Zwei Flugstunden trennen die kolumbianische 9 Millionen Metropole Bogotá von diesem ruhigen Fleck im südlichen Zipfel des Landes. Ist Bogotá das pulsierende Herz, fliegen wir nun in die Lunge – in die grüne Lunge der Welt. Nur ein paar Wolken ziehen immer wieder einen Vorhang über die fantastische Szenerie, die aus einem monotonen Grünton besteht und so viel Leben in sich verbirgt. Ein Regenbogen scheint bei unserer Landung in diesem grünen Feld einen Akzent zu unserer Begrüßung setzen zu wollen. Willkommen im Paradies, willkommen im Dschungel!
Keine Straße, die uns hier wieder herausführen könnte. Von weitem sehen wir unter uns eine schmale Schlängellinie, die sich uns nähert und an Form, Farbe und Größe gewinnt. Wir sind umschlossen von einem grünen Teppich, der nur durch diese Wassergewalt unterbrochen wird – den wasserreichsten Fluss der Welt, den Amazonas. Diese Reise beginnt als wir die Treppe vom Flugzeug hinabsteigen und gegen eine schwüle Wand laufen. Erst jetzt sind wir wirklich weg. Erst jetzt heißt es, ausgetretene Pfade zu verlassen. Von nun an ist unser Weg das Wasser.
Vorbereitung auf die Amazonas-Tour
Noch ein, zwei Tage wollen wir in der kolumbianischen Kleinstadt Leticia verweilen, um unsere Amazonasfahrt vorzubereiten. Doch das Abenteuer beginnt schneller als gewollt.
Schuld ist unser Tuk Tuk-Fahrer, den wir mitten in Leticia anhalten, um uns eben mal zum Hafen Tabatingas fahren zu lassen. Nur um uns erst einmal zu informieren. Gut, Hafen ist nicht gleich Hafen. Und so klären wir schnell das Missverständnis auf, dass unser Reiseziel Manaus in Brasilien sei. Dies soll auch kein Problem sein und so geht es eben schnell zum maritimen Verkaufsgebäude für die Schiffstickets, das sich auf der anderen Grenzseite – im brasilianischen Tabatinga – befindet. Leider werden hier um 16 Uhr schon keine Tickets mehr verkauft. Die Boote liegen bereits im Hafen, teilt uns ein freundlicher Brasilianer mit. Dort könnten wir auch unsere Tickets kaufen. Eigentlich wollen wir erst mal nur schauen, aber der Tuk Tuk-Fahrer sieht das anders und fährt uns geschäftstüchtig gleich zum Anlegesteg, wo bereits zwei riesige Amazonasdampfer ankern. Da sind sie also, diese dreistöckigen Monster. Auf einmal bin ich ganz nah an der Erfüllung meines langgehegten Traums seit der Lektüre von Humboldt und meiner ersten Venezuela-Reise.
Einer sieht etwas besser als der andere aus. Aber im Prinzip ähneln sich beide. Der aus meiner Sicht Schönere soll bereits morgen abfahren. Das passt mir eigentlich gar nicht. Der Steg ist geschäftig. Schließlich handelt es sich bei den Schiffen doch mehr um Cargo- als um Passagierboote. So werden die Lasten schon emsig geladen. Meine Kleiderwahl war für diese Szenerie auch nicht optimal ausgefallen, denn kaum steige ich aus dem Tuk Tuk, ertönen lüsternde Pfiffe. Hätte ich ja gleich wissen können! Meine abgeschnittene Armeehose ist immer besser als ein kurzer Rock. Überraschenderweise tümmeln sich am Hafen weniger Indigene als vielmehr „Schwarzafrikaner“, die sich später als Haitianer herausstellen. Hier sind wir die Exoten, auf die sich alle Blicke richten.
