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Kolumbien – Auf den Spuren des Fußballs (Teil1)

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Wir schreiben Dienstag, den 19. Juni 1990. Um 17 Uhr trifft im San Siro von Mailand das noch nicht wiedervereinigte Deutschland (West) im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft auf die Vertretung Kolumbiens. Es war ein der Jahreszeit entsprechend heißer Tag in der Lombardei. Am Vortag war ich zusammen mit ein paar Freunden in einem Neunsitzer aus dem Raum München kommend gen Süden aufgebrochen. Unterwegs lauschten wir auf Musikkassette den Klängen zeitgenössischer Schlager wie etwa „Azzurro“ von den Toten Hosen oder „World in Motion“ von New Order. Genächtigt haben wir aufgrund finanzieller Engpässe auf einem Campingplatz am Comer See. Weit nach Einbruch der Dunkelheit eingetroffen, wurden wir vom Pförtner mit offenen Armen empfangen: Die Übernachtung für WM-Besucher wäre heute gratis. Obendrein gab’s zwei Flaschen Rotwein als Willkommensgruß. Unsere Standardantwort auf die Standardfrage der Italiener, wer denn Weltmeister werden würde, war in diesen Tagen entgegen aller Erwartungen stets „Kamerun!“. Damit war das Eis meist gebrochen. Bekloppte eben, die keine Ahnung vom Fußball haben – aber von wegen: Von einer Welle der Sympathie getragen, zogen die Afrikaner immerhin ins Viertelfinale ein! Und dort am Campingplatz war es auch, wo die meisten von uns Westlern erstmals auf Ostdeutsche trafen. Die Mauer war schließlich gerade erst vor einem halben Jahr gefallen, und nicht jeder hatte drüben Verwandtschaft oder war wie ich mal in den Achtzigern in Ungarn am Plattensee. Es wurde noch eine unterhaltsame Nacht. Die Stimmung war ausgezeichnet und die Vorfreude aufs morgige Spiel groß.

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Am Spieltag ging’s zunächst mal zum Mannschaftshotel, um bei unserer Kontaktperson die Karten abzuholen (seines Zeichens DFB-Torwarttrainer, der 16 Jahre zuvor selbst schon mal den Pokal in die Höhe recken durfte). Das klappte auch alles reibungslos. Nur umsonst war heute nichts: Die 30 DM für das begehrte Billet waren damals mehr als ich je zuvor für ein Fußballspiel bezahlt hatte. Zuhause im Grünwalder Stadion bekam ich die ermäßigte Jugendkarte für gerade mal 5 DM. Aber das eine war eben Bayernliga, das andere WM. Also egal, die Karre in Stadionnähe abgestellt, und nichts wie rein ins Giuseppe-Meazza-Stadion. Die DFB-Auswahl war nach zwei Siegen in den ersten beiden Vorrundenspielen gegen Jugoslawien und die Vereinigten Arabischen Emirate bereits fürs Viertelfinale qualifiziert. Kolumbien benötigte noch mindestens einen Punkt, um zumindest als einer der besten Gruppendritten in die K.O.-Runde einziehen zu dürfen.

Vom Spiel selbst habe ich nur noch in Erinnerung, dass sich beide Teams recht schwer taten, das Spielgerät im gegnerischen Kasten unterzubringen. Erst in der 88. Minute gelang Pierre Littbarski das späte 1:0, das die Südamerikaner dann mehr oder weniger mit dem Schlusspfiff egalisierten, was sie auch wie die Wahnsinnigen zu feiern wussten. Und dann waren da natürlich all die „Typen“ der kolumbianischen Auswahl: Goldlöckchen Carlos Valderrama, Genie und Wahnsinn in einem. Der artistische Torhüter René Higuita, der eine ganz eigene Interpretation seiner Spielposition pflegte. Freddy Rincón, dessen Ausgleichstreffer in der Nachspielzeit eine ganze Nation in Extase versetzte und ihn „unsterblich“ machte, während Andrés Escobar aufgrund seines tragischen Eigentors bei der folgenden WM im Spiel gegen die USA nach der Rückkehr in sein Heimatland erschossen wurde. Eine durchgeknallte Truppe aus einem zerrüttetem Land, aber vielleicht gerade deswegen auch so faszinierend und liebenswert.

