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Eine Radtour an der Friedensgrenze

Goerlitz

Vorab: Sachsen ist ein wunderbares Bundesland. Diese Radtour zeigte mir nur eine Seite an einem Tag. Ich wollte darüber schreiben, ich habe darüber geschrieben – über das, was mir über den Weg lief, über die kleinen Begegnungen.

Liegt es an der geografischen Lage, dass es in Görlitz einige Jugendliche mit rechter Gesinnung gibt? Oder ist es mein subjektives Empfinden, das mich beim Start meines österlichen Ausflugs in die Klischeefalle tappen ließ? Zumindest scheint sich die Jugend in der Bahnhofsgegend mehr an den Prinzipien des Führers als an Spass und Leichtsinn zu orientieren. Kaum hatten wir die sächsische Grenze passiert, betrat ein kahlgeschorener Schrank unser Abteil. An der Friedensgrenze rechts außen der Republik scheint sich neben einer schönen Moorlandschaft auch ein bisschen der rechte Sumpf eingenistet zu haben.

Beim Verlassen des Bahnhofsgebäudes stehen zwei weitere junge Männer gleicher Gesinnung stramm und filmen die vorbeilaufenden Gäste der Stadt. Ein mulmiges Gefühl bleibt, fühle ich mich in meinem Persönlichkeitsrecht doch vergewaltigt, auf rechtem Bildmaterial für ewig festgehalten zu sein. Schweigend verlasse ich das Gebäude und radle gleich in ein Fettnäpfchen, anstatt über Umwege auf dem etwas versteckt ausgeschilderten Radweg der Stadt. Ein Taxi nähert sich erst von hinten, dann von rechts und bedrängt mich. Es wäre wohl angemessen zu sagen, er wollte mich zum Sturz bringen. Vielleicht muss man fallen, um dann herzlicher begrüßt zu werden, in der eisigen Stadt im äußersten Osten unseres Landes. Die Kälte schlägt mir ins Gesicht und die Worte des Taxifahrers erwischen mich noch eine Spur frostiger. Ich solle gefälligst auf dem Radweg drüben fahren, anstatt auf SEINER Taxispur. Nun gut, es ging nicht um Zeit und Geld in diesem Augenblick. Denn wir befanden uns am Taxistand. Was er also ungeduldig verpasste durch meinen Müßiggang war allenfalls eine Minute seiner kostbaren Wartezeit am Bahnhof. Als ich ihn dann überholte, schaute ich durch seine geöffnete Scheibe und sagte im netten ruhigen Ton, ich freue mich, so herzlich in Görlitz begrüßt zu werden. Er entgegnete, inzwischen auf Tiefkühltemperatur heruntergefröstelt im schönen sächsischen Dialekt „nu, so sind wir halt hier in Görlitz“. Freundliche Touristenstadt Görlitz! Da scheinen es die nicht gebürtigen Görlitzer schon eher kapiert zu haben, wie man mit Touristen umgeht und wovon man hier außen im Osten doch lebt.

Im Café Oriental zum Beispiel. „Lass Dich sinnlich verzaubern“ heißt hier der Willkommensspruch, und verzaubern lassen hätte ich mich gern in einigen unangenehmen Situationen meines kurzen Aufenthaltes. Die kleine überquirlige Inderin Uma hat den Laden fest im Griff. Vor allem mit ihrem Mundwerk, das aber gegensätzlich zu dem des Taxifahrers die Touristen herzlichst umsäuselte in einer manchmal brachialen Art. Aber sympathisch. Auch die Görlitzer selbst scheinen sie zu lieben, und so kann sie sich nicht über zu wenig Gäste beklagen. Beklagen tat sie sich lediglich über die riesigen Reisebusse, die trotz Fahrverbots für die über 7 Tonner die Nikolaistrasse passierten – aber nicht in einem geduckten Schweigegang, sondern laut brüllend, rangierend. Das war der kleinen, geordneten Inderin zu viel des Guten. Sie verstehe das nicht, die machen das schöne Kopfsteinpflaster kaputt und die steril übersanierte Altstadt ist nun mal das Kapital von Görlitz und bringt Geld in die Läden, auch in den ihrigen. Und überhaupt, diese Menschen, die sich nicht mal ein bisschen bewegen können, versteht sie nicht. Immer diese alten Leute, die von Ort zu Ort „geliefert“ werden wollten. Zum Glück entstehe bald in der nächsten Querstrasse eine Jugendherberge. Das sind junge spritzige Leute, die das Kopfsteinpflaster der Stadt noch mit Respekt behandeln. Ansicht einer seit 20 Jahren in Deutschland lebenden jungen Inderin.

