Wahrlich ein Schauspieler, mit Witz, Humor, wachem Geist, nicht ohne eine Brise „charmanter Boshaftigkeit“ zwischen den Zeilen für all jene Menschen, die das Reisen nur mit dem Wort „Pauschal“ davor genießen können. Sein Buch, eine Ode an die innere Zerrissenheit zwischen Alltag und leidenschaftlicher Hingabe zum wirklichen Leben
Allein schon ein Kondensstreifen am Himmel hat die Kraft ein so tiefes, unbändiges Fernweh auszulösen, so stark, dass man es irgendwann nicht mehr aushält und sich auf eine Reise begibt. Gut also, dass am Abend der Lesung in den wunderschönen Räumlichkeiten der Backfabrik an solch einen blauen Himmel nicht zu denken war. Erstens war es schon dunkel, zweitens ging es um das neue Buch von Andreas Altmann „Gebrauchsanweisung für die Welt“. Umso bequemer, wenn man im Geiste auf eine Reise mitgenommen wird, während man sich selbst, der Verlockung eines Stuhles und eines Getränkes hingeben kann.
Ganz in Anlehnung an den vielversprechenden Buchtitel folgte auch gleich ein erster Satz aus seinem neuen Buch: „Wie cool kommt eine Reisender daher. Sein Ziel ist die Welt und dafür braucht er nicht mehr als vierzehn, fünfzehn Kilo. Die er sich genau überlegt. “
Genau, denkt man sich, während man in innerer Unruhe verweilend, seine Sitzposition für die nun kommenden Geschichten optimiert.
Buchtitel können mitunter große Verwirrungen stiften. Hat man sich bei Altmanns Titel eine „Gebrauchsanweisung“ im herkömmlichen Sinne versprochen, so erfährt man gleich zu Beginn, dass es sich dabei nicht um eine: „ich packe meinen Koffer und nehme mit“ Anleitung handelt. Vielmehr ginge es darum, durch seine Geschichten von einem Fieber ergriffen zu werden, welches einem unmöglich macht, sich noch unnötig länger dem Wahnsinn des Alltagsgefühls auszusetzen. Grandios, für solche Menschen, die Reisen zu Ihrer Berufung gemacht haben. Will man wissen, wie sich das anfühlt, sich in innerer Aufruhr zu befinden, sich den großen Abenteuern hinzugeben, dann lehne man sich noch weiter zurück und lausche den Worten von Andreas Altmann.
Auf seiner Lesung beschreibt er große Gefühle. Das größte – sein Lebensgefühl, die innere Freiheit, egal wo man sich gerade befindet. Gleich der leidenschaftlichen Liebe zu einer Frau.
„Leicht sei das nicht“, so Altmann auf die Frage nach hundertprozentig glücklichen Momenten.
Altmann: Es gibt, wie immer und überall auch die Schattenseiten. Aber die gehören dazu. Reisen kann nerven, kann unglaublich langweilig sein, wenn man tagelang an einem Ort verweilen muss, weil man wieder einmal abgezockt wurde und auf ein neues Ladekabel für seinen Rechner warten muss oder wenn einem tagelang nicht ein einziger interessanter Mensch über den Weg läuft, wenn lange Strecken im Zug, Bus oder zu Fuß zurück gelegt werden müssen und man eigentlich viel lieber eine spannende Geschichte schreiben will.“
Aber selbst diesen schwierigen Momenten kann Altmann noch einen tieferen Sinn abringen. Die Momente der inneren Auseinandersetzung mit sich selbst sind wichtig. Meditieren hilft. (A. Altmann Buch „Triffst Du Buddha, töte Ihn“) So also erfährt man, warum ein aufblasbares Kissen, was kaum etwas wiegt, immer mit ins Reisegepäck gehört. Man kann, egal wo man sich gerade befindet, seinen Hintern bequem betten und sich der Meditation widmen. Reisen als Selbstfindungstrip. Jedes Mal aufs Neue, ganz „antireligiös“, so bei Altmann.