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Kolumbien, das Land, aus dem eben diese Mannschaft kam, galt in den Achtziger und Neunziger Jahren als eines der gefährlichsten Länder der Welt. Die Macht lag in der Hand von Drogenkartellen, allen voran jenem aus Medellín unter der Regie von Pablo Escobar. Mord und Totschlag zählten zur Tagesordnung. Kein gutes Reiseziel.

Etwas mehr als 23 Jahre später sitze ich in einer Buseta (Minibus) auf dem Weg nach Santiago de Cali vorne neben dem Fahrer. Draußen rauschen Kaffeeplantagen und Zuckerrohrfelder vorbei. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm. Aus dem Radio klingt Salsa. Wir unterhalten uns – sofern es mein rudimentäres Spanisch erlaubt – darüber, welches Obst und Gemüse in Deutschland wächst, ob die Frauen nun in Cali, Medellín oder Bogotá schöner wären (oder vielleicht doch jene von der Karibikküste), und eben über Fußball: Die eingangs erwähnte WM-Partie erfüllt selbst heute noch viele Kolumbianer mit Stolz. Ein Unentschieden gegen den späteren Weltmeister! Das hat bei dieser WM keine andere Mannschaft vollbracht. Im Rezitieren der Mannschaftsaufstellungen muss ich mich dann dem Fahrer geschlagen geben. 1:0 für ihn. Doch die Erwähnung der Tatsache, dass ich damals persönlich vor Ort war, bringt ihn völlig aus dem Häuschen. Punktsieg für mich.

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Im November 2013 zog es mich also nach Kolumbien. Doch eines gleich mal vorweg: Wer so blöd ist, eine Umsteigeverbindung in den USA zu buchen, ist selber schuld! In der Annahme, ein Umstieg in Miami erfolge wie andernorts auf dieser Welt über einen Transitbereich, in dem man sich lediglich vom Ankunfts- zum Abfluggate bewegen müsse, buchte ich das günstigste Ticket (Berlin-Miami-Bogotá und zurück mit Air Berlin respektive American Airlines für 560 Euro). Doch weit gefehlt! Wie konnte ich ahnen, dass man bei einem Umstieg in den Vereinigten Staaten komplett ein- und ausreisen muss (einschließlich Fingerabdrücken und Fotografieren), ein Visum bzw. ESTA benötigt, und zudem sein Gepäck abholen, durch den halben Flughafen schleppen, und wieder einchecken musste? Glücklicherweise habe ich noch rechtzeitig vor Reiseantritt davon erfahren, sodass ich noch meine elektronische Einreiseerlaubnis erneuern konnte. Aufgrund der langen Wege und der zahlreichen, nicht enden wollenden Schlangen ist das Erreichen des Anschlussfluges selbst bei Übergangszeiten von 2-3 Stunden kaum bzw. – wie in meinem Falle – gar nicht möglich. Nie wieder!

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Einen Tag später als geplant in Bogotá angekommen, fiel mir zunächst der moderne Flughafen positiv auf. Die Ruinen des alten Terminals und des Towers vom Aeropuerto El Dorado sind noch nicht ganz abgetragen. Drumherum wurde einfach das neue Gebäude aus dem Boden gestampft. Die Einreise gestaltete sich als erfrischend unkompliziert, flugs hatte ich den Stempel im Pass und wurde mit einem freundlichen „Bienvenidos a Colombia“ begrüßt. Selbst die weltweit gefürchteten Flughafentaxifahrer sorgten hier für alles andere als Nervenkitzel oder Aufregung: Der pauschale Fahrpreis ins Altstadtviertel Candelaria betrug faire 20.000 Pesos (keine 8 Euro) und entsprach ziemlich genau meinen im Voraus getätigten Recherchen.