Eine Verkäuferin will uns gleich Tickets verkaufen, aber wir haben gar kein Geld bei uns. Unser Tuk Tuk-Fahrer nimmt sich unseres Problems an und startet eine Bank-Tour auf der anderen, kolumbianischen Seite der Grenze. Die Ticketverkäuferin ist noch bis 18 Uhr da, aber Brasilien ist Kolumbien eine Stunde voraus und so kämpfen wir gegen die Zeit und im Folgenden gegen die nicht funktionierenden Bankautomaten. Wenn dann doch mal ein Automat funktioniert, warten viele Menschen mit noch mehr Kreditkarten. Denn hier hebt man nicht nur für sich sondern auch gleich für Nachbarn, Kollegen und die ganze Stadt ab. Es ist zum Verzweifeln, aber aus unergründlichen Gründen ist unser Ehrgeiz geweckt. Unser größter Motivationstrainer ist unser Tuk-Tuk-Fahrer. Und mit ihm kann nun auch nichts mehr schief gehen, denn er hängt sich genauso rein.
Schließlich haben wir um 18.30 Uhr brasilianischer Zeit die Summe von 900.000 Pesos zusammen. Der Tisch der Verkäuferin ist bereits abgebaut. In aller Ruhe erscheint sie auf dem Schiffsdeck und winkt uns herbei. Am Hafen gibt es keine Schließzeiten. Natürlich verkauft sie uns noch eine Kabine. Wie diese aussieht, wissen wir nicht. Es bleibt uns keine Zeit für Fragen, denn wir benötigen noch zwei offizielle Stempel. So fährt uns der Fahrer wieder hurtig nach Leticia zum Flughafen zurück. Immerhin eine Stunde Zeitverschiebung zu unserem Gunsten. Um 17.56 Uhr erreichen wir die bereits geschlossene Immigration. Es ist doch nur verständlich, dass sich der DAS-Mitarbeiter nicht langweilen will. Denn wenn kein Flieger kommt, ist das hier draußen bestimmt ein sehr einsamer Job, den man auch einmal gern verfrüht beendet.
Am nächsten Morgen werden wir durch ausdauerndes Hahnenkrähen und ein Papageienkonzert geweckt. Und mit den Papageien setzt der zu erwartende Urwaldregen ein. Anstatt bei einem normalen morgendlichen Schauer zu bleiben, richtet er sich in seinem Tun ein und wird zu einem ausdauernden Dschungelregen, der das Leben auf den Straßen zum Erlahmen bringt.
Die Immigration öffnet nicht um 8 Uhr wie angekündigt, alles andere wäre auch ein Wunder. So warten wir mit unserem Tu Tuk-Fahrer – einer ungeduldig, der andere geduldiger – am Flughafen. Wer nicht muss, fährt nicht bei diesem Regen. Das denkt sich wohl auch Mister Immigration. Nach einer halben Stunde kreuzt ein großer Wagen auf und ein junges Bürschchen steigt aus. Den Stempel haben wir also. Weiter geht’s auf die brasilianische Seite. Aber fahren ist hier wohl zu viel gesagt, es ist ein holpriger Weg nach drüben, denn die Zündkerze unseres Tuk Tuks streikt durch die Nässe der tiefen Pfützen. Irgendwie ruckeln wir nach zahlreichen Stopps doch noch bei der brasilianischen Polizei vor. Dort gehen genau in diesem Moment alle Lichter aus – und auch die gesamte Elektronik. Aber man weiss sich zu behelfen und genehmigt uns die Einreise old school mit Zetteln. Und nun noch kurz durchhalten, liebes Tuk Tuk!
