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Es war einmal Meck-Pom

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Mich treibt es nicht nur in die Ferne, sondern auch in der direkten und unmittelbaren Umgebung suche ich nahezu wöchentlich die Natur auf. Das heißt mehr oder weniger auch, in den Sommermonaten immer freitags das Zelt zu schnappen, um dann gen Norden nach Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern zu fahren. Meck-Pom ist wie Reisen. Immer wieder gab es die letzten Jahre Neues zu entdecken. Immer wieder schlugen wir woanders unsere Zelte auf. Bis wir einen Flecken entdeckten, der uns immer wieder anzog.

Und so häufte es sich, dass wir anstatt ganz mobil unterwegs zu sein, immer mehr genau an diesen einen Ort zurückkehrten. Da können wir uns doch dann gleich etwas Fixes nehmen! Fix war allenfalls unsere Idee von einem Bauwagen. Nach einigen Monaten des Grübelns über diese Option, verwarfen wir sie letztendlich. Ein Aufenthalt in der Mongolei brachte uns letztendlich auf die nächste Idee, ein kleines Häuschen, dass man auch in der Winterzeit bewohnen könnte, inmitten der Natur. Am besten mit Kamin, denn der Ofen in der mongolischen Jurte brachte ein besonderes Maß an Romantik. Doch Meck-Pom und „Ferienhäuschen“ ist ein Kapitel für sich. Der Immobilienmarkt gibt nicht viel her und erst recht nichts Günstiges. Und dann noch diese ehemaligen Bungalowsiedlungen aus FDGB-Zeiten. Da kann ich ja gleich auf meinem Balkon in der Großstadt bleiben. Jeder Zentimeter an Fläche, die man Garten nennen könnte, ist abgemessen. Hier lässt sich kaum ein Busch anpflanzen. So habe ich mir die Hütte in der Natur nicht vorgestellt – Häuschen in Reih und Glied. Und so begaben wir uns weiter auf die Suche, nach einem idyllischen Ausgangspunkt für unsere Outdooraktivitäten.

An einem Wochenende im Oktober machten wir uns dann wieder auf den Weg gen Norden. Vier Termine, die Makler hatten allesamt nur heute Zeit. Später bemerkten wir, dass wir selbst diese vier Termine sehr ambitioniert gelegt hatten. Morgens um 7 Uhr ging es los. Es schüttete aus Kübeln. Das beste Wetter, um sich Immobilien anzusehen. Nichts kann hier beschönigt und ausgeleuchtet werden. Heute ist alles grau und mächtig nass. Dann gingen wir unsere Aktion auch noch völlig übernächtigt an, aber der Makler Nummer eins hatte nur um 9 Uhr Zeit. Da hilft großstädtisches Gejammer nicht viel. Im Neuruppiner Umland angekommen, schlitterten wir über uns von Radtouren bereits bekanntes Terrain Richtung Molchow. Hier ist noch Brandenburg. Verschlafen lag der Ort morgens da. Aber was sollen die wenigen Dorfbewohner auch Samstagmorgen  um 9 Uhr im strömenden Regen auf den Straßen machen? Sicherlich füllt sich das Gebiet exponential mit den Jahreszeiten. Jetzt ist eben Herbst und nicht mehr Sommer. Der Bungalow ist feinste Ostplatte. Ein Rentner bewohnte diesen einst mit seiner Frau in der Sommerzeit, bis diese im vergangenen Jahr starb. Nun will er ihn nicht mehr. Wir wollen ihn tendenziell auch nicht. Zwar steht er nicht wie andere solcher Bauten in Reih und Glied, sondern auf einem etwas großzügigeren Grundstück zwischen zwei Wohnhäusern, aber das Innenleben des Hauses ist bereits lang vor der Besitzerin gestorben. Hier stimmt nichts. Aber zum niedrigen Preis bleibt es dennoch eine Option. Wieder zum Auto geeilt, sind meine Schuhe und Strümpfe bereits völlig durchnässt. Für meine wasserdichten Jack Wolfskin-Trekkingschuhe sah ich in der morgendlichen Eile wohl keinen Gebrauch, so nur konnte ich es mir erklären, dass ich in feinsten Stoffturnschuhen im Brandenburgischen Sand-Matsch-Boden aufkreuzte.

Weiter ging’s 1,5 Stunden nördlicher. Kleiner Zwischenstopp im McDonalds Neuruppin. Das ist der totale Absturz, aber wo sonst bekommt man hier auf dem Land morgens um diese Zeit problemlos einen Cappuccino serviert. Die Besucher machen wahrlich Lust auf mehr Land. Hier wird fett(ig) gefrühstückt – mit Kind und Kegel Pommes und Burger verdrückt. Unsere Niedrigquote von allenfalls McCafé wird mit diesem Besuch auf etwas weniger niedrig angehoben. Kaum wieder im Auto, ruft schon ungeduldig der nächste Makler an. Wo wir seien, wollte er wissen. Nun ja, unser Termin ist doch erst in 1,5 Stunden. Da hatte wohl seine Mutter etwas durcheinander gebracht. Nicht unsere Schuld. Und so wartete er brav in diesem einsamen Häuschen im Wald, das uns selbst im strömenden Regen sprachlos machte. Nach zahlreichen Bungalowsiedlungen und Plattenhäusern bekamen wir hier ein wahres Prachtstück präsentiert, dem nicht einmal der Regen etwas anhaben konnte. Große Fensterfront, schöner Kamin, keine Nachbarn – mitten im Wald und doch nah am See. Mein Ruhebedürfnis würde hier völlig befriedigt werden, wenn es nur auch der Geldbeutel täte. Der Preis liegt jenseits dessen, was wir uns einst unter „Bauwagen“ finanziell vorgestellt hatten. Da die Besitzer auch gerade vor Ort waren und uns zum Tee einluden, verquatschten wir den nächsten Termin, der ohnehin gar nicht zu schaffen war. Wir hätten wieder 2 Stunden in süd-östliche Richtung fahren müssen. Immer weiter versteiften wir uns auf dieses Stück Idylle. Dennoch mussten wir uns nach 3 Stunden trennen. Es ging weiter.

