Dicke, graue Wolken liegen über Belém, als wollten sie sich gleich über der Stadt ergießen. Ich bin am Tor zum Amazonas und dieses ist weniger idyllisch, als das, was die Natur am Delta des wasserreichsten Flusses der Welt sonst so verspricht.
Farbige Boote und eine faulige Brise
Belém geht durch die Nase. Riecht es sonst nach einem Regenschauer sandig-frisch, so verstärkt sich in den Straßen der Stadt noch der Gestank des Abwassers, Mülls und Urins. Dabei leuchten die Fassaden, Boote und Gaiolas im kleinen Fischerhafen am Ende der Avenida 16 de Novembro farbenfroh im gedämmten Licht, das die Sonne durch die Wolkendecke herabschickt. Doch die bröckelnden Fassaden und die engen Gassen, die mit Verkaufsständen gepflastert sind, sprechen eher von Verfall. Zwischen den bunten Amazonasbooten, die zur Ebbezeit im Sand gestrandet liegen, verteilt sich der Müll. Schwarze Geier wachen ungeduldig darüber und halten Ausschau nach Beute, die es hier massenweise gibt. Bei über dreißig Grad Temperatur fault, verwest und vergärt alles, wenn sie es sich nicht schnell genug schnappen – ob weggeworfene Fleischüberreste und Fischinnereien, verfaultes Obst oder Essensreste. Und dabei konkurrieren die hungrigen Vögel durchaus mit Bettlern und Obdachlosen, die es hier zuhauf gibt.
Wir fallen auf als europäische Frauen, die durch die männerdominierte Welt des kleinen Fischerhafens schlendern. Kaum ein Bootsmann, der nicht zu uns herüber schaut. Marktstände schließen sich an – zwischen dem Rio Guamá und dem Boulevard Castilho Franca. Bettler und Obdachlose findet man an vielen Ecken. Belém ist sicherlich kein guter Ort, um zu stranden. Doch das hoffnungsvolle Tor zum Amazonas, das während des Kautschukbooms seine Blüte erreichte, scheint für viele heute eher eine Sackgasse zu sein. Ein bedrückendes Gefühl macht sich breit und die Frage, bin ich hier richtig. Die grauen Wolken schütten sich über der Stadt aus, es blitzt, Donner grollt. Bedrohlich wirken Wetter und Stadt zugleich. Das Gefühl können die leuchtenden Farben von Booten und Häusern nicht überdecken.
Meine Begleitung fragt mich, ob wir doch lieber in das sichere Gemäuer unserer Pousada zurückkehren sollen. Ich denke mir jedoch, das kann nicht alles gewesen sein. Die Stadt hat ein gerechtes Urteil verdient, das nicht vom getrübten Blick des ersten Eindrucks geprägt sein darf. Zu interessant wirken die Gebäude und das vibrierende Herz der Stadt, als dass ich mich jetzt zurückziehen wollte. Da ist zum einen die interessante Eisenkonstruktion des Fischmarkt-Gebäudes am Ver-o-Peso, die von Henrique la Roque entworfen und 1901 erbaut wurde. Dann sind da die wunderschönen Keramikfliesen-Fassaden, die auch hier ein Erbe der portugiesischen Kolonialzeit sind.
Belém und die Sicherheit
An einer Häuserecke sind die schweren Holztüren weit geöffnet. Junge Männer knien gefesselt auf dem nackten Boden. Über ihnen wacht stehend die Staatsgewalt. Gewaltig bleibt dieses Bild haften, als wir die Straße weiter hinuntergehen. Belém gilt nicht als das sicherste Pflaster. Nach Einbruch der Dunkelheit sollen wir die Straßen meiden, die wir jetzt noch passieren. Es ist nicht so, dass sich diese Gegend tagsüber bedeutend besser anfühlt. Es gibt Momente auf Reisen, in denen man das Gefühl hat, falsch zu sein. Als mich ein „Parkplatzwächter“ fragt, ob mir der neue Mercedes gehört, muss ich kurz lachen. Dann wird mir klar, dass die noch so unscheinbarste Verkleidung nicht meine Herkunft kaschieren kann und ein Bild für diesen Mann projiziert, das mich mit diesem Auto in Verbindung bringt.