Boarding
Wie froh sind wir, als wir um 10.15 Uhr auf den Steg fahren. Vor uns liegt das Schiff, nur noch wenige Stunden trennen mich von meinem Traum. Am Hafen herrscht Gewusel. Das Schiff wird beladen – Säcke, Kisten, alles mögliche geht an Bord. Menschen sind Nebensache. Nicht ganz, denn wir geraten wie erwartet in das Visier der brasilianischen Polizei. Inzwischen völlig durchnässt, lassen wir die erniedrigende Prozedur der brasilianischen Einheit Choque über uns ergehen. Choque steht wohl eher für Schock. Denn sie zeigen sich alles andere als freundlich, als sie unsere Sachen aus dem Rucksack holen und auf Plastikplanen auf dem Boden ausbreiten vor den interessierten, starrenden Blicken der Haitianer. Hochbewaffnet stehen die Choques vor uns und versuchen mit ihrer Gestik Autorität aufzubauen. In mir steigen Bilder von City of God auf – willkommen in Brasilien. Am interessiertesten zeigt sich die Polizistin an meinen Nahrungsmitteln und Büchern. Den Laptop hingegen lassen sie sensibel genug dann doch im Rucksack, wir sollten ihn auch möglichst hier drin lassen, ist die Anweisung.
Kurzes Aufatmen, als wir endlich unsere Kabine erreichen. 2. Deck, Numero 7, linke Seite, Mitte. Der Hängemattenplatz scheint mir komfortabler, denn hier ist durchaus viel Luft – noch. Wir hingegen bewegen uns auf nicht einmal 3 oder 4 qm. Aber eine Luxussuite haben wir ja auch nicht gekauft. Das sage ich jetzt sarkastisch, ohne zuvor gewusst zu haben, dass es auf diesem Schiff tatsächlich zwei Suiten gegeben hätte mit eigenem Bad, Kühlschrank, TV und Doppelbett. Die Ausstattung unserer Camarote-Kabine: Doppelstockbett, zwei Schwimmwesten, ein Licht und eine Klimaanlage. Wir lassen uns eine atmungsaktive Alternative offen und hängen unsere Hängematten draußen auf.
Zunächst beobachten wir das Bordingprozedere vom 3. Deck, später wechseln wir in die Hängematten. Auch hier wird es zunehmend voller. Nachdem wir schon arg gemustert werden, bin ich nicht unglücklich, als ich merke, dass noch weitere Westeuropäer das Boot betreten: ein dänisches Pärchen, eine Britin, eine US-Amerikanerin, zwei Italiener und ein vermeintlicher Franzose. Das ist schon eine ordentliche Quote, um von uns abzulenken. Das dänische Pärchen gibt uns den Einblick in das, was eine Suite so zu bieten hat, wohingegen die Britin und Amerikanerin wie auch die anderen den Hängematten mit aller Unbequemlichkeit den Vorzug geben und an den Folgetagen immer mehr Jammern, bis sie schließlich auf dem Fussboden ihre Schlafsäcke ausbreiten. Die Hängematte ist der reinste Horror. Denn das Nebeneinander wird immer mehr ein übereinander. In drei Reihen hangeln sie sich auf dem 1. und 2. Deck entlang. In das 1. kommen wir nur selten. Aber zwischen unserer Kabine und den Toiletten, Waschbecken und Essensraum liegen zahlreiche Hängematten, die wir nur mit gebeugter Haltung ganz außen passieren können.
Die Reise auf dem Amazonas beginnt
Es regnet noch immer in Strömen, als wir nach 3,5 Stunden endlich starten. Die meisten liegen in ihren Hängematten, wohingegen wir unsere wieder räumen müssen, denn einen Hängemattenplatz haben wir schließlich nicht bezahlt, sondern die Anti-Luxus-Kabine. Hier mag man aber nur nachts verweilen, also spielt sich unser Leben tagsüber hauptsächlich auf dem 3. Deck ab. Dort befindet sich glücklicherweise ein Kiosk, an dem man eine Alternative zu den fleischigen Mahlzeiten der Bordkabine bestellen kann, auch wenn dies nur ein Ei-Käse-Sandwich ist.
