Möwen kreischen mich an meinem zweiten Morgen in Helsinki aus dem Schlaf. Als ich den Vorhang zur Seite schiebe, erblicke ich ein völlig anderes Helsinki als noch am Tag zuvor. Die Häuserschlucht des Bulevardi wirkt unter den Sonnenstrahlen viel geschäftiger.
Es gibt Orte, in die ist man sofort verliebt. Und es gibt andere, die benötigen einen zweiten Blick oder einfach nur gutes Wetter. Was auch immer mich am ersten Tag etwas verhalten auf die finnische Hauptstadt schauen ließ, am zweiten Tag waren alle Zweifel verschwunden. Denn scheint die Sonne, erstrahlt auch das schlichte 600.000 Einwohner zählende Städtchen im neuen Glanz und blüht überall auf.
Jeder Sitzplatz in den Cafés an der Esplanade ist besetzt, wo am Vortag noch gähnende Leere herrschte. Auf den Wiesenflächen im Mittelstreifen, dem Esplanadi-Park, sitzen junge Leute und genießen den skandinavischen Sommertag mit Picknick, Freunden oder einem Buch. Auch wir wollen diesen herrlichen Tag unter freiem Himmel genießen und da bietet sich ein Ausflug zu einer der 300 Schären, die zu Helsinki gehören, an. Am Ende der Esplandade befindet sich der Marktplatz Kauppatori mit dem kleinen Hafen. Von hier steuern wir mit dem JT-Line Boot Suomenlinna an, eine Festung auf sechs miteinander verbundenen Inseln. Wo wir gestern noch etwas besorgt aufgrund der Größe mit unserer Silja Serenade morgens eingefahren sind, fahren wir heute wieder beschwingt raus. Kleine Landflecken lugen aus der blauen Wasseroberfläche heraus und geben Helsinki Richtung Meer einen schönen Rahmen. Vor uns liegt Suomenlinna!
Zunächst steuert unser Boot Lonna an, doch wir gehen erst in der Artillerie Bucht (Tykistölahdesta) von Iso Mustasaari von Bord. Die meisten Inseln sind durch imposantes Mauerwerk aus Felsen befestigt und teilweise über Brücken und Landengen miteinander verbunden. Manch einer sagt, es handelt sich hier um das Gibraltar des Nordens – unbezwingbar galt Suomenlinna einst und musste sich doch nach einer russischen Belagerung im Jahre 1808 ergeben. Der Bau der 250 Jahre alten Festung um die Mitte des 18. Jahrhunderts galt als letzter Versuch des Schwedischen Reiches, die an Russland verlorenen Gebiete zurückzuerobern.
Schnell merken wir, dass die Festungsinseln von Suomenlinna unter Touristen und Einheimischen sehr beliebt sind. Auf der Hauptstraße, die Iso Mustasaari mit Kustaanmiekka verbindet, spazieren Familien, Pärchen und Gruppen durch die Kopfsteinpflasterstraßen. Die Gemäuer wurden von drei Epochen auf der Insel geprägt – erst von den Schweden, dann von den Russen und schließlich von den Finnen. Wir schlagen den Weg gen Osten ein und kommen an der Bücherei vorbei. Nicht nur hier dominiert roter Backstein die Straßen. Auf einem Hügel thront die ehemalige orthodoxe Garnisonskirche von Suomenlinna über das satte Grün der Insel, das die gelb-weißen Margeritenköpfe zieren, die den finnischen Mädchen an diesem Wochenende als Arbeitsmaterial für ihre Mittsommerkränze im Haar dienten. Manch einen vertrockneten Kranz sehe ich noch verblasst am Straßenrand liegen, während die wenigen Häuser auf den Inseln vom zarten Lila des Flieders verschönert werden.
