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Unser Weg auf dem Amazonas {DIARY}

Amazonas, Mädchen

Ein Papageienkonzert war es, was uns auch am nächsten Morgen nach dem ausdauernden Hahnengeschrei in den Tag wog. Und mit den Papageien kam auch der zu erwartende Regen. Urwaldtauglich war er allemal. Anstatt bei einem normalen morgendlichen Schauer zu bleiben, richtete er sich in seinem Tun ein und wurde zu einem festsitzenden Dschungelregen, der alles niederprasselte. Ein gutes Frühstück im überdachten Teil des Gartens war der letzte Komfort, den wir uns leisteten. Wir waren mit unserem Tuk Tuk Fahrer um 8 Uhr verabredet, um die notwendigen Behördengänge zu erledigen, ohne die unsere Bootsfahrt auch ein reiner Traum geblieben wäre. Die Zeit hatten wir gegen uns – leider vor allem durch die Zeitverschiebung, die mir immer unnötiger erschien – in einem Ort, der trotz zweier Nationalitäten doch ein zusammengewachsener war. Um 10 Uhr sollten wir am Boot sein. Um 12 Uhr würde es ablegen.

Die Immigration öffnete nicht um 8 Uhr wie angekündigt, alles andere wäre auch ein Wunder gewesen. So warteten wir – einer ungeduldig, der andere geduldiger – am Flughafen. Zuvor waren wir durch den harten Regen durch ein Meer an Wasser hieraus gefahren. Aber die Straßen waren fast leer, anders als sonst. Wer nicht muss, fährt nicht bei dem Regen. Das denkt sich wohl auch Mister Immigration. Nach einer halben Stunde kreuzt ein großer Wagen auf und ein junges Bürschchen steigt aus. Das ist also unsere Autorität? Es dauert noch, bis die Computer hochgefahren sind, aber dann geht alles ganz schnell. Und weiter geht’s zum Hostel, wo wir unsere Rucksäcke einpacken, um dann weiter nach Tabatinga zu fahren. Aber fahren ist hier wohl zu viel gesagt, es ist ein holpriger Weg nach drüben, denn die Zündkerze unseres Tuk Tuks streikt heute tatsächlich. Genau jetzt können wir das gar nicht gebrauchen, aber irgendwie ruckeln wir nach zahlreichen Stopps doch noch bei der brasilianischen Polizei vor. Dort ist genau in dem Moment, in dem wir dran kommen, noch Stromausfall. Aber wir bekommen old school mit Zetteln doch die Einreise genehmigt. Und nun noch kurz durchhalten, liebes Tuk Tuk.

Wie froh sind wir, als wir um 10.15 Uhr auf den Steg fahren. Inzwischen gut durchnäßt, lassen wir die Prozedur der brasilianischen Einheit Choque über uns ergehen. Choque steht wohl für Schock. Irgendwie sind die nicht gerade freundlich, als sie unsere Sachen aus dem Rucksack holen und auf Plastikplanen auf dem Boden ausbreiten vor den interessierten starrenden Blicken der Haitianer. So ganz in Ordnung finde ich das nicht. Es muss nicht jeder Mitreisende sehen, was ich so mit aufs Schiff bringe. Aber am interessiertesten ist die Polizistin an meinen Nahrungsmitteln und Büchern. Als wir das Boot betreten will der Oberpolizist noch einmal unsere Ausweise sehen, auch dies auf einer etwas unfreundlichen Art. Dann lassen wir uns zu unserer Kabine bringen. Numero 7, 2. Etage linke Seite, Mitte. In dem Moment erscheint mir der Hängemattenplatz noch komfortabler, denn hier ist noch durchaus viel Luft, die aber in den nächsten Stunden gewiss gefüllt werden wird. Wir hingegen bewegten uns auf nicht einmal 3-4 qm. Aber eine Luxussuite hatten wir ja auch nicht gebucht. Das sage ich jetzt sarkastisch, ohne zuvor gewusst zu haben, dass es auf diesem Schiff tatsächlich zwei Suiten gegeben hätte mit eigenem Bad, Kühlschrank, TV und Doppelbett. Besonders das eigene Bad wäre das extra Geld wert gewesen. Ausstattung unserer Camarote-Kabine: Doppelstockbett, zwei Schwimmwesten, ein Licht und eine Klimaanlage. Wir lassen uns eine Alternative offen und hängen unsere Hängematten draußen auf.