Die bewaffnete Choque-Polizei entert erst einmal den Kioskbereich. Einer hantiert mackermäßig mit einem Maschinengewehr, als würde gerade die Räumung der nächsten Favela bevorstehen. Dann wollen sie unsere Kabine sehen und ich solle sie dahin begleiten. Mein Kopfkino beginnt. Alles wird hochgehoben, angefasst und auch unsere Rucksäcke sind noch einmal dran. Aber das Betreten der Kabine erfolgt wie im Film. Zwei Mann stehen an die Wand gepresst neben der Tür und hüpfen mit angezogener Waffe schlagartig in die Kabine. Ich weiss nicht, wo der Ernst beginnt und wo die Show aufhört. So ganz logisch ist das ohnehin nicht. Vor allem haben wir noch gar keine Zeit in diesem Zimmer verbracht. Uns hätte man ganz einfach etwas unterjubeln können, ohne etwas zu ahnen. In Benjamin Constant ist der Choque-Schock endlich beendet und die Polizei geht von Bord. Dann geht es endlich auch für uns die geheimnisvolle Wasserstraße, den Amazonas, hinab.
Das Wetter ändert sich am ersten Tag nicht merklich – es ist windig, regnerisch und kalt. Das Autan kann so im Rucksack bleiben. Das Leben auf dem Boot wird von der einfachsten Bedürfnisbefriedigung geleitet: Essen, Schlafen, Sch… Schauen. Die Essenszeiten regeln das Leben total und unterbrechen als kleine Highlights die Monotonie in der Hängematte/ Kabine. Um 16.45 Uhr gibt es Abendbrot, um 6 Uhr Frühstück und um 10.45 Uhr Mittagessen. Man steht früh auf, obwohl gar keine Notwendigkeit besteht. Tatsächlich ist die erste Nacht keine Erholung. Ständig stoppt das Boot irgendwo und damit kommt Unruhe und Lärm auf. Am ersten Morgen stehen wir um 6 Uhr auf, gerade als wir wieder in einem Ort halten. Die Urwalddörfer am Amazonas ähneln sich alle in ihrer Lage. Ein hoher Wall trennt den Dorfkern vom Amazonas. Dieser enorm steile Hang hat eine noch steilere Treppe, über die dann alles emsig für das Boot herangeschafft wird.
Als wir gerade wieder aus dem Flussarm herausfahren, werden wir von zahlreichen pinken Delfinen begleitet. Jetzt begreifen wir langsam die Einzigartigkeit einer solchen Reise. Unser Koloss bewegt sich nun weiter von Ort zu Ort. Es gibt einfach nichts zu tun, also legen wir uns nach dem Frühstück noch einmal hin und verbringen dann den restlichen Tag auf dem oberen Deck. Hier kommen wir mit einem der netten und aufgeschlossenen Haitianer ins Gespräch. Seine Geschichte ist dennoch erschütternd. Haiti ist sehr arm und gebeutelt. Aufgebaut wurde nahezu nichts. Er ist mit einer dreimonatigen Aufenthaltserlaubnis nach Tabatinga gekommen. Nach einem Monat wurde er krank. Er lebt jeden Tag von Gottes Gnaden. Seine Niere ist wohl kaputt und deshalb wurde er nach Manaus geschickt. Dann fragt er uns, welche Sprache wir sprechen. Wir antworten deutsch. Er sagt, no, no, no. No entiendes, wir hätten seine Frage nicht richtig verstanden. Er spricht Französisch, in Brasilien Portugiesisch, aber was spricht man dort, wo wir herkommen. Wir wiederholen “Deutsch”. Er ist immer noch der Meinung, ihn nicht richtig verstanden zu haben. Später, als wir ihn wieder treffen, erzählt er seinen haitianischen Freunden ganz aufgeregt, wir hätten eine eigene Sprache. Seht her, die Deutschen sprechen tatsächlich Deutsch. Er selbst spricht laut eigener Angabe besser Spanisch als Französisch, da er in der Dominikanischen Republik zur Schule gegangen ist und nun lernt er Portugiesisch. Jeden Tag sitzt er mit seinem Wörterbuch da, nimmt Kontakt zu Brasilianern auf, um die Sprache schnell zu erlernen. Möge diese Mühe belohnt werden.