Mein Begleiter hatte sich da noch ein „Objekt“ in der Mecklenburger Schweiz ausgeguckt. Für mich von Anfang an indiskutable, wollte ich zwar unter die Ferienhäuschenbesitzer, aber durchaus nicht unter die Hausbesitzer gehen. Aus einer losen Idee sollte nicht so etwas Festes werden. Bauernhof auf dem Land klingt zwar gut, ist aber auch zu viel Arbeit, um dies noch neben dem Job erledigt zu bekommen. Und außerdem ist da ja noch die Leidenschhaft für’s Reisen, die dann nicht mehr voll befriedigt werden kann. In diesem Dorf nahe des Malchiner Sees nun angekommen, fahren wir die Dorfstraße auf und ab. Wir erkennen das Haus aus der Objektbeschreibung nicht, aber sehr wohl die Hausnummer. Doch das eine stimmte mit dem anderen nicht überein.

Was sich auf dem ausgeschriebenen Grund befand,war sehr eindeutig ein Doppelhaus. Etwas Spießigeres gibt es ja wohl nicht. Doppelhaushälfte mitten im Dorf! Wir diskutierten, denn für mich war jede Besichtigungsminute vergeudete Zeit. Doch mein Begleiter kam argumentativ mit Tugenden wie Anstand und Höflichkeit um die Ecke. Aufgrund meiner Kinderstube ließ ich mich dann doch überzeugen und wir fuhren auf den Hof. Anders als bisher begrüßte uns nicht ein prolliger Makler, sondern ein dezenter Mann vom Land in den Mittvierzigern. Das war nun also der Besitzer. Mich überkam von Anfang an eine Art Mitgefühl für diese Tristesse, die uns plötzlich umgab. Das Wetter versuchte alles, uns das Objekt gut zu verkaufen, aber so viel Sonne hätte gar nicht scheinen können, um uns zum Kauf zu animieren.

Wir begannen unseren kürzesten Rundgang unserer gesamten „Immobilienrundreise“ in der Scheune. „Ja, hier habe ich bisher Schweine und Kühe gehalten. Die habe ich gestern alle geschlachtet, ne.“ Schweigen überkam uns und ein bitteres Gefühl. Er konnte nicht wissen, dass ihm gegenüber zwei Vegetarier stehen – strictly seit 22 Jahren. Der Start hätte nicht schlechter für ihn ausfallen können. Der Garten mit Fischteich war zwar sehr kleinbürgerlich, aber irgendwie charmant. Immerhin ein riesiges Grundstück, das letzte Highlight der Besichtigung. War man bereits schon im gefühlsmäßigen Tal, ging es nun noch weiter bergab. Ein Gartenhäuschen stand als nächstes auf der Agenda. Hier fehlte der Schlüssel und wir schauten nur kurz durch das Fenster hinein. Worte wie diese begleiteten unseren Blick: „Hier stand eine Einbauküche drin, aber die hat die Frau mitgenommen, ne.“ Nun wussten wir endgültig, wo der Hase hinläuft bzw. woher er kam. Der Hausverkauf nur notgedrungen. Die Frau war auf und davon. Ein Schicksal, das in diesen Regionen viele Paare ereilte in den Nachwendejahren.

Nun war das Haupthaus dran. Auch hier gähnende Leere. Dieses und jenes war von der Frau gleich ebenso mit eingepackt wurden. Die musste wohl nicht in Nacht und Nebel geflüchtet sein, sondern wohlorganisiert mit Transporter. Auf der oberen Etage dann ein Zimmer mit Auto- und Filmmotiven an den Wänden. Das war das Zimmer des Sohnes. Das erkennen wir ohne Worte. Mit etwas Galgenhumor kündigt der Hausbesitzer das nächste Zimmer an: „Das erkennen Sie auch gleich an den Wänden, das gehörte der Großen.“ Justin Biber und andere topaktuellen Teeniestars schauten von der schrägen Decke. Vor uns stand ein gebrochener Familienvater, der so schnell wie möglich in die Platte ins nahegelegene Teterow ziehen will. Gern würden wir ihm dabei helfen, seine Erinnerungen übernehmen und einfach überpinseln. Doch so einfach ist das Leben nicht. In uns liegt seine Hoffnung als wir vom Bellen des Kampfhundes begleitet den Hof verlassen. Die Sonne knallte inzwischen vollends vom Himmel. Doch unser gefühlsmäßiger Himmel war bewölkter als je zuvor. Schweigend fuhren wir zum Schloss Schorssow. Kaffeetrinken, um die Geschichte auf uns wirken zu lassen. Unausgesprochen sind die Worte. Zum Glück wollten wir nur ein Wochenendhaus!

Anmerkung: Ein halbes Jahr später – das „Objekt“ ist verkauft, der Verlassene nach Teterow gezogen. Ein neues Glück zieht ein.  Ich atme einmal tief durch.

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