Wo der Rundgang vieler Touristen endet, schauen wir näher hin. Hinter dem Fährhafen und Lebensmittelladen führt eine Holzbrücke zur nächsten Insel hinüber, auf die sich nur noch wenige Leute verirren. Pikku Mustasaari beheimatet die Militärakademie, und so weisen viele Schilder auf Videoüberwachung und ein Durchgangsverbot hin. Wir passieren auf kürzestem Weg die Insel und erreichen über eine weitere Brücke Länsi-Mustasaari. Ca. 900 Einwohner zählen die Festungsinseln von Suomenlinna, einige von ihnen wohnen auf diesem Stück in den Wohnblöcken, die man hinter der Brücke als erstes erreicht. Sie wollen nicht ganz zu der Inselidylle passen, doch als ich die Gärtchen hinter den Bauten erblicke, setzt sich das Puzzle von Ruhe und Natur wieder zusammen.
Erneut begrüßt uns ein Schild – man solle die Privatsphäre der Bewohner respektieren, was so viel heißt wie „nehmt bitte den Rundweg und trampelt hier nicht mittendurch“. So umrunden wir die kleine Insel am Ufer, das von großen Steinen übersät ist. Auf einer Anhöhe im Gestrüpp befinden sich Kanonen und von hier bietet sich ebenso ein wunderbarer Blick. Wir laufen weiter westlich am Ufer entlang und setzen uns nieder. Wer Ruhe sucht wird sie auf den beiden Hauptinseln nicht so leicht finden. Ein Abstecher nach Länsi-Mustasaari ist demnach lohnenswert und diesen kleinen Fußmarsch wert.
Eine Leiter erleichtert den Einstieg in das noch eiskalte Wasser, in das wir unsere Füße tauchen. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt eine Finnin zum Sonnenbad auf einem Stein, ansonsten sind wir hier allein. Nur ein paar Weißwangengänse mit Nachwuchs sorgen immer wieder im aufgeregten Schnatterton für etwas Unruhe. Über uns kreisen die Möwen. Wir haben eine perfekte Inselidylle gefunden, die man hier mit einem Picknickkorb im Gepäck den ganzen Tag genießen kann.
Doch wir ziehen weiter. Wir kehren zurück auf die Insel Iso Mustasaari ins im russische Kaufmannsviertel, wo wir gegenüber der Kirche im Café Vanille einen Kaffee trinken und den Neuankömmlingen, die die Insel mit der Fähre erreichen, bei ihrem aufgeregten Gang durch den Ort zusehen. Kleine Holzhäuser zieren den Straßenzug, in dem sich das Café befindet. Ein liebevoll, verspielter Innenbereich, leckere Kuchen und Pies runden das Konzept des wahrgewordenen rosaroten Traums ab, den dieses auffällige Holzhaus mit Veranda versprüht. Nach der Stärkung im Vorgarten des Cafés reihen wir uns in den Touristenstrom ein.
Wir wollen die Fähre von der Königspforte (Kuninkaaportilta) nehmen. Wieder gehen wir über eine Brücke und erreichen nun den Hauptteil der Festungsinseln, Kustaanmiekka. Hinter den alten Mauern passieren wir den Großen Hof mit dem Grabmal von Ehrensvärd, der in den 1760er Jahren als Hauptplatz der Festung angelegt wurde, und bekommen eine Vorstellung von der einstigen Rolle der Insel, die zum Schutz Helsinkis diente.
Auf einem kleinen Hügel befindet sich eine kleine Ruheoase – das schöne Café Piper mit herrlichem Ausblick über die wellige Landschaft bis hinüber zu den Kanonen von Kustaanmiekka und und dem Meer. In einem Holzhaus bestellt man seine Speisen und kann sich dann an einem der Tische im Felsengarten kulinarisch verwöhnen und eine aktive Pause für alle Sinne einlegen. Hinter dem Garten des Cafés führt der Weg weiter an einem kleinen Sandstrand vorbei, an dem sich einige Gäste sonnen. Leider bleibt uns nicht mehr viel Zeit, so dass wir noch einmal in den Süden zur monumentalen Königspforte eilen, die als Wahrzeichen von Suomenlinna gilt und 1753/54 als Zeremonienpforte der Festung errichtet wurde. Das Portal befindet sich an der Stelle, an der das Schiff des Gründers der Festung, König Adolf Friedrich von Schweden, während der Inspektion der Bauarbeiten an der Festung 1752 ankerte.