Zwischen “auf dem oberen Deck sitzen und lesen und schauen” sowie “in der geöffneten Kabine liegen und lesen und schauen” gibt es nicht viel mehr, was wir zu tun haben. Wir steuern noch einige Orte an und jedes Mal dauert das Be- und Entladen stundenlang. In dem Tempo erreichen wir nie Manaus! Die Mahlzeiten lasse ich fast alle aus. Zum Mittag und Abend gibt es ohnehin Fleisch. Stattdessen bediene ich mich oben am Kiosk. Dort findet das Leben statt, am ersten Tag noch zaghaft, an den nächsten Tagen entdecken auch die anderen immer mehr den vergnüglichen Ort. Morgens läuft ruhige entspannte brasilianische Musik, doch schnell wird diese unterstützt durch das Fernsehgerät eines Kabinengasts. Die Musik ändert auch zunehmend ihre Lautstärke, und als ob dies noch nicht genug sei, stimmen noch zahlreiche Handys und Radios in das lärmende Wirrwarr ein. In diesen Ländern muss man wohl mit dem Lärm-Gen geboren sein, denn was für unsere Ohren eine Zumutung ist, ist für die Einheimischen die wahrste Freude. Seltsam muss unser Schiff den äußeren Betrachtern anmuten. Ein Partyschiff auf der Spree ist in etwa dasselbe, nur das die Spree durch eine Stadt läuft, wohingegen uns nur die Natur zuschaut, der man mehr Respekt zollen sollte, als sie mit Lärm und Müll zu belasten. Aber wenn selbst die Touristen, mit denen wir unseren Abend verbringen, ihre Zigarettenkippen in den Amazonas schmeißen, habe ich die Hoffnung auch schon aufgegeben.
Am zweiten Abend unterhalten wir uns gerade mit einem Goldsucher, als wir in einem Ort halten, der für seine Fische bekannt ist. Und tatsächlich 1,50 bis 2,0 Meter ist nahezu jeder Koloss, der mühevoll an Bord gebracht wird. Diese Riesenfische, die hier im Fluss leben, sind Pirarucus. Der dritte Tag startet wieder sonnig. Alle suchen die schattigen Plätze auf dem Schiff auf. Die Glieder schmerzen bereits vom vielen einseitigen Sitzen und Liegen, aber was soll man über Schmerzen klagen an solch einem herrlichen Morgen. Es herrscht Ruhe und man kann entspannt die Natur an sich vorbeiziehen lassen und die Umgebung genießen. Man muss sich manchmal kneifen und ins Bewusstsein zurückholen, dass hier nicht die Donau ist, sondern der Amazonas. Denn tatsächlich unterscheidet sich der Blick vom Schiff nicht allzu sehr dem auf der Donau. Nur der schärfere Blick in die Flora und Fauna zeigt, hier sind wir nicht in Europa. Hin und wieder sieht man Papageien fliegen, aber für die Observation weiterer Tiervielfalt sind wir auf der Flussmitte einfach nicht nah genug dran. So verschwimmt das, was man sieht, zu einem grünen Brei, der durch den Ton und die Temperatur nur zu funktionieren scheint.
Am vorletzten Tag zieht unser Boot ohne Stopps durch. Im rasanten Tempo überholen wir immer wieder andere Boote. Will jemand von Bord, wird dieser von kleinen Booten aus den Dörfern von unserem Schiff abgeholt. Wenn wir nicht lesen, schlafen oder schauen, unterhalten wir uns mit den Dänen, der Britin und Amerikanerin oder spielen mit ihnen Karten. Den letzten Abend scheinen alle genießen zu wollen, denn so voll wie heute war das Oberdeck noch nie. Düfte liegen in der Luft, die sich nicht mit dem Urwald vertragen. Die Kleidung ist leicht und kurz. Hier wird noch mal tief in das Reisegepäck gefasst, um sich auf die große Stadt vorzubereiten und diesen gebührend zu feiern. Der nahende Abschied stimmt aber auch ein wenig melancholisch. Wir passieren an diesem Abend noch eine Industrieanlage, das erste Anzeichen für Zivilisation. Seltsam, dieses angestrahlte Monster inmitten der grünen Uferzone zu entdecken.
