Die Landschaft schiebt sich immer mehr zu Wellen zusammen, bis sie sich in einer sanften Hügellandschaft verliert. Leicht, schwungvoll bieten sich Felder und Wiesen hinter Naumburg dar, fast als würden sie dem musikalischen und literarischen Gefühl Ausdruck verleihen, Künste, die diese Gegend um Weimar seit eh und je bestimmen.
Als ich den Zug in Weimar verlasse, fallen mir zunächst die vielen jungen Leute auf, die das Stadtbild neben den Touristen bestimmen. Studentenkneipen, Bars und jede Menge Inspiration machen die Stadt aus, die in den 80ern eine Erinnerung an „Grau und Zerfallen“ in mir zurückließ. Als ich damals mit meiner Familie durch die kleinen Holzbuden mit Zwiebelzöpfen spazierte, waren diese liebevoll geflochtenen Gebinde die einzig nennenswerten Akzente an jenem trüben Tag.
Zwei weitere Male kehrte ich nach Weimar zurück – bereits nach der Wende. 1999, ein Jahr nachdem die UNESCO das Ensemble Klassisches Weimar in die Welterbeliste aufnahm und in dem Jahr, als Weimar Europäische Kulturhauptstadt war, zog es mich mit meiner Mutter zu einem Ausflug noch einmal hierher. Die kontroverse Schau „Aufstieg und Fall der Moderne“ nahmen wir als Anlass, uns gleich die Stadt noch einmal mit anzuschauen und durch die auschweifenden Parklandschaft an der Ilm zu spazieren. Was waren wir erstaunt – die grauen Fassaden hatten einen kräftigen Anstrich erhalten. Sogar die Pferde trugen Säcke als Windel, um die Kopftsteinpflastertraßen nicht zu verschmutzen. Weimar hatte in der Zwischenzeit definitiv auch einen Aufstieg erfahren. Zu gemacht, zu geleckt, zu sauber – schrieb ich damals in mein Tagebuch.
Damit war Weimar für mich abgehakt, bis ich meinem Freund ein bisschen Kultur aus meiner Heimat vier Jahr später zeigen wollte. Weimar war nicht weniger geleckt Anfang des neuen Jahrtausends, doch dieses Mal strahlte die Stadt nicht ganz so auf, nachdem wir an jenem trüben Herbsttag zunächst das nahe gelegene ehemalige KZ Buchenwald besucht hatten. Wie eine kleine Puppenstube , ein frisch dekoriertes Schaufenster, in dem man nichts verrückt, so blieb mir Weimar in Erinnerung. Das Leben spielte sich für mich anderswo ab – in Erfurt und Jena.
Und jetzt? Kunst und Kultur werden nicht nur präsentiert sondern in jeder Pore gelebt. So findet man einstige Zeitungskioske, in denen Studenten ihre Kunst ausstellen. Oder das sogenannte „Hinterzimmer“ (Trierer Straße 33), das im Zuge der Bachelorarbeit von zwei Architektur- und einem Produktdesignstudenten entstanden war. Improvisierte Theateraufführungen von jungen Leuten, die uns unter Goethes und Schillers „steinigen Blicken“ die Flyer für diesen Abend verteilen. Musikinstrumente lässig über die Schultern gehängt, so sieht man auch junge Asiaten und Spanier durch die Straßen spazieren. Weimar hat sich nicht nur verjüngt sondern auch internationalisiert und das merkt man.
Auch eine aktive orthodoxe Gemeinde gibt es – klein, aber fein mit ihren 1000 Mitgliedern. Hinter der Fürstengruft findet man die winzige aber schmuckhafte Kirche, in die zeitgleich immerhin 200 Personen reinpassen. Da man in der orthodoxen Messe steht, ist das möglich. Ansonsten haben Orthodoxe Gleitzeit, meint der Wächter. Unter den Gemäuern der Russisch-Orthodoxen Grabkapelle auf dem Historischen Friedhof liegt zudem Maria Pawlowna begraben, die von den Weimarern einst als „Engel der Armen, Kranken und Waisen“ geliebt und verehrt wurde.