Erfährt man „zwischen den Zeilen“, dass Reisen unbequem sein kann, so hat man es innerhalb weniger Sätze aus seinem Buch auch schnell wieder vergessen. Denn das Schöne überwiegt ganz klar. Und wenn gleich dieser Mann auch den Eindruck macht, Reisen sei für Ihn eine Passion, die Grundlage seines Seins und die Basis seiner Bücher, so täuscht man sich, wenn man denkt, er geht dafür gnadenlos aufs Ganze. Im Gegenteil. A. Altmann handelt überlegt. Eine „Kopf über rein ins Geschehen Reise“ gibt es bei Ihm nicht. Es wird genau geplant, Routen werden überlegt, Risiken abgewogen. Keine Geschichte der Welt ist es Ihm wert, sein Leben dafür opfern, im Grunde ist er, trotz der vielen Reisen, kopflastig geblieben. Zumindest bei den Vorbereitungen dafür. Das spricht womöglich für Professionalität. Leidenschaft entsteht beim Aufbruch, und ganz oft auch erst viel später, dann nämlich, wenn er wieder zurück zu Hause angekommen ist, die Gegensätze zwischen dem Reisen und der Heimat in der Gegenwart spürbar sind und er sich seinen Erinnerungen hingibt und dem Erlebten leidenschaftliche Worte schenkt.
Wo bleibt eigentlich der Haken an der Sache? Das Reisen süchtig macht? Ich erwische mich bei dem Gedanken daran und zeitgleich folgt die Frage – an Ihn gerichtet – auf der Bühne.
Wenn die Gravitation auch seinen Hintern nach monatelangem Schreiben in seiner Wohnung in Paris zum anwachsen verpflichtet hat, muss auch er sich losreißen. „Aber wie bei einem Sportler, der im Moment der Überwindung schon mit den ersten körpereigenen Drogen, wie Dopamin belohnt wird, verhält es sich auch bei einem Reisenden in Aufbruchstimmung“, so Altmann. Dieses verheißungsvolle Versprechen macht es einfacher, sich in Bewegung zu setzen.
Altmann schafft es immer wieder. „Es muss einfach „nur“ unerträglich langweilig und monoton werden. Dann will man am Ende von ganz allein.“ Er denkt nicht mehr darüber nach. Will einfach wieder weg. Wenn auch das letzte Genießen all der Bequemlichkeiten in seinen vier Wänden zu „normal“ wird, wenn der Luxus von fließendem Wasser, konstanter Elektrizität, alles in greifbarer Nähe zu haben Ihm ein inneres Unbehagen verschafft, wenn Freunde treffen, einen Kaffee in einem gemütlichen Pariser Bistro trinken gehen…..jener Alltag eben, Ihm schier unerträglich wird….dann geht es los. Dann wird die innere Stimme „Aufbruch“ einfach zu laut, um Sie zu überhören.
Da spielt es dann auch keine Rolle, was zuerst da war. Erst das Fernweh, dann das Heimweh, dann das im „Hier und Jetzt sein“ à la Meister E. Tolle, um am Ende wieder von einem sehnsuchtsvollen Fernweh geplagt zu werden. Ganz egal, lediglich die Erfahrung dieser sich konstant wiederholenden Abläufe sind Ihm ein guter Lehrer. Und wenn man ihn so reden hört, beschleicht mich das Gefühl, dass er es irgendwie geschafft hat, seinen eigenen Rhythmus zu finden, seine innere Mitte auszuloten. Zumindest bekommt man eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen könnte.
Am Ende der Lesung, nach einem hingebungsvollen „Klatschen“ des Publikums, hatte ich das Gefühl, ein Stück weit von seinem „Reisefieber“ ergriffen worden zu sein. Leere Flaschen klirren auf nackten Betonboden, beim Aufbruch in die Welt nach Draußen. Die Lesung war vorbei, die Gedankenreise hielt noch ein gutes Stück „Heimweg“ an. [AW]