Nun konnte ich heute ganz ohne den Orgakram Buenos Aires geniessen. Mein Hostel befindet sich im Zentrum und so lebt man wie in einer europäischen Großstadt. Mich erinnert das Gefühl hier an Paris. Die alten kolonialen Häuser aus dem 19 Jahrhundert gemischt mit neueren, modernen Bauten. Eben Großstadt. Und dann Cafés im Überschuss, deren Anblick meist an vergangene Zeiten erinnert. Gardinen, Schriftzüge am Fenster und Tischdecken. Man fühlt sich schnell heimelig und möchte sein Milchkaffeeleben von Berlin hier weiterführen. An der Ave de Mayo erinnern schwere Bauten gar an Unter den Linden. Und dann wechselt man schnell ins neumodische BA, wenn man sich in die Hafengegend begibt. Am Ufer des Barrios Puerto Madero glänzen gläserne Fassaden sowie modernisierte Backstein-Lagerhäuser. Hier weht immer ein frisches Lüftchen, wenn es im Zentrum zu heiss wird.
Wenn man durch die engen Strassen des Zentrums läuft, vernimmt man immer wieder ein plötzliches Läuten, als würde jemand einen Alarm auslösen. Nach einer Weile verstand ich den Zusammenhang zwischen dieser Sirene und dem Herausfahren eines Fahrzeugs aus einem Gebäude. Nicht dumm die Argentinier. Damit die unzähligen Fussgänger nicht über den Haufen gefahren werden, werden sie zumindest gewarnt – Achtung jetzt kommt ein Auto! Zudem sieht man überall junge Burschen, die den Müll mit Händen aufsammeln und in Wagen abtransportieren. Ansonsten sah ich bisher erstaunlich wenig Armut.
Mein Weg führte mich heute in die Arbeiter(Touristen)viertel San Telmo und La Boca, nachdem ich die Ave. de Mayo abgelaufen war und Präsidentinnen-Palast sowie Parlament abglichtet hatte. So fuhr ich mit dem Bus nach La Boca und lief zurück in die Innenstadt. Nach den Stadttagen werden meine Füsse nur noch schmerzen. Was die beiden Stadtteile prägt, ist der Tango. Nahezu kein Restaurant, dass sich nicht so ein tanzendes Pärchen als Aushängeschild vor die Türen stellt. Und so kommt man zwangsläufig permanent mit Tangomusik und -tanz in Berührung. Vor La Boca wird nachts gewarnt, was man aber tagsüber hier erleben darf, ist purer Massentourismus. Da fahren die Touranbieter in Schlangen vor und entladen ihre Fahrgäste. So ist es schwer, ein typisches farbenfrohes Wellblechhaus ohne Tourist zu fotografieren. Wäre nicht der Tango, hätte ich schnell Reißaus genommen, doch dieser lud zum Verweilen ein. Und dann faszinierte ja schon der Gang durch die bunten Strassen – vor allem Caminito. Und das Wasser ist auch wieder nicht weit, ist der Stadtteil ja nach der Mündung (Boca) des Rio Riachuelo bezeichnet. Weiter stadteinwärts findet man San Telmo – das Viertel, in dem angeblich BA gegründet wurde. Im Parque Lezama fand ich ein wenig Schatten und Ruhe vor den Touristen- und Autoscharen. Der Plaza Dorrego hingegen ist wieder mit Tischen und Stühlen gesäumt und auch hier dürfen die tanzenden Tangopaare nicht fehlen. Ich tippe auf einen guten Nebenverdienst für Studenten. Hier bedient man nicht, sondern tanzt. Gab es in La Boca noch echte Musiker, die die Tänzer begleiteten, so hatte man hier seine Tonanlage aufgestellt. Ein paar Hippie-Argentinier mit selbstgefertigten Ohrringen oder Keulen, die sie in die Luft schwangen, durften auch nicht fehlen.
Da ich heute schon so viel Tango erleben durfte und dabei noch mehr Kaffees, verbrachte ich den Abend im Kino. Und da es passend einen argentinischen Oscargewinner gab, schaute ich mir doch gleich diesen Film an (El secreto de sus ojos). Ich weiss nicht, ob es an der Thematik lag, dass vornehmlich Rentner zu den Kinogästen zählen. Aber mit 2 EUR war der Eintritt sehr billig. Als ich zurück ins Hostel kam, machte sich die Reisejugend gerade ausgehfertig – mit Glätteisen, Haarspray und fetter Schminke. Mir soll es recht sein, denn wer weg ist, macht wenigstens keinen Lärm. Diese Backpackers in den Großstädten sind echt nicht’s für Erholung. Da wird abends um 23 Uhr erst mal so richtig die Musik aufgedreht. Hinzukommt, dass ich mich bei meiner Ankunft noch über die zeitweise Strassensperrung vor unserem Haus gefreut hatte – würde dies den Verkehrslärm eindämmen. Tja, nur gibt es noch etwas Schlimmeres als Strassenlärm – Baustellenlärm morgens um 7 Uhr! Zum Glück sind die Argentinier von der schnellen Sorte, was zumindest den Strassenbau betrifft (im Supermarkt sieht das nämlich schon wieder ganz anders aus) und so war die morgens gefräste Strasse abends mit einer fertigen Teerdecke versehen und alle Sperrungen aufgehoben. Und dann frage ich mich ja noch tatsächlich, was manche Reisende auf ihren Reisen so machen. Bis nachmittags schlafen. Dann komme ich kurz um 17 Uhr kurz zurück und der gesamte Aufenthaltsraum ist voll mit den jungen Leuten. Aber in BA gewesen sein– ist ja auch etwas, wenngleich nur das BA Stop Hostel.