar weit unter dem Durchschnitt der anderen afrikanischen Staaten südlich der Sahara liegt und über 90 Prozent der Bevölkerung von weniger als umgerechnet zwei US-Dollar pro Tag leben , daran mag kaum einer denken.
Als wir unsere Unterkunft erreichen, biegen wir aus eine wuseligen Straße in eine Seitengasse ein, die mit einem Tor abgesperrt ist. Gated Community schießt es mir als erstes in den Kopf. Tatsächlich ist ein kleines Viertel mit schönen madagassischen Häusern von allen Seiten mit Toren abgesperrt. Eine Ruheoase erwartet uns. Wir wissen nicht, wo wir hier genau sind. Es gefällt uns aber sehr gut, zumindest das, was wir in den ersten 3 Minuten unserer Ankunft noch erhaschen können, denn dann geht der Strom weg, genauso wie bereits schon am Flughafen. Willkommen in Afrika! Im Kerzenschein genießen wir den Abend im überdachten Garten des Chez Aina, während der Regen niederprasselt.
Auf in die Hauptstadt von Madagaskar oder „No.“?
Am nächsten Morgen bin ich bereit, mehr zu entdecken. Immer wieder zerrt Nirin, die gute Seele des Hauses, an meinen Ohren und sagt in einem vehementen Ton „No“. Dabei wollte ich nur wissen, wo wir am besten entlanglaufen müssen, um die Avenue de l’ Independence zu erreichen. Immer mehr wird mir klar, dass wir etwas abseits in der wuseligen Basse City sind. Der schönere Teil jedoch findet sich in der Haute Ville. Zunächst sagt Nirin, wir sollen hier rausgehen, dann links abbiegen und geradeaus gehen. Doch dann beginnt sie an mir herumzuzerren. „Dangereux“ – verstehe ich noch. Mit Händen und Füßen versucht mir Nirin zu erklären, dass ich meine unscheinbaren, kleinen, wertlosen Ohrringe abmachen soll. Meine Uhr werde ich selbstverständlich auch ablegen. „Kamera?“ „No!“ Sie beginnt nun an meinem T-Shirt zu zerren. Ich müsste sie ganz fest umschlingen und selbst dann werde sie sicherlich gestohlen. Was soll ich denn in der Stadt machen, ohne sie in Bildern festzuhalten? Das schöne Palais d’ Amohitsorohitra, le Rova, die Haute Ville? Ich werde müde. Bin noch vom Flug gerädert. Wir verschieben das vermeintliche „gefährliche Unterfangen“ auf’s Ende der Reise, schnappen uns Erik und fahren hinaus zum Sitz der einstigen Merina-Königsfamilie, zur 25 km entfernten Ambohimanga Rova, die seit 2001 das einzige madagassische Weltkulturerbe ist.
Mora mora – Antananarivo kann warten. So holprig der Name der Stadt noch über meine Lippen kommt, so holprig sind meine Gefühle.
Was hat wikipedia uns zur Hauptstadt von Madagaskar zu sagen?
Ich bin gespannt,ob sich dein Bild noch ändern wird. Meistens ist man zu Ende der Reise wesentlich mutiger und gesattelter in einem fremden Land und versteht gar nicht worüber man sich anfangs einen Kopf gamcht hat 😉
Liebe Madlen,
Wunderschön geschrieben. Danke!
Liebe Grüsse aus dem wilden Papua,
Reni
Oje, klingt anstrengend! Pass gut auf Dich auf und hab eine gute Reise.
Seems like a really interesting place.
Danke