  

Ein kurzer Stop in der Touristeninformation, um eine Karte zu erwerben. Da brüllt plötzlich eine Frau einen jungen Herrn an. Erst verstand ich nicht, bis sie ihr Anliegen auch für die herumstehenden Touristen klar artikulierte. Der Mann hätte ihr die Tür an den Hinterkopf geschlagen. Dann rief sie ihren Gatten Bernd, der noch draußen war. „Bernd, Bernd fotografiere diesen Kerl, der will fliehen.“ Vor was er fliehen wollte, war mir nicht klar, wohl eher vor ihrem nervigen Gezedere. Da hätte ich am liebsten aus Solidarität gleich mit die Flucht ergriffen. Bernd war gelassen. Was sie denn wolle. Es täte ihm doch leid, er fliehe, weil es ihm wohl selbst unangenehm sei. Und ausserdem verstünde er vielleicht auch gar kein deutsch. Oh doch, erwiderte die zeternde Gattin. Der verstünde sehr wohl, denn das Leid und der Schmerz seien universal, das bedürfe keine Übersetzung. Na gut, der Opferpole, den Bernd als Beruhigung aus dem Hut gezogen hatte, war tatsächlich nicht die feine Art. Naja, aber Bernd konnte man es nicht verübeln, er wollte nur seine Ruhe. Den Fotoapparat zückte er nicht. Ob sie denn nun verletzt sei, fragte er seine Gattin. Das wüsste sie nicht. Naja, ich glaube es hat sich beim Türaufprall lediglich ne Schraube im Kopf gelockert, wer so abgeht. Sie erkannte langsam auch ihre Überreaktion, die vielleicht aus einem Schock resultierte. Es ist eben kalt in Görlitz. „Ich habe ja einen Dickschädel, den haut man nicht so schnell ein.“

Szenenwechsel. Der Blick durch die sanierte Altstadt, Anziehungspunkt zahlreicher Touristenmassen, öffnet einem das passende Komplementär. 4.000 Baudenkmäler aus 500 Jahren europäischer Baugeschichte aus verschiedensten Epochen – von der Gotik, über die Renaissance bis zur Gründerzeit und dem Jugendstil – allesamt aufwendig saniert, können die heruntergekommenen Neubauten des gegenüberliegenden Zgorzelec nicht verdecken. Unter dem Motto, gemeinsam Grenzen zu überwinden und auf dem Weg zur Europastadt zu sein, hat wohl eher nur Görlitz das Schattendasein im östlichsten Zipfel überwunden.

Nächtigen tun wir im Vierbettzimmer der wunderschönen Jugenherbergsvilla für 17 EUR. Nur der Frühstückraum hat seine Tücken und ist im Keller meiner Ansicht nach deplatziert. Am Samstagmorgen geht es noch einmal ins Görlitzer „Kaufhaus zum Strauß“, entstanden in den Jahren 1912/13 in Anlehnung an das Berliner Wertheim. Der Blick ins Gebäude eine einzige Enttäuschung. Der Geist des verstorbenen Herties liegt hier noch in der ausladenden, verzierten und doch leer gefegten Halle.

Wir lassen Görlitz hinter uns und radeln immer der Neiße entlang zunächst Rothenburg entgegen. Leider sind auch die ersten Kilometer immer an der Neiße entlang gelogen, führt der Radweg doch immer wegwärts in Richtung Ortschaften. In Rothenburg mühen wir uns den Berg hinauf. Hier muss doch eine Gaststube zum Kaffee einladen. Weit gefehlt. Einzig und allein der Ratshof auf dem Markt verkauft Kaffee und Kuchen und lädt mehr als Touristen die heimische Bevölkerung ein. Hier stimmt man sich auf das nachmittägliche Fussballspiel ein. Nicht mit Bier, wie wohl sonst üblich, sind wir doch nicht umsonst unter den Kaffeesachsen. Ein Tässchen Kaffee erhitzt die Fussballergemüter, bevor es in Fahrgemeinschaften zum Auswärtsspiel geht. Endlich ist Ruhe eingekehrt und ich warte nach 45 min noch immer auf meinen Apfelstrudel. Der muss wohl erst gebacken oder eher aufgetaut werden. Aber die Sonne scheint und so zieht das Warten mit einer Entspannungspause gleich.
 