Estação das Docas – die Insel in der Stadt
Es gibt eine kleine Insel hier in der Altstadt – ganz nah am Markt Ver-o-Peso und auch direkt am Wasser. In den Hallen des alten Übersee-Hafenkais hat man den gut eingezäunten Komplex Estação das Docas mit Restaurants und Souvenirläden geschaffen – alles sehr brasilianisch, aber für die Mittelschicht und die, die es sich leisten können, dafür sorgen allein Zaun und die Preise. An überdachten Tischen am Flussufer wird Kaffee getrunken und gegessen.
Am Forte do Presépio
Auf unserem Rückweg hat sich etwas Ruhe in die geschäftige Marktumgebung und zwischen die Verkaufsstände in den Seitenstraßen gelegt. Ich gehe noch ein Stück allein weiter über den Praça Dom Frei Caetano Brandão zum Forte do Presépio. Zwei Polizisten bewachen die Touristenattraktion und vermitteln oberflächlich ein Gefühl der Sicherheit. Vor der Festung kann man Räder mieten. Auch hier steht ein Polizist. Als ich am Casa das Onze Janelas vorbeilaufe, winkt mich ein Mitarbeiter rein. Ich schaue mir eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst aus dem Norden und Nordostens Brasiliens an, „Arte Pari – Trinta e Seis“ kuratiert von Paulo Herkennhoff. Hinter dem Haus sitzen junge Studenten auf den Treppenstufen zum Fluss. Ein Junge spielt Gitarre, man unterhält sich oder schaut den Sonnenuntergang Händchen haltend zu. Plötzlich ist Belém wie jede andere Stadt abends auch. Endlich sehe ich die vielen Mangobäume, höre die Vögel singen und atme mehr das Wasser als den Abfall durch die Nase ein.
Rückkehr nach Belém
Nachdem ich ein paar Tage auf der ruhigen Ilja do Marajó verbracht habe, kehre ich noch einmal nach Belém zurück. Wir setzen in einer dreistündigen Überfahrt von Camará über. Es sind die letzten Stunden, die ich ein wenig die Natur des Amazonasdeltas einatme. Dann sehe ich im Licht der untergehenden Sonne die Skyline von Belém. Die Stadt liegt am Rio Guama, der in den Mündungstrichter von Rio Tocantis und Rio do Para fließt. Der Rio Tocantins und Amazonas einen das selbe Mündungsdelta, das von der Schwemmlandinsel Ilja do Marajó geteilt wird.
Es ist bereits nach 18 Uhr, als unsere rostige Fähre in den Hafen einfährt. Die inspirationslosen Hochhäuser des modernen Teils der Stadt drücken alles weg, was mir vom ersten Besuch in der Erinnerung geblieben ist. Wir fahre langsam an de Uferzone an Holzhauskonstruktionen auf Stelzen vorbei. Laute Bässe und Melodien schwappen durch das Motorengeräusch der Fähre zu uns herüber. Die Uferzone ist gefüllt mit Menschen, die am Sonntagabend ausgehen, etwas trinken und feiern.
Doch kaum fahren wir mit dem Taxi durch die engen Straßen Richtung Praca da Republik, in dessen Nähe wir dieses Mal übernachten, ist kaum noch ein Mensch auf der Straße. Was die Marktumgebung wuselig ist, wird hier von absoluter Leere bestimmt. Hier muss es doch noch etwas zu entdecken geben, nicht zuletzt bezeichnen viele Reiseführer und Blogs Belém als das „Paris des Amazonas“.
