Tikal liegt mir zu Füßen. Nicht die meisterlichen Bauwerke der Mayas allein beeindrucken, sondern vielmehr die wahnsinnig, dichte Natur, die sich die menschliche Leistung Tag für Tag zurückerobert. Ich stehe auf der 65 Meter hohen Pyramide Nummer IV als um mich herum die Kameras klicken, um die Pyramidenspitzen, die aus dem dichten Wald herauspieksen, festzuhalten. Nervös zücke auch ich meine Kamera. Das ist einer der Momente, den man nur einmal im Leben genießt. Das ist dieser Moment, den man fotografisch festhalten muss. Wieder und wieder drücke ich den Auslöser, doch auf dem Display sehe ich ein pixeliges, verschmiertes Bild. Der Schweiß rinnt mir über die Handflächen, nicht nur durch die schwülheiße Luft ausgelöst, sondern gerade auch durch das schwache Nervenkorsett – wohlwissend, dass sich diese Chance nicht noch einmal ergibt. Jetzt oder nie! Bild oder nichts.
Flashback zurück in das grüne Herz Afrikas – als ich vor einer Gruppe Schimpansen stand und einfach kein Foto gelingen wollte. Nach 5 Minuten hektischem Blick durch den Sucher steckte ich die Kamera weg und begann den Moment zu genießen. Ähnlich geht es mir in diesem Augenblick. Völlig übermüdet vom Jetlag und überwältigt von der Szenerie schließe ich meine Augen…
Ein roter Ball erhebt sich hinter dem Flughafen von Guatemala Stadt. Genau hinter dem Plateau, auf dem unser Flieger aus Madrid 12 Stunden zuvor abbremste, erhebt sich in diesem Augenblick ein roter Ball und erstrahlt die Nebelschwaden, die sich in das Tal legen und kleine Behausungen der ärmeren Barrios umschmeicheln. Es ist mein erster Morgen in Guatemala und zugleich nehme ich von gleichnamiger Hauptstadt bereits wieder Abschied. Während unsere Propellermaschine an Höhe gewinnt, umhüllt der morgendliche Dunst jede Pore der Schluchten. Wie ein Schutzschild liegt er über der 3 Millionen Einwohner zählenden Stadt, die sich in eine zerklüftete Landschaft ergießt.
Noch immer habe ich das Brummen der Propeller im Ohr, als wir das größte Departamento Guatemalas, Petén, erreichen. Inmitten des 120 km² großen Petén-Itzá-Sees liegt seine Hauptstadt Flores. Die Lage, der See, die Natur – alles scheint perfekt für solch einen großartigen Moment, doch dann ist da der Blick gen Himmel. Und der verheißt nichts Gutes. Dunkle Wolken erstrecken sich längst bis zum Horizont, hinter dem die großartigen Stufentempel Tikals uns erwarten.
Leicht hügelige 75 km trennen uns noch von der antiken Stadt der Maya in den Regenwäldern von Petén. Regenwälder mit viel Regen aber ohne Flüsse. Dicke Kalksteinschichten ca. 20 cm unter der Oberfläche verschlingen das Wasser im Nu. Wir passieren Orte, die alle eine Regentonne von der Regierung gestellt bekommen, da Trinkwasser knapp ist. Statt Wasser heißt es Chicle in dieser Region. Kaugummibäume bzw. immergrüne Sapotillbäume liefern Milchsaft, aus dem letztendlich heute nur noch natürliche Kaugummis hergestellt werden. Die Azteken kauten bereits den Chicle des Sapotillbaums, genannt tzictli. Und auch ein Gummisammler oder Chiclero war es, der letztendlich Tikal wiederentdeckte, als er die Dachkämme der Tempel in der Ferne sah.
Kühe und Pferde grasen am Wegesrand, Wälder verschwinden unter einer Dunstglocke. Straßenschilder mit exotischen Tierzeichnungen kündigen die üppige Fauna an, vor der nicht nur der Fahrer acht nehmen soll. Kaum betreten wir das Gelände, ist auch schon ganz schön was los. Ein Nasenbär hat sich in den Baum verirrt, Affen verteidigen ihr Revier. Unser Guide ist entzückt. Selbst die Stufentempel können ihm nicht solch Begeisterung entlocken, wie die Fauna von Tikal. Und so berichtet er jeder der wenigen Reisegruppen von dieser tierischen Auseinandersetzung in den Bäumen.
Ein Tag in den Tempelanlagen von Tikal
Behutsam spazieren wir durch Tikal als wäre es ein Hammam. Der Schweiß tropft als käme er als Wasser aus den dunklen Wolken. Noch einen kleinen Hügel geht es nach oben, als sich dahinter die Silhouette des ersten Tempels abzeichnet. Gleich denke ich an die Gipfelstürmung, doch mein Guide bremst. Der sei noch nicht zu erklimmen. Schade, denn all die Bilder die ich bereits gesehen hatte, zeigten immer Tikal von oben. Zwischen Tempel I und II liegt auf der Ost-West-Achse der Große Platz, der vermutlich als Verkörperung des Weltbildes der Maya diente. Im Norden und Süden wird der Große Platz von einer Nord- und einer Zentralakropolis begrenzt. Die Nordakropolis mit weiteren Stufenpyramiden fungierte als Ort, an dem die Herrscher Tikals begraben wurden, eine Art „Himmel“. Im Süden des Platzes war hingegen die Unterwelt zuhause. Neben Tempel I wurde zudem wie in vielen anderen mesoamerikanischen Ruinenstädten auch Ball gespielt. Heute picknicken hier jedoch die guatemaltekischen Touristen im Schatten der Bäume. Doch Rast ist mir zu früh.