Am frühen Nachmittag bezog ich also Quartier mitten im Kneipenviertel. Zeit zum gemütlich „ankommen“. Erst mal ein kurzer Spaziergang durch die bunten Gassen, gefolgt von Nahrungsaufnahme in Form von Empanadas (mit Fleisch und/oder Gemüse, Käse, etc. gefüllte Teigtaschen), abgerundet durch ein paar Einheiten Poker, einem der durchaus trinkbaren lokalen Gerstensäfte. Auch wettertechnisch begrüßte mich Bogotá von seiner freundlichen Seite: Sonnige 20°C und das bei einer Lage auf 2625m. Nachts kühlt es dann aber auf gut 10°C oder weniger ab. Richtig ungemütlich wird’s dann aber, wenn es mal regnet. Und das ist hier in den Bergen keine Seltenheit. Das erinnert dann schnell mal an einen nasskalten Späthherbsttag in heimischen Gefilden.

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Um mir einen Überblick über die Ausmaße der Hauptstadt zu verschaffen, nahm ich die Seilbahn hoch zum auf 3152m gelegenen Cerro de Monserrate, der als Hausberg über Bogotá thront. Freilich könnte man den Gipfel auch per pedes erklimmen, aber Bequemlichkeit und dünne Luft sprachen eindeutig eine andere Sprache. Fleece-Pulli und Regenschirm schleppte ich unnötigerweise mit. Dort oben trifft man vor allem einheimische Wochenendausflügler und gerade mal eine Handvoll ausländischer Touristen. Und erfreulicherweise keine Nepper, Schlepper, Bauernfänger, wie es vielerorts auf der Welt an Punkten von touristischem Interesse leider an der Tagesordnung ist. Am Gipfel finden sich einige Imbissbuden und eine Wallfahrtskirche, von der sich ein imposanter Ausblick auf den im Tal liegenden Moloch bietet. Gut acht Millionen Menschen bevölkern die bis an den Horizont ausufernde Metropole. Das von Hochhäusern und Einkaufsstraßen dominierte Wirtschaftszentrum in der Stadtmitte geht darin fast unter. Weiter im Norden liegt die Zona Rosa: In Kolumbien bezeichnet dieser Begriff durchwegs die bessere Gegend einer Stadt, also dort, wo Besserverdiener und Gringos verkehren und sich die teuren Hotels und Restaurants befinden. Unweit des Zentrums am Fuße des Berges befindet sich mit Candelaria die Altstadt, die mit preiswerten Fressbuden, billigen Spelunken, und mitunter zwielichtigen Gestalten aufwartet – quasi „mein Viertel“. Mein Blick richtete sich gleich mal auf El Campín, dem mit einem Fassungsvermögen von rund 36.000 Plätzen drittgrößten Stadion des Landes, das sich die beiden großen Hauptstadtvereine Millonarios und Santa Fé teilen. Und genau dorthin sollte es tags darauf zum Abhaken des fälligen Länderpunktes gehen.

> Die Serie wird vorgesetzt mit dem Spiel Millionarios vs. Deportes Tolima im Estadio Nemesio Camacho „El Campín“, Bogotá.

Die Berichte zu dieser Serie stammen alle von unserem Gastautoren Michael Stoffl.

2 Kommentare

  1. Bei der Beschreibung deines Fluges werden gleich Erinnerungen wach. Ich hab für Panama den selben Fehler gemacht. Ich hatte auch ne Zwischenlandung in den USA und musste das ganze Prozedere mitmachen. Echt mühsam und vor allem: es dauert alles so lange! Ich freue mich schon auf den zweiten Teil deines Berichtes! Kolumbien steht bei mir ganz oben auf der Reiseliste, wird jedenfalls nicht mehr lange dauern!

    • Schön, dass Dir der Bericht von Michael gefällt. Auch ich musste schon ein paar Mal rennen und habe es aber glücklicherweise in Newark dann doch immer geschafft – völlig aus der Puste. Aber lieber sind mir die Flüge nach Kolumbien über Paris (auch wenn der Flughafen manchmal chaotisch ist und ich hier auch einmal fast den Anschluss nicht bekommen hätte) 😉 Kolumbien ist wirklich eine Reise wert, also unbedingt oben auf der Liste lassen! LG, Madlen

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