Zunächst beobachten wir das Boardingprozedere vom Oberdeck auf der 3. Etage, später wechseln wir in die Hängematten. Auch hier wird es zunehmend voller. Nachdem wir schon arg gemustert werden, besonders von den Haitianern, bin ich nicht unglücklich, als ich merke, dass noch weitere Westeuropäer das Boot betreten: ein dänisches Pärchen, eine Britin, eine US-Amerikanerin, zwei Italiener und ein vermeintlicher Franzose. Das ist schon ne gute Quote und ist mir fast zu viel LP-Funreise. Aber so sind die Leute zum Glück nicht drauf. Das dänische Pärchen gibt uns den Einblick in das, was eine Suite so zu bieten hat, wohingegen die Britin und Amerikanerin wie auch die anderen den Hängematten mit allen Umbequemlichkeiten den Vorzug gaben. Die Hängematte ist inzwischen der reinste Horror. Denn das Nebeneinander wird immer mehr ein übereinander. In drei Reihen hangeln sie sich entlang des 1. und 2. Decks. In das 1. kommen wir nur selten. Aber zwischen unserer Kabine und den Toiletten, Waschbecken und Essensraum liegen zahlreiche Hängematten, die wir nur mit gebeugtem Rücken ganz außen passieren können.

Es regnet noch immer in Strömen, als wir um 13.30 Uhr endlich starten. Das veranlasst wohl die meisten, in der Hängematte liegen zu bleiben, wohingegen wir unsere wieder räumen müssen, denn Hängematte haben wir ja nicht bezahlt, sondern die anti-Luxus-Kabine. Also spielt sich unser Leben tagsüber hauptsächlich auf der 3. Etage ab. Dort befindet sich der Kiosk, an dem man zum Glück eine Alternative zu den fleischigen Mahlzeiten bestellen kann, auch wenn dies nur ein Ei-Käse-Sandwich ist. Die Choque-Polizei entert erst einmal den Kioskbereich und schnappt sich alle Stühle. Wo mein Buch eben noch lag, wird es einfach weggenommen, ohne zu fragen. Ziemlich mackermäßig mit ihren Waffen bewegen sie sich dann hin und her. Einer hantiert immer mit einem Maschinengewehr, als würde gerade die Räumung der nächsten Favela bevorstehen. Dann wollen sie unsere Kabine sehen. Alles wird hochgehoben, angefasst und auch unsere Rucksäcke sind noch einmal dran. So ganz logisch ist das nicht. Vor allem haben wir noch gar keine Zeit in diesem Zimmer verbracht. Uns hätte man ganz einfach etwas unterjubeln können, ohne dass wir etwas geahnt hätten. In Benjamin Constant wird noch einmal überprüft, dementsprechend lang zieht sich das Boarden hier hin. Dann geht es endlich auch für uns die unbekannte Wasserstraße, den Amazonas hinab.

Das Wetter ändert sich am ersten Tag nicht mehr merklich. Dass es auf diesem Trip so kühl sein könnte, hätte ich nie gedacht. Windig, regnerisch und kalt war der restliche Tag. Dementsprechend weniger einladend war es für die meisten, ihre Hängemattenplätze zu verlassen. Das Leben auf dem Boot wird von der einfachsten Bedürfnisbefriedigung geleitet: Essen, Schlafen, Scheissen. Die Essenszeiten regeln das Leben total. Um 16.45 Uhr gibt es Abendbrot, um 6 Uhr Frühstück und um 10.45 Uhr Mittagessen. Man steht früh auf, obwohl gar keine Notwendigkeit besteht. Tatsächlich war die erste Nacht keine Erholung. Ständig stoppte das Boot irgendwo und damit kam Unruhe und Lärm auf. Ich war zwar todmüde, aber das half nichts. Somit standen wir natürlich am Mittwochmorgen um 6 Uhr auf, gerade als wir wieder bei einem Ort hielten. Die Urwaldorte am Amazonas ähneln sich alle in der Lage. Ein hoher Wall trennt den Dorfkern vom Amazonas. Dieser enorm steile Hang hat eine noch steilere Treppe, über die dann alles für das Boot herangeschafft wird. Emsig sieht alles aus.