40 Meter trennen mich noch zwischen Boden und dem bekannten Fotomotiv mit den Tempelspitzen. Nicht ganz. Denn natürlich blicke ich von dem Tempel der Masken (Tempel II) nur über den gut gemähten Großen Platz auf Temple of Ah Cacao (Tempel I). Nach einer Verschnaufpause auf den oberen Stufen geht es am zugewucherten Tempel III (Temple of the Jaguar Priest) vorbei, der noch auf Restaurierung wartet. Und dann stehe ich vor dem Tempel mit seinen zu allen Seiten geöffneten Fenstern. Die höchste Struktur in Tikal – Tempel IV. Ich eile die Stufen hinauf und lasse mich auf der höchsten Reihe sacken, die ein wenig Schatten bietet. 574,98 Quadratkilometer Dschungel rund um das Zeremonial-Zentrum liegen mir zu Füßen. Tikal liegt mir zu Füßen – obwohl nur ein Bruchteil von dem, was tatsächlich noch da ist, bisher freigelegt wurde. Nur 26 Quadratkilometer Strukturen, um genau zu sein. Vieles liegt noch unter dem dichten Grün begraben und wartet, wieder zum Leben erweckt zu werden. Doch das, was sichtbar ist, soll fotografisch festgehalten werden. Doch es will mir nicht gelingen.
Meine Augen scannen die Umgebung und setzen sie wieder zu einem Gesamtwerk zusammen, das sich in mein Gedächtnis festsetzen wird. Der Moment und ich – mehr wird mir nicht bleiben… Und genau da setzt die Zufriedenheit ein, meine Anspannung perlt von mir ab und prasselt wie ein Urwaldregen auf das Blätterdach nieder.
Kurzinfos zu Tikal Guatemala :
- Anreise erfolgt über Flores, eine Stadt, die 60 km von Tikal entfernt ist. In Hostels werden Touren mit Abholung vom Hostel angeboten; dabei gibt es die Sonnenaufgangstour mit Abholung um 3 Uhr oder die normale um 4.30 Uhr.
- 15 km südlich der Anlagen ist der Eingang, an dem man das Ticket (150 GTQ Tagesticket) zahlt. Hier kann man sich auch einen Guide nehmen.
- Vom Besucherzentrum aus bedarf es noch einmal einen ca. halbstündigen Spaziergang zum Großen Platz.
- Achtung: Die Anlage befindet sich in einem bewaldeten Terrain. Dementsprechend sollte das Schuhwerk gewählt werden. Wer die Tempel besteigen möchte, sollte ohnehin gerade bei Regen festes Schuhwerk anziehen. Ansonsten ist es sehr schwül und somit ist das Mitbringen von Wasser, Kopfbedeckung (wenn die Sonne mal scheint, dann scheint sie richtig) und Sonnenschutz angeraten.
- Plant einen ganzen Tag oder sogar eine Übernachtung ein (Hotels und Campingplatz gibt es beim Besucherzentrum). Schön sollen Sonnenauf- und untergang vom Tempel IV sein. Ich war jedoch nur einen halben Tag da und konnte mich somit nur auf die wesentlichen Highlights (Tempel I bis IV) beschränken.
- Grundsätzlich war ich überrascht, wie wenig doch los war auf dem gesamten Gelände. Keine Touristenmassen und ein ursprüngliches Setting in einer zugesicherten Natur machen den Ausflug tatsächlich zu einem nachhaltigen Erlebnis!
Weitere Informationen zu einem Rundgang über das Gelände von Tikal
PS: Zum Glück hat man ja heutzutage immer ein Handy einstecken und ein paar Fotos von der Kamera waren am Ende doch noch zu gebrauchen, nur falls Ihr Euch wundert, woher meine Fotos kommen.
Weitere Beiträge zu Guatemala:
- Ein Tag auf dem Markt in Chichicastenango
- Mein Guatemala
- Max… Maxi… Maximón – Wünsch Dir was am Atitlán Lake
Verfolgt die Reise auf Instagram unter #purlatinfever
Ich wurde von Visit Centroamérica eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.
Oh, niedlich Nasenbären.
Das Bild aus dem Flugzeug ist super, wie bebaut die Stadt ist.
Oh, es gab richtig viele Nasenbären. Man muss am Ende aufpassen, dass man überhaupt noch die Tempel fotografiert, vor lauter Fauna. LG, Madlen
Tolle Fotos und toller Beitrag! Hab gleich Lust zum Urlaub machen zu bekommen! Was kostet etwa ein Flug in diese Ecke?