An Bord hat sich inzwischen Routine eingespielt, als morgens die Glocke zum letzten Frühstück läutet. Ein bisschen Nervosität liegt in der Luft. Um 14 Uhr sollen wir ankommen. Jeder Einheimische macht sich heute besonders schick. Wir kommen ja schließlich in die große Stadt. Der Fluss wird immer breiter. Das Ufer entfernt sich immer weiter. Hier gleicht der Amazonas einem See. An den Ufern sieht man immer häufiger Siedlungen, die zunehmend aus festen Häusern bestehen. Vogelschwärme umkreisen diese. Gegen 14 Uhr liegt endgültig ein vermeintlicher See mit einer Biegung vor uns. Dahinter liegt Manaus!
In diesem See vereinen sich das schwarze Wasser des Rio Negro und das helle Wasser des Rio Solimões. Um Manaus zu erreichen, verlassen wir das helle, sandige Gewässer und führen die letzten Kilometer auf dem dunklen Rio Negro fort. Vom Schiffsbug lässt sich das Aufeinandertreffen wunderbar beobachten. Wir erblicken pinke und graue Delfine, die uns ein Stück begleiten. Ein buntes Schifftreiben findet man nun auf diesem breiter gewordenen Stück vor Manaus. Alte Kähne, Passagierboote, Schnellboote. Und weit hinten im Hafen ruhen zwei Kreuzfahrtschiffe wie riesige Monster. Weiter als Manaus kommen diese nicht. Nicht nur im Wasser geht es farbenfroh zu. Auch an Bord wird hurtig zusammengepackt. Nur unsere Touristengruppe kostet die letzte Dreiviertelstunde bis zum Hafen entspannt auf dem Oberdeck aus – wohlwissend dass das Ende der Reise naht. Wir genießen die Ankunft und die letzten Happen an Urwaldatmosphäre. Im Hafen trennen sich auch unsere Wege. Zwischen Autokolonnen und den Luxuslinern bewegen wir uns in Richtung Hafengebäude. Worauf freue ich mich? Kaffee, Saft und eine schöne Toilette!
Reisezeit:
Dienstag, den 6.12.2011 – Freitag, 9.12.2011
Abfahrtzeit in Tabatinga (Brasilien): um 10 Uhr soll man dort sein, offizielle Abfahrtszeit 12 Uhr, tatsächlich um 13.30 Uhr
Ankunftszeit in Manaus (Brasilien): 14.45 Uhr
Kosten:
Zweimann-Kabine mit Doppelstock: 900.000 Kolumbianische Pesos (Bezahlung erfolgt nur bar in Reais oder Pesos)
Schifffahrtsgesellschaft:
Manolo Monteiro
Schlafmöglichkeiten:
Drei Decks, wobei sich auf dem 1. und 2. Hängemattenplätze befinden und auf dem 2. und 3. Deck die Kajüten. Die Hängemattenplätze sind sehr eng und so liegt man manchmal mehr über- als nebeneinander. Es gibt Kajüten mit eigenem Bad, Fernseher, Kühlschrank und Klimaanlage und Kajüten mit lediglich einem Doppelstockbett und Klimaanlage als Ausstattung.