Als wir gerade wieder aus dem Flussarm herausfahren, werden wir von zahlreichen pinken Delfinen begleitet. Das ist ein schönes Schauspiel am Morgen, das nicht viele mitbekommen. Unser Koloss bewegt sich nun am Mittwoch weiter von Ort zu Ort. Wir legen uns nach dem Frühstück erst noch einmal hin und verbringen dann den restlichen Tag auf der 3. Etage. Hier kommen wir dann auch mit der Amerikanerin ins Gespräch. Später unterhalten wir uns mit einem der Haitianer, der recht nett und aufgeschlossen ist. Seine Geschichte ist dennoch eine zu erwartende. Haiti ist sehr arm und gebeutelt. Aufgebaut wurde nahezu nichts. Er ist nach Tabatinga gekommen mit einer dreimonatigen Aufenthaltserlaubnis. Nach einem Monat war er krank. Er lebt jeden Tag von Gottes Gnaden. Die Niere ist wohl kaputt und deshalb wurde er nach Manaus geschickt. Soweit ich das verstanden habe, zahlt ihm das die Regierung. So ganz blicke ich das nicht.Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er von Haiti direkt nach Tabatinga gekommen ist und das ganze Gespräch wird natürlich sehr mitleidig – wir haben das Geld, weil wir Europäer sind, und er ist arm und krank. Dann fragte er uns, welche Sprache wir sprechen. Wir sagten deutsch. Er sagte, no, no, no. No entiendes, wir hätten seine Frage nicht richtig verstanden. Er spricht Französisch, in Brasilien Portugiesisch, aber was spricht man dort, wo wir herkommen. Wir wiederholten „deutsch“. Er war immer noch der Meinung, ihn nicht richtig verstanden zu haben. Später, als wir ihn wieder trafen, erzählte er seinen haitianischen Freunden ganz aufgeregt, wir hätten eine eigene Sprache. Seht her, die Deutschen sprechen tatsächlich deutsch. Er selbst sprach laut eigener Angabe besser Spanisch als Französisch, da er in der Dominikanischen Republik zur Schule gegangen ist und nun lernt er Portugiesisch. Jeden Tag sitzt er mit seinem Wörterbuch da, nimmt Kontakt zu Brasilianern auf, um die Sprache schnell zu erlernen. Bemüht ist er sehr. Möge dies belohnt werden.

Zwischen „auf dem Deck sitzen und lesen und schauen“ sowie „in der geöffneten Kabine liegen und lesen und schauen“ gibt es nicht viel mehr, was wir zu tun haben. Wir steuern einige Ort noch an und jedes Mal dauert das Be- und Entladen wirklich Stunden. In dem Tempo erreichen wir nie Manaus. Die Mahlzeiten lasse ich fast alle aus. Zum Mittag und Abend gibt es sowieso Fleisch. Stattdessen bediene ich mich oben am Kiosk. Dort ist das Leben, am ersten Tag noch zaghaft, an den nächsten Tagen entdecken auch die anderen immer mehr den vergnüglichen Ort. Morgens läuft ruhige entspannte brasilianische Musik, doch schnell wird diese ergänzt durch das Fernsehgerät. Die Musik ändert auch zunehmend ihre Härte, und als ob dies noch nicht genug sei, stimmen noch zahlreiche Handys und Radios in das lärmende Wirrwarr ein. In diesen Ländern muss man wohl mit dem Lärmgen geboren sein, denn was für unsere Ohren eine Zumutung ist, ist für die Einheimischen die wahrste Freude. Seltsam muss unser Schiff den äußeren Betrachtern anmuten, ein Partyschiff auf der Spree ist in etwa dasselbe, nur das die Spree durch eine Stadt läuft, wohingegen unsere Audienz die Natur ist, der man mehr Respekt zollen sollte, als sie mit Lärm und Müll zu belasten. Aber wenn selbst die Touristen, mit denen wir unseren Abend verbringen, ihre Zigarettenkippen in den Amazonas schmeißen, habe ich die Hoffnung auch schon aufgegeben. Briten und Dänen sollten doch etwas aufgeklärter sein. Mülltonnen gibt es genug am Bord.

