Stell dir vor, dein Nachbar lebt in einem lilafarbenen Haus, sein Nachbar in einem hellblauen und sein Nachbar wiederum in einem schrill-grünen. Lauter kleine farbige Kästchen reihen sich Straße für Straße zu einer kunterbunten Kette auf, die dich durch das Straßengewirr leitet. So kannst du dich entscheiden, ob du heute einfach mal der blauen Farbe folgst. Es ist wie eine Schnitzeljagd ohne Schnipsel.
Lässig hängt ein Mann an einem Seil und streicht die Hausfassade lila. Das ist hier nichts Außergewöhnliches. Vielmehr reiht sich sein Haus in eine Farbwelt ein, die mich an Pippis Villa Kunterbunt erinnert. Der Straßenzug leuchtet in Gelb, Rot, Blau.
Ich bin in Kapstadts buntem Viertel Bo-Kaap, auch Cape Malay Quarter genannt. Verschleppte Sklaven aus Indonesien, Sri Lanka, Indien und Malaysia besiedelten dieses vor ungefähr 200 Jahren. Später gaben sie ihrem neuen Leben in Freiheit einen frischen Anstrich, der auch der einfachen Orientierung diente.
Stolz sind die Einwohner Bo-Kaaps noch heute, auf ihr Viertel und auch auf ihr Leben. In jeder zweiten Straße sei eine Moschee, scherzt mein Guide. Doch inzwischen leben hier nicht mehr nur Muslime, sondern eine bunte Mischung und auch immer mehr Leute mit Geld.
Wir haben uns Räder geliehen, um Kapstadts Zentrum zu erkunden. Tatsächlich halten wir gleich zufällig an einer Moschee. Ein älterer Muslim winkt mich heran und berichtet mit Stolz, dass dies die älteste Moschee im Land sei.
Die älteste Stadt Südafrikas hat nicht nur eine eindringliche Geschichte, sondern ist auch ziemlich hip. Was in Europas Großstädten in ist, findet man hier allemal. Vegane Cafés wie das Plant Café gleich um die Ecke der Anwal Masjid Moschee sprießen aus dem Boden. Doch hier ist das Kapstädter Original, erzählt mir die Besitzerin stolz, die gerade ein zweites eröffnet hat.
Ein Stück weiter im District Six vermischen sich ebenso die bewegende Geschichte und moderne Lebensart. Dort, wo einst freigelassene Sklaven, Händler, Arbeiter und Künstler Seite an Seite lebten, griff ab den 60er Jahren die menschenverachtende Politik der Apartheid um sich. Menschen wurden willkürlich nach Hautfarbe eingeteilt und aufgrund des Group Areas Act in die Townships vor der Stadt „umgesiedelt“. Nicht weit von hier auf dem Balkon der City Hall hielt Nelson Mandela seine erste Rede nach seiner Freilassung. Wo so viel Geschichte drin steckt, vibriert heute das normale, moderne Leben.
So wähle ich im historischen District 6 in der Charly’s Bakery zwischen Krümmelmonstergebäck und bunten Marshmellowteilchen, mit denen ich auf der Terrasse Platz nehme. Und wieder ist Nelson Mandela ganz nah, als er von einer hellblauen Mauer herübersieht. Ich ziehe weiter, will dort hin, wo einst das Nachtleben vibrierte.
Was einst die Long Street erfüllte, hat nun die benachbarte Bree Street übernommen – Unterhaltung und Kultur. Hier reihen sich nicht nur Restaurants und Bars aneinander, sondern man findet auch Kunst. In der Young Blood Gallery im beautifull life building gibt es wechselnde Ausstellungen und jeden ersten Donnerstag im Monat auch offene Ausstellungen und Performances für jedermann. Kunst kommt aus der Mitte der Gesellschaft und soll Teil der Gesellschaft bleiben. Es wird gekocht, getanzt und musiziert.
Staunend erlebe ich eine Stadt, die so viel kreatives Potenzial ausspielt. Nicht umsonst ist Kapstadt Design Hauptstadt 2014. Die Mischung aus Moderne und traditionellen afrikanischen Elementen spürt man überall.
Die Waterfront begeistert fast jeden Touristen mit ihrer direkten Lage am Meer und ihrer Shopping Mall mit zahlreichen Restaurants. Im Food Market V&A Market on the Wharf findet man an liebevollen Ständen Leckereien für den Hunger zwischendurch. Gleich dahinter werden in der überdachten Halle Watershed afrikanisches Kunsthandwerk, Schmuck und Mode verkauft.
Einem ähnlichen Konzept folgt auch die Old Biscuit Mill in Woodstock. Jedes Wochenende verwandeln sich zwei Hallen, die in der Woche als Parkfläche dienen, zu einem Food Market. Kleine Stände mit liebevoll zubereiteten Naschereien, Säften und Herzhaftem verschiedener Küchen machen auch demjenigen Appetit, der eigentlich nur zum Schauen kommt. Man isst an langen Tischen, die aus alten Türen zusammengebastelt sind oder draußen. Nebenan werden Kunsthandwerk und Mode verkauft.
Geht man durch die Straßen Woodstocks, haben auch hier inzwischen viele Gebäude einen neuen Anstrich bekommen. Grün, rot, blau – die einstöckigen Häuser bestechen weniger durch Größe als durch Farbe. Im intensiven Licht Kapstadts kommt die Leuchtkraft der Fassaden besonders zur Geltung. Die Kapstädter behalten sich ein Stück Freiheit bei – die Freiheit der Farben.
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- Die Stadt vor der Stadt – Kapstadts Flats
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Ich wurde von South African Tourism, Condor und Thomas Cook eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.
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