Wer einen Blick über die Stadt genießen möchte, dem sei ein anderes Gotteshaus empfohlen. Vom Turm der Jacobskirche hat man in alle Himmelrichtungen eine wunderbare Sicht. An diesem Ort wurden auch Johann Wolfgang von Goethe mit Christiane Vulpius getraut. Zu Füßen liegt der Jacobsfriedhof, der älteste noch existierende Friedhof Weimars, auf dem auch Friedrich von Schiller im Kassengewölbe beigesetzt wurde. Nicht ohne Grund wird das Mausoleum häufig als „Schiller-Gruft“ bezeichnet.
Überhaupt zieht Weimar vor allem die Klassikfans an. Goethe und Schiller lebten hier und so kann man ihre Wohnhäuser besichtigen, die ebenso zum Welterbe gehören wie das Wittumspalais, die Herzogin Anna Amalia Bibliothek, das Stadtschloss Weimar, die Stadtkirche mit Herderhaus und Altem Gymnasium, die Fürstengruft mit historischem Friedhof, der Ilm-Park mit Römischem Haus, Goethes Gartenhaus und Garten am Stern, Schloss Tiefurt, Schloss Ettersburg und Schloss Belvedere mit Schlosspark und Orangerie.
Gerade im Themenjahr „UNESCO-Welterbe in Deutschland“, das die DTZ für 2014 ausgerufen hat, erstrahlen dieses Bauten noch einmal in ihrer Vielzahl und Einzigartigkeit im Glanz. Mit Ausnahme der genannten Schlösser ist alles eng beieinander und somit fußläufig. Gerade im Frühling macht aber auch ein Spaziergang in der schönen blühenden Parkanlage an der Ilm Freude. In einer halben Stunde ist man dann auch vom südlichen Ende des Parks bis hinauf zum Schloss Belvedere gelaufen – ein Spaziergang, den ich nur empfehle.
Dabei habe ich einen Abstecher nach Alt-Weimar eingelegt, um hier in idyllischer Lage das Bienen-Museum aufzusuchen. Als ich die Holzbrücke über die Ilm passiere, schaue ich bereits auf den schönen Garten, in dem es mächtig summen muss. Stattdessen liegen jedoch ein paar Leute da und picknicken. Auch im Hof des Bienenmuseums wird gespeist. Auf spielerische Art und Weise lässt sich im Hof manches Detail über das Bienenvolk erfahren.
Nach dem Abstecher geht es zurück auf die Belvedere Allee vorbei an Wohnhäusern, Gartenanlagen und am Haus Hohe Pappeln, dem ehemaligen Wohnhaus von Henry van de Veldes. Als nach 20 Minuten der sowjetische Ehrenfriedhof vor mir auftaucht, sehe ich bereits in der Ferne hinter den Gedenksteinen das Schloss Belvedere aufblitzen. Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar und Eisenach ließ Mitte des 18. Jahrhunderts eine barocke Sommerresidenz einschließlich einer Orangerie sowie eines Lust- und Irrgartens auf dieser Anhöhe errichten. Nach seinem Tod verfielen die Parkanlagen zunächst, bis die Herzogin Anna Amalia ihnen zu neuem Schwung verhalf. Besonders schön ist es an diesem Frühlingstag, die Naturvielfalt in der Parkanlage und dem Russischen Garten zu genießen. Letzteren ließ der Erbherzog Carl Friedrich westlich des Schlosses für seine Frau, der russischen Großfürstin Maria Pawlowna, anlegen. Die Orangerie linker Hand wird aktuell restauriert – doch der Garten steht dennoch in höchster Blüte.
Als ich mich im Schlosspark auf einer Bank niederlasse, ertönt aus den geöffneten Fenstern Musik. Ein Blick auf ein Schild an der Hauswand verrät, dass hier auf den Hügeln der „Eichenleite“ der junge Nachwuchs im „Musikgymnasium Schloss Belvedere Weimar“ musiziert. Einen schöneren Ort für die Künste könnte man sich fast nicht vorstellen.