Wir unterhalten uns nett am zweiten Abend. Ein Goldsucher ist auch noch am Tisch, er ist der Hängemattennachbar der Amerikanerin. Um ca. 20 Uhr halten wir wieder länger in einem Ort. Dieser ist bekannt für seine Fische. Und tatsächlich 1,50 bis 2,0 Meter ist nahezu jeder Koloss, der mühevoll an Bord gebracht wird. Diese Fische, die Pirarucus, sehen voll krass aus. Unglaublich, dass die in diesem Fluss leben. Der Donnerstagmorgen startet wieder sonnig und bleibt auch ein freundlicher Tag. Es ist eigentlich der erste wirklich warme Tag und alle suchen die schattigen Plätze auf dem Boot auf. Die Glieder schmerzen bereits vom vielen einseitigen sitzen und liegen, aber was soll man über Schmerzen klagen, an solch einem herrlichen Morgen. Es herrscht Ruhe und man kann entspannt die Natur an sich vorbeiziehen lassen und die Umgebung genießen. Wenngleich man manchmal sich erst einmal bewusst machen muss, dass hier nicht die Donau ist, sondern der Amazonas. Denn tatsächlich zieht ja immer ein grünes Ufer wie auch an der Donau an einem vorbei und wir sind immer mitten auf dem breiten Fluss. Was soll auch mehr passieren? Hin und wieder sieht man Papagaien fliegen, aber üppige Fauna sieht man vom Boot weniger.

Heute zieht unser Boot durch, hält nirgends mehr. Und das Tempo ist schon rasant, wie wir andere Boote überholen. Vielmehr ist es jetzt so organisiert: will jemand das Boot verlassen, fahren kleine Boote von den Dörfern an unser Boot heran. So steigen die Passagiere auf dem Fluss von unser Boot in das Kleine um. Wenn wir nicht lesen, schlafen oder schauen, unterhalten wir uns mit den Dänen, der Britin und Amerikanerin oder spielen mit ihnen Karten. Diesen Abend scheinen alle genießen zu wollen, denn so voll wie heute war das Oberdeck noch nie. Es ist der letzte Abend, das wissen wir alle, und es stimmt schon etwas melancholisch. Wenn alles gut klappt, sind wir morgen am frühen Nachmittag in Manaus. Abends passieren wir noch eine Industrieanlage. Das erste Anzeichen für Zivilisation. Seltsam, dieses angestrahlte Monster inmitten der grünen Uferzone zu entdecken.

An Bord hat sich inzwischen Routine eingespielt, als morgens die Glocke zum letzten Frühstück läutet. Ein bisschen Nervosität liegt in der Luft. Um 14 Uhr sollen wir ankommen. Jeder Einheimische macht sich heute besonders schick. Wir kommen ja schließlich in die große Stadt. Der Fluss wird immer breiter. Nun fahren wir nicht mehr in Ufernähe, sondern mehr wie inmitten auf einem See. Auch heute werden Leute nur noch von Bord gehen über ein kleines Boot, das an unser Schiff ranfährt. An den Uferzonen sieht man immer häufiger Siedlungen, über denen Vögelschwärme fliegen. Auch sieht man immer häufiger eine feste Häuserstruktur. Schließlich fahren wir kurz vor 14 Uhr nur noch auf einem See, der nach links abbiegt. Nun wissen wir, dahinter liegt Manaus. Hier ist die Stelle des Aufeinandertreffens des Rio Negros und des Amazonas. Genau genommen liegt ja Manaus auch am Rio Negro. Kommen wir vom „weißen“ Gewässer, fahren wir nun in das „schwarze“ Gewässer. Dieses Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Farben sieht man wunderbar vom Schiff aus. Ein buntes Schifftreiben findet man nun auf diesem breiter gewordenen Stück vor Manaus vor. Alte Kähne, Passagierboote, Schnellboote – alles wimmelt hier emsig vor sich hin. Und weit hinten im Hafen ruhen zwei Luxusdampfer wie riesige Monster. Weiter als Manaus kommen diese nicht. Es dauert noch weitere 45 Minuten, bis wir tatsächlich im Hafen anlegen. Wir „Touristengruppe“ sitzen als einzige noch auf dem Oberdeck, während sich die Einheimischen bereit machen. Wir genießen die Ankunft, die Atmosphäre und machen noch mal Fotos. Hier trennen sich auch unsere Wege. Am Hafen steigen wir über ein anderes Boot auf den Anlegesteg. Zwischen Autokolonnen und den Luxuslinern bewegen wir uns Richtung Hafengebäude. Das waren nun unsere drei Tage Amazonasabenteur. Worauf freue ich mich? Kaffee, Saft und ne schöne Toilette!

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