In Bad Muskau laden Sonne und Fürst Pückler in die üppige und weitreichende, gar grenzüberschreitende, Schlossparkanlage ein. Und jeder scheint den Fürsten mit einer Eisladung huldigen zu wollen. So tue ich es den anderen Gästen gleich, obwohl es schon etwas fröstelt. Auf der ganzen Strecke trafen wir nahezu keinen Radwanderer. Wir waren im Bett & Bike Glockenhof in dieser Nacht die einzigen Gäste. So konzentrierte der selbsternannte Glöckner die ganze familiäre Aufmerksamkeit auf uns. Wohin man sich auch bewegte, er war schon da oder kam um die nächste Ecke geschossen, um die nächste Glöcknerstory an den Gast zu bringen. Dabei machte er dies ungeschickt monologisch, aber mit viel Charme.

So lernten wir seine Meinung über Wölfe kennen, die sieben seiner Schafe einst gerissen hatten, und auch seine Wahl zum Volksentscheid, ob Bad Muskau nach Brandenburg oder Sachsen gehen sollte. Der Glöckner Jurtz ist auf dem Glockenhof vor 54 Jahren geboren und liebt das einfache Agrarleben als studierter Agrarwirt. Einst 600 Landwirte unter sich, sind es heute noch nicht mal mehr die Schafe, die er unter sich hat, denn die hat er nach der Begegnung mit dem bösen Wolf abgeschafft. Frustration hört man aus all seinen doch so motivierenden und enthusiastischen Worten heraus – denn am Ende ist doch alles politisch und über Politik wolle er sich nicht äussern. Ein einst mächtiger Mann kämpft mit seinem Machtverlust.

Am nächsten Tag lagen weitere 67 km vor uns in Richtung (Wilhelm-Pieck-Stadt) Guben, um den ostalgischen Ton noch einmal aufgreifen zu wollen. Wir demonstrieren am Ostersonntag an der Friedengrenze also für ein bisschen mehr Frieden, anstatt wie in allen deutschen Städten üblich in Großdemonstrationen. Mit Rad bewaffnet – unsere kleine persönliche Friedensfahrt. 21 km nach Forst. Diese Stadt kenne ich nur von einer Zugdurchfahrt – als ich einst 1988 aus Poznan von der Apfelernte mit meiner Klasse durchfuhr. Trostlos lag sie da an der Grenze rechts aussen. Heute ist diese Grenze durchlässig, aber die Brücken ragen noch immer alle gesprengt von zwei Seiten in den Fluss hinein. Unpassierbar. Was ist passiert? Will Forst sich nicht nach Polen öffnen?

Wir treten noch einmal weitere zwei Stunden in die Pedale. Nachdem wir bereits ein Stück frischen Ziegenkäse bei einer netten Brandenburgerin in Pusack gekauft hatten, begegneten wir gleich einer weiteren gastfreundlichen und aufgeschlossenen Brandenburgerin. So gefiel uns Brandenburg nicht nur landschaftlich gleich viel besser als Sachsen, sondern auch die Menschen erschienen mir gleich viel offener, netter. Als wir uns vom Kraftwerk Grießen einen steilen Berghang hinauf bemühten, ahnten wir nicht, dass dieser Treff heute nur eine Familienfeier beherbergte. Die Blase drückte und der Rachen dürstete nach Kaffee. Wir wollten gerade wieder umkehren, als sich die Tür öffnete und die Hausherrin uns in ihre sanitären Anlagen einlud und uns, als wir diese wieder verließen, schon mit zwei Kaffeekannen entgegentrat. Den konnten wir nun nicht ausschlagen. Also setzten wir uns auf die Bank vor diese Begegnungsstätte und rasteten.

Das letzte Stück nach Guben begleiteten uns Regenwolken, die uns mit Überschreiten des Ortsschilds auch gleich den Sinn ihrer Existenz erklärten. Die Industrieanlagen linker Hand, die Neiße rechter Hand. Der Bahnhof noch weit. Ein Arbeiterort einzig erschaffen, um den Arbeitern Unterschlupf zu gewähren. Lebensqualität scheint man an diesem Stück Neiße umsonst zu suchen. Im Bahnhof noch ein kurzer Schock – Schienenersatzverkehr ab Eisenhüttenstadt. Fahrradmitnahme NICHT möglich. Wie gut, dass wir die Bahnlogik nicht durchblickten. Am Ende fuhr uns die deutsche Bahn über Frankfurt nach Berlin. Die Sonne schien. Welch schöner Ostersonntag. Und wieder ein Stückchen mehr Mitte.

PS: Görlitz ist eine wunderschöne Stadt und ich wünschte, ich hätte nur die positive Seite beschreiben können. Es war vielleicht einfach nur der falsche Zeitpunkt, an dem ich die Stadt besuchte. Aber ich komme wieder, versprochen! Denn ich weiss die Gastfreundschaft und ausgesprochene Fröhlichkeit und Geselligkeit der Sachsen zu schätzen.

Reisezeit: Ostern 2010

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