In der wärmenden Mittsommersonne verschwindet die einstige Garnisonsstadt Suomenlinna und das Schärenreich hinter meinem Rücken. Die zarten Linien der Skyline Helsinkis werden mit Farben gefüllt – mit der Uspenski–Kathedrale, dem Riesenrad Finnair Skywheel, den Marktständen und dem Dom nimmt die Stadt wieder Gestalt an. Manchmal bedarf es einen Schritt zurück, einen zweiten Blick oder einfach ein bisschen Sonne, um sich einem Ort zu nähern. Die Stadt hat mich am Ende doch noch an ihren finnischen Meerbusen gedrückt und fest umschlungen.
Was man sonst noch wissen sollte?
Anfahrt: Die Insel Suomenlinna kann man ganzjährig einfach mit einer Fähre erreichen, für die auch die Helsinki Card und normals Fahrkarten der Helsinkier Verkehrsbetriebe (HSL) gelten. Eine Fahrt kostet 2,50 EUR und ist eine Stunde gültig. Wir nahmen jedoch den Wasserbus JT-Line für die Überfahrt, die 7 EUR kostet. Die JT-Line verkehrt von Mai bis September, macht drei Stopps und benötigt ca. 20 Minuten.
Rundgänge: Es werden auf den Inseln auch geführte Rundgänge zu historischen Orten auf den Inseln Susisaari und Kustaanmiekka angeboten, die am Suomenlinna- Zentrum beginnen und etwa eine Stunde dauern. Informationen unter www.suomenlinna.fi. Wer die Insel auf eigener Faust erkunden und dennoch alle wichtigen Sehenswürdigkeiten wie Forts und Wälle, Festungshof und Königspforte ansteuern möchte, der sollte der blauen Linie folgen. Auf der blau markierten Hauptroute gelangt man von der Nordseite bis zur Südspitze der Inseln.
Übernachten: In der Nähe der Kirche befindet sich das ganzjährig geöffnete Hostel Suomenlinna in einem alten Schulgebäude. Neben Schlafsälen mit 6 bis 10 Betten gibt es auch Zwei- und Dreibettzimmer.
Unser Besuch in Helsinki war Teil der Mittsommer-Minikreuzfahrt mit der Tallink Silja Line. Alle Ansichten sind meine eigenen.
Ihr hattet ja einen Wahnsinns-Sonnenschein! Es hört sich nicht nur fabelhaft an, es sieht auch so aus. Ich habe eine Freundin in Finnland, die zwar nicht in Helsinki wohnt, aber die einen Großteil ihrer Zeit in der Stadt verbringt. Bisher habe ich es nicht geschafft, sie in Finnland zu besuchen, dabei steht das Land schon sooooo lange auf meiner Wunschliste. Im vergangenen Jahr hatte ich immerhin schon ein Ticket in der Tasche, das ich dann aber mal wieder verfallen lassen musste : ) Ach ja, irgendwann klappt es. Es sieht so herrlich aus! Sonnige Grüße, Jutta
Ich habe mich direkt auf den ersten Blick in Helsinki verliebt Das klappt aber nur bei gutem Wetter – habe da schon die unterschiedlichsten Meinungen gehört. LG Franzi
Sehr schöner Bericht mit grandiosen Fotos! Danke dafür!
Ich hatte mich bei meinem Besuch auf den ersten Blick in Helsinki verliebt und war daraufhin noch weitere zweimal da. Helsinki ist eine großartige Stadt, vor allem bei gutem Wetter! Trotzdem werde ich es demnächst wohl mal im Winter besuchen, ich bin gespannt.
Grüße,
Willi