Es ist 5.30 Uhr Ortszeit. Ich schaue in einen Wolkenteppich unter mir, während die Sonne den Horizont rot erleuchtet. Ich habe ein Déjà-vu. Hier war ich schon einmal – 12. März 2010 – dasselbe Bild, nur die umgekehrte Richtung. Damals ahnte ich nicht, als ich mich im morgendlichen Sonnenaufgang über dem Rio de la Plata befand, dass ich kein Jahr später bereits wieder nach Buenos Aires zurückkehren würde. Das schöne an Buenos Aires ist, dass hier anders als in Deutschland gerade Hochsommer ist. Die schwüle Hitze schneidet mir schon am frühen morgen die Atemluft und lässt erahnen, was auf uns in nur drei Stunden von oben einprasseln wird. Sonne satt.
Zunächst gilt es aber, an argentinische Pesos zu kommen. Die Wechselstuben am Terminal haben geschlossen, der Bankautomat kein Geld. Schnell laufen wir hinüber zum anderen Terminal, um doch noch an Pesos zu kommen. Das ist der 1. Enero 2011. Wieder zurück am älteren Terminal, besorgen wir uns sofort ein Flugtickt nach Ushuaia. Wir wollen so schnell wie möglich weg nach Feuerland. Buenos Aires kenne ich, ich will etwas Neues entdecken. Am 3. Januar geht unser Flug. Es bleiben uns nun zwei Tage in der Stadt, die wir erst einmal betreten müssen. Nun heisst es Geld sparen, kostete unser Flug nach Feuerland schon ein kleines Vermögen. Also nehmen wir die zweistündige Busfahrt in die Innenstadt auf uns, die wir überwiegend stehend verbringen. Aber ein bisschen Streckung tut den Beinen gut. Der Bus scheint jede kleine Abfahrt von der Hauptstrasse zu nehmen. Ich sehe Barrios, die ich das letzte Mal nicht wahrgenommen habe.
Fast angekommen, fällt uns ein junger Mann ins Auge, der während wir an einer Ampel warten, zwei geköpfte Sektflaschen noch einmal köpft, auf seine Art und Weise. Er schlägt die Hälse ab und testet, ob sie am Rand auch ja scharf genug sind. Später fällt mir die Szene noch einmal ein, als uns Brasilianer berichten, wie Freunde von Ihnen überfallen und dabei verletzt wurden. Die Brasilianer kamen aus Rio. Sie warnten uns aber vor Buenos Aires. Verkehrte Welt, denke ich und mag mir zugleich nicht ausdenken, was dieser Herr mit den beiden geköpften Sektflaschen angestellt hat.
Die Innenstadt ist gespenstisch ruhig. Es ist noch nicht einmal 9 Uhr. Da kann es schon einmal ruhig sein. Jeder schläft seinen Rausch aus, nur die Müllfrauen und -männer sind in der Calle Florida aktiv. Wir steuern das Marriott an – zu Fuß. Haben seit 24 Stunden die gleichen Klamotten an und keine Gelegenheit zum frisch machen gehabt. So fühle ich mich auch, als wir vor der Receptionista im Marriott stehen. Bedauerlicherweise ist unser Zimmer erst um 15 Uhr beziehbar. Wäre ich doch lieber in ein Hostel gegangen und hätte für das Zimmer bezahlt. Stattdessen wollen wir sparen und im Marriott Punkte einlösen. Doch diese Welt erscheint mir so absurd und fremd. Das volle Programm an amerikanischer Schrecklichkeit und Kitsch erwarten uns. Als wir später in der Business Lounge, zu der wir Zugang haben, sind, sitzt hinter uns ein augenscheinlich sehr reiches Paar aus Frankreich. Nicht zu erwähnen ist, dass ich mich in meinen für den Urwald gedachten ältesten Klamotten, die mein Kleiderschrank nur hergibt, sichtlich unwohl fühle. Ich spüre die Blicke der anderen bei jeder meiner Bewegungen. T-Shirt = H&M (5,90 EUR), Rock = H&M (ca. 19 EUR), Flip Flops = aus Brasilien (geschenkt). Aber wie seltsam erscheint es mir, als genau dieses wohlhabende Paar einen Lonely Planet auf seinen Tisch liegen hat. Das ist also die neue Zielgruppe, für die die 300 EUR “Our Pick” sind. Da wir unser Zimmer noch nicht beziehen dürfen, gehen wir schnell in den Fitness Bereich, um dort zu duschen und uns umzukleiden. Naja, nur was gibt mein Rucksack schon her? Dann geht es raus ins Leben, und so langsam scheint Buenos Aires tatsächlich zu erwachen, wenngleich nur auf Sparflamme, denn die meisten Kneipen und Läden bleiben heute selbst in der Hauptstrasse geschlossen.
Ich gehe mit Lars eine Runde durch Recoletta. Als wir zu unserem Hotel zurückkehren, fallen uns Rally-Fahrer auf, hochprofessionell. Die ganze Stadt scheint vor Rallyautos und Rallyfahrern zu wimmeln. Ach ja, da war doch etwas, die Rally Dakar. Schnell bekommen wir die Information, dass diese heute Nachmittag auf der Avenida 9 de Julio startet. Wir fahren noch schnell nach La Boca, bevor auch wir diesem Start beiwohnen. Auf dem Rückweg, fuhr unsere Linie nicht zum Plaza de Mayo, was uns der Busfahrer erst sagte, als er sich schon in die dusteren Ecken verirrte. Ich kannte den Weg ja ein wenig und fragte, ob er über San Telmo fahren würde, aber auch dies verneinte er mehrfach. Von dort hätten wir laufen können. Irgendwann kommt uns ein Argentinier zur Hilfe und meint, er fahre in die Nähe des Obelisken. Das ist doch Centro, also warum nicht gleich so. Der Busfahrer war einfach nur ignorant. Und plötzlich fuhr ganz breit durch die Straßen San Telmos. Der hat uns voll verarscht. Den Plaza de Mayo konnten wir tatsächlich nicht ansteuern, da hier alles für die Rally gesperrt war. Wir schauten uns für eine Stunde die Wagenpräsentation an. Das war ein Spektakel, die ganze Avenida 9 de Julio war gesperrt. Große Leinwände und Menschenmassen. Es wird gerade für meine geschlagene Seele nicht weniger, sondern mehr. Wie sehr sehne ich mich nach Ruhe, nach Natur. Ich will kein Spektakel haben, ich will einfach nur aufs platte Land.