Flucht aus Berlin betreibe ich seit nunmehr zehn Jahren am Ende des Jahres. Aus einer einst unbewussten Entscheidung wurde inzwischen Regelmäßigkeit. Zuerst war es Uganda, dann Äthiopien, später folgten Panama, Peru, Kolumbien. Und dann war da plötzlich Meck-Pom, Mecklenburg-Vorpommern! Was ich irgendwann mal auf Usedom begonnen hatte, ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Am Jahresende geht es an die Küste oder zumindest zwischen die vielen Seen in den Wald.
Wo kann man auch besser Altlasten abwerfen und zugleich auf Neues vorausschauen als am Wasser. Irgendwann mache ich das auch mal im Wasser, aber noch scheue ich das Eisbaden. Andere am Strand von Warnemünde sind da etwas härter im Nehmen und trocknen sich bei 6 Grad Lufttemperatur und einer sehr steifen Brise ab. Mit einem letzten Bad schließen sie das Jahr 2014 ab während viele Touristen und Einheimische einen letzten Strandspaziergang im funkelnden Licht der untergehenden Sonne am mit 150 Metern breitesten Sandstrand der deutschen Ostseeküste genießen. Hier werden hinter einer Absperrung schon pyrotechnische Geschütze aufgefahren.
Noch begeistert die Natur mit ihrem Farbspiel am Himmel. Über die Ostsee legt sich ein warmes Licht, das noch zig Male mit Handykameras eingefangen wird. Die weniger Romantischen suchen einen der zahlreichen Glühweinstände auf – einer wirbt mit dem Schild „Letzter Glühwein vor Dänemark“. Na, ob das nicht geflunkert ist. Ob vor einer der Buden an der Strandpromenade oder einer Kneipe am alten Strom – überall plaudern die Leute mit einer Tasse in der Hand.
Gleich neben dem Leuchtturm steht der architektonisch interessante Teepott mit seinem muschelförmigen Betondach aus dem Jahr 1968. Diese Schalenbauten zählten zu den Prestigebauten in der einstigen DDR und waren ein Exportschlager. Ulrich Müthers Bauten faszinieren mich auch anderswo – ob die heute als Standesamt fungierende Rettungsstation Binz, das nur einen Steinwurf von meiner alten Wohnung entfernte Zeiss-Großplanetarium Berlin, die mich in jedem Sommer begleitende Ostseeperle in Glowe oder das nach wie vor für mich unverständlicherweise im Jahr 2000 abgerissene Ahornblatt im Zentrum Berlins.
Wir laufen weiter zur Hafeneinfahrt. Zwischen den Leuchttürmen der West- und Ostmole schäumt nur das aufgewühlte Wasser. Von hier schweift mein Blick hinaus übers Meer und dann wieder zurück zu Teepott und Leuchtturm. Am Neujahrstag findet hier regelmäßig das Fest Leuchtturm in Flammen statt. Auch dieses Jahr. Hinter dem Von der Westmole laufen wir immer am Alten Strom entlang, wo Fischkutter und Ausflugschiffe liegen. Wo Vörreeg (Vorderreihe) vor den Kapitänshäusern noch fleißig flaniert wird, legt sich Achterreeg (Hinterreihe) eine gedämpfte Atmosphäre über die schönen Fischerhäuser der Alexandrinenstraße.
In einem 1767 erbauten Fischerhaus ist das Heimatmuseum untergebracht mit Exponaten und Informationen über die Geschichte der Fischerei und Seefahrt, über das Lotsenwesen und die Seenotrettung und über die Entwicklung zum Badeort. Noch schnell einen letzten Kaffee in Guido’s Coffeebar am Kirchenplatz trinken, dann ist es Zeit für den Jahreswechsel.
Nicht die knallenden Böller sind es, die uns begleiten, sondern das Glockenläuten der Kirche Warnemünde, das aus dem neogotischen Backsteinbau tönt. Mit dieser Musik im Ohr verlassen wir die Stadt an der Küste. Wir fahren weiter, immer weiter in den Wald – wo Kaminknistern das einzige Geräusch um Mitternacht ist.
Das klingt ja alles sehr entzückend Mit Eisbaden konnte ich mich auch noch nie anfreunden. Wenn ich daran denke, dass ich teilweise im Sommer schon einiges an Zeit brauche, um ins Wasser zu kommen…
Das machen ja immer vermehrt Rentner. Daher denke ich mir, mit dem Alter sinkt das Kälteempfinden. Also habe ich noch Hoffnung, denn ich gehe aktuell erst ab Minimum 16/17 Grad rein. LG, Madlen
Manchmal ist das Gute gar nicht so fern 😉
Da hast Du recht, Philipp. Deshalb bin ich auch gern im Berliner Umland unterwegs. LG, Madlen