Ausstattung:
Auf den Decks gibt es Baderäume, in denen sich immer eine Dusche und Toilette befindet. Diese sind überraschend sauber, wenn nicht gerade die Toilette verstopft ist und somit die gesamte Kabine überschwemmt. Waschbecken befinden sich zudem offen am Ende des Hängemattenbereichs. Außerdem gibt es einen kleinen Speisesraum, in dem die drei Mahlzeiten an einem langen Tisch eingenommen werden. Auf dem Oberdeck befindet sich ein Kiosk mit Getränken, Burgern, Eis, Süßigkeiten und ein paar Hygiene-Artikeln.
Verpflegung:
Im Speiseraum gibt es um 6 Uhr Frühstück, um 10.45 Uhr Mittagessen und um 16.45 Uhr Abendbrot. Eine Glocke macht auf die Speisezeiten aufmerksam. Leider bilden sich lange Schlangen. Das Essen unter Beobachtung ist sehr unentspannt. Weitere Nahrungsmittel und Speisen gibt es am Kiosk auf dem Oberdeck. Hier kann man wesentlich entspannter essen, aber muss eben separat zahlen.
Autor: Madlen Brückner
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danke für den amüsanten und recht ausführlichen bericht .ich möchte die gleiche reise in umgekehrter richtung machen -als einzelperson ist da wohl ein hängemattenplatz zu bevorzugen oder gibt es auch einzelkabinen ?
Hallo Rainer, ich hatte völlig vergessen, Dir zu antworten. Sorry. Als Einzelperson muss man trotzdem eine Zweierkabine kaufen – so war es zumindest auf unserem Schiff. Ich wollte eigentlich lieber in eine Hängematte, doch da wir mit viel Technik reisten, bot sich die Basic-Kabine zum Abschließen eher an. LG, Madlen
Hallo Madlen,
mich würde deine persönliche Einschätzung interessieren. Ist das empfehlenswert oder lieber etwas unternehmen mit mehr Landzeit? Ich war letztes Jahr in Leticia und wir fuhren mit dem Boot auf Peru, da an Land und zu Fuss 1-2 h in den Dschungel mit Übernachtung, Bootfahrt in der Nacht. War super. Weniger gut war der nächste Tag mit 3-4 Zielen ( z. B. Insel der Affen), alles auf Touris ausgelegt, kleine Shows und viele Verkäufer. Tag strikt nach Zeitplan. Ein paar h zu Wasser, dann viel Landzeit mit Übernachtung im Dschungel, für ein paar Tage. Das wäre toll.
Viele Grüße
Christian
Hallo Christian, danke für Deine sehr gute Frage. Die Bootstour auf dem Amazonas und ein mehrtägiger Aufenthalt im Dschungel (sei es in einer Lodge oder open Air) sind zwei komplett verschiedene Sachen. Den Urwald erlebt man auf dem Boot nicht wirklich. Es ist total absurd, wenn man weiss, wo man sich da überhaupt befindet, weil auf dem Boot normaler Alltag ist und der Urwald als Kulisse „nur“ an einem vorbeirauscht. Nichtsdestotrotz war das ein Kindheitstraum – mit so nem Boot nach Manaus zu fahren und allein die Erfüllung dieses Traums war schon berauschend genug. Da ich schon mehrfach in verschiedenen Urwaldgebieten war (auch bei Puerto Nariño und bei Leticia), war der Bootstrip eine gute Ergänzung. Wenn Du in relaxter Atmosphäre Urwald erleben willst mit ein paar Aktivitäten, kann ich Dir auf brasilianischer Seite http://www.palmari.org/ (die Website ist schlecht, aber das Camp gut. Man fährt von Tabatinga aus dahin) empfehlen. Dort war ich zwar 2009 (also vor ner langen Zeit), aber ich mochte es dort sehr. Leider habe ich darüber nicht wirklich gebloggt. Wenn Du weiter Fragen hast, melde Dich gern. Liebe Grüße, Madlen
Danke für die schnelle Antwort und den Tipp.
Wir waren letztes Jahr im Marasha.
Ok, dann schauen wir nächstes Jahr in Palmari vorbei…
Dieses Jahr Santa Marta und Karibik…
Bis bald
Christian