Beléms Neustadt
Am Praca da Republik, einer städtischen Parkanlage, befindet sich das Teatro da Paz, das dem bekannten Teatro in Manaus sehr ähnelt. Beide sind Zeugen der reichen Kautschukzeit. Obwohl man im Ausland häufig von dem Teatro Amazonas in Manaus hört, soll dieses hier doch das bedeutendste Kulturhaus Nordbrasiliens sein. Das neoklassizistische Theatergebäude, das dem Teatro alla Spalla in Mailand nachempfunden ist, leuchtet heutzutage wieder in seinem rotbraunem Gewand, nachdem es besonders nach dem Einbruch des Kautschukbooms in seinem Erscheinungsbild vernachlässigt wurde.
Ich spaziere am nächsten Tag durch die leeren Straßen der Neustadt, bevor es mich wieder hinunter an den Guamá-Fluss zieht. An der Avenida President Vargas entdecke ich erneut bröckelnde, aber zugleich wunderschöne Fassaden, die vom einstigen Glanz der Stadt berichten. Ein Wasserverkäufer bittet mich, die Kamera wegzustecken und deutet zugleich auf die obdachlosen Menschen im Gras und auf den Bänken, die ich in diesem Augenblick noch nicht wahrnahm. Nachdem ich einen Stopp im Point do Açai einlege, in dem nicht nur das gewöhnliche süße Açaí na Tiegel gereicht wird, sondern auch herzhafte Mehrgang-Menüs, laufe ich ein Stück Richtung Fischmarkt weiter. Später nehme ich die entgegengesetzte Richtung zum Ver-O-Rio. Ich komme an verwaisten Hafenhallen vorbei. Dass dies keine Gegend für eine Frau allein unterwegs ist, zeigen mir die zahlreich hupenden Taxi- und Busfahrer. Immer wieder hält ein Bus oder Taxi neben mir und will mich mitnehmen.
Am Ende sitze ich doch wieder auf der Terrasse des Estação das Docas und genieße den Blick über den Fluss. Gelbe Lastenkrähne leuchten unter dem blauem Himmel. Die Wedel der Palme mit ihren roten Früchten rascheln im Wind. Ich schaue den Booten zu, wie sie kommen und gehen. Und wieder packt mich eine gewisse Sehnsucht und Wehmut zugleich, denn das ist das Ende meiner Reise.
Den Abend verbringe ich mit meiner Begleitung dort, wo Einheimische den Sonnenuntergang genießen – am Ver-O-Rio. Tapioca-Buden säumen das kleine Rondell, auf dem Spielplatz tollen Kinder. Auf einem kleinen Teich schwimmen Tretbootschwäne. Handys werden in die Luft gestreckt, als die Sonne über dem Fluss untergeht. Und plötzlich merke ich, dass die Stadt ihren Geruch verloren hat.
Was man sonst noch wissen sollte?
- Belém ist das Tor zum Amazonas. Wer schnell und unkompliziert von Belém in den Urwald starten möchte, sollte einen Flug mit TAP Air Portugal in Erwägung ziehen. Sie fliegen Belém dreimal wöchentlich direkt von Lissabon aus an. Zubringerflüge gibt es aus vielen deutschen Großstädten.
- Übernachtung: Hotel Le Massilia & Portas da Amazônia Belém
- Kulinarisch:
Restaurante Point do Açaí & A Corte // Essen mit View: Tapiocastände: Ver-O-Rio / Estação das Docas
- Ausflüge: zur Ilha do Marajó (Fähre 2-3 h) -> Hierzu demnächst mehr.
- Besonderes: Das größte Fest der Stadt und das größte religiöse Fest Brasiliens, die Círio de Nossa Senhora de Nazaré, wird am zweiten Oktoberwochenende gefeiert. Hunderttausende Menschen kommen dann aus dem ganzen Land in die Stadt und tragen eine Marienstatue in einer Sänfte durch die Straßen. Wer das daran befestigte, hunderte Meter lange Seil greifen kann „pegar a corda“, bekommt dafür seine Sünden vergeben.
Ich wurde auf meiner Reise durch den Nordosten Brasiliens von TAP Air Portugal unterstützt. Der Inhalt meiner Beiträge bleibt davon unberührt.