Weimar ist vielmehr als Goethe und Schiller, ist vielmehr als Literatur und Architektur. Weimar ist auch Musik. Das wissen im Schlossgarten von Belvedere oder im Ilm-Park sogar die Kröten zu quaken und die Vögel zu zwitschern. Fast meinte man, sie täten das noch schöner als anderswo.
Not only Goethe – Mein persönliches „Best of Weimar“
Für Tierliebhaber: Deutsche Bienenmuseum Weimar (2,50 EUR; übrigens hinter dem Museum rauscht ein Flüsschen, an dem es sich gut Picknicken lässt oder man trinkt nach dem Besuch des Museums einen Kaffee im „Immenhof“
Für Leute, die gern den Überblick haben: Die 114 Stufen hinauf zur Türmerwohnung der Jakobskirche steigen, von der man einen herrlichen Rundblick über Weimar genießt. (1 EUR, PS: In dieser Kirche wurden Goethe und Christiane Vulpius vermählt.)
Für Sportliche: Ihr wollte Kultur und Sport? Dann wandert doch einfach 4 km südlich vom Stadtzentrum der Eichenleite hinauf zum Schloss Belvedere. Ein Audioguide führt Euch dann durchs Schloss. (6 EUR) Danach kann man im Schlossgarten entspannt sitzen, bevor es zurück nach Weimar geht.
Für Vernaschte: Thüringen steht für guten Blechkuchen – aber nicht nur. Wer einmal im KORIAT vor der Kuchenvitrine gestanden hat, weiss, wovon ich spreche.
Für Ruhesuchende: Habe ich gleich zwei Empfehlungen. Natürlich ist da der omnipräsente Ilm-Park, in dem man noch dem Rauschen der Ilm und dem Zwitschern der Vögel lauschen kann. Zudem wäre da der Historische Friedhof, auf dem man gleichzeitig der kleinen Orthodoxen Kirche einen Besuch abstatten kann.
Für Klassikallergiker: Weimar ist die Geburtsstätte des Bauhauses! Eine ganze Siedlung wurde von den Bauhauskünstlern geplant, aber nur das Musterhaus von Georg Muche wurde realisiert, dann zogen sie weiter nach Dessau… Bauhausstudenten führen Euch durch das Haus.
Und die, die es klassisch mögen, schaut bei Inka vorbei, sie gibt Euch hierzu Tipps (und hat wie immer auch fantastische Fotos parat) oder bei Meike.
Ich wurde von Thüringen Tourismus nach Weimar eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.
Sehr schöner, umfangreicher Bericht über Weimar, tolle Bilder. Ich bin im Weimar aufgewachsen und habe der Stadt mit 17 zu Wendezeiten den Rücken gekehrt. Seither sind viele Jahre vergangen und ich bin immer mal wieder in der alten Heimat gewesen. Die Stadt meiner Kindheit hat sich wirklich sehr gewandelt und zwar im positivsten Sinne. Überall erkenne ich noch die alten Gebäude und Strukturen, aber alles ist sorgfältig gepflegt, ohne die besondere Aura zu zerstören. Mein letzter Besuch zu Ostern hat mir richtig Spaß gemacht und einige Stellen, an denen Du unterwegs warst, habe ich auch besucht…
Danke Beatrice. Der Wandel verblüffte mich auch. LG, Madlen
Hach, Weimar ist echt schööön! Da muss ich auch mal wieder hin. Ich war bisher nur kurz dort, einem sehr nebligen Tag – http://maraa.de/2014/weimar/.
Dabei gibt’s ja offensichtlich soooo viel zu sehen, danke für die vielen Infos und Tipps!
Ich hatte richtig Glück mit dem Wetter, bei meiner Abreise begann es erst zu regnen 😉 Wirklich hübsches Städtchen, dieses Weimar. LG, Madlen
Liebe Madlen, wenn Dir mal wieder nach Weimar ist, dann melde Dich bei uns: hier-war-goethe-nie.de!
Wir freuen uns, dass Dir Weimar so gut gefallen hat.
Gern, lieber Mark. Es war sicherlich nicht mein letzter Besuch 😉 LG, Madlen