Langsam legt sich mit der untergehenden Sonne eine zaghafte Geräuschkulisse über das Dorf. Hühner gackern, Vögel zwitschern, Esel schreien.

Aus der kleinen Kirche auf dem gegenüberliegenden Hügel am anderen Ende des Dorfes tönen Lieder. Die kleinen Häuser mit Wellblechdächern reihen sich an einer Straße entlang. Menschen sind nicht zu sehen. Ansonsten liegt der kleine Ort Latuvi auf 2450 m Höhe in einer bewaldeten Berglandschaft – ganz still und leise. Die verschiedenen Farbnuancen der Pinien und Laubbäume verlieren sich im Dunst, der der Szenerie die Schärfe nimmt und den Horizont in feinen grauen Linien verschwimmen lässt. Fast wie eine Traumlandschaft liegt die Sierra Norte vor mir. Meine müden Füßen wippen längst im Rhythmus der Hängematte, von der ich nach meiner 5,5 stündigen Wanderung den Ausblick genieße. Wer nach Latuvi kommt, tut dies meist zu Fuß.

Wanderung in der Sierra Norte zwischen den Pueblos Mancomunado

Auch wir sind heute von dem kleinen Ort Cuajimoloyas gewandert. Der Puls von der nur 53 km entfernten Stadt Oaxaca schlug nicht in meinem Takt. In nur 1,5 Stunden ließ ich am frühen Morgen den Lärm, Autos, Menschen und brütende Hitze hinter mir. Die Sierra Norte ist mein Ruhepol. Agavenfelder liegen vor der Stadt und bilden den Puffer zu der ländlichen Idylle. Schilder, die auf Mezcalfabriken hinweisen, zogen auf der Fahrt in die Berge an meiner Scheibe vorbei. Auf den letzten Kilometern schraubte sich die Straße in Serpentinen durch Landschaft, bis wir Cuajimoloyas erreichten.

Im Tourismusbüro im Ortszentrum werden wir herzlich empfangen. Man kann sich in Cuajimoloyas oder auch am Dorfrand Cabañas mieten oder sich von hier aus auf eine mehrtägige Wanderung zu den anderen Pueblos Mancomunado begeben. Wir haben uns für eine Wanderung in das nahe Latuvi entschieden. Wer sich hier auf die Wanderwege begibt, tut dies meist mit einem Guide. Unserer heißt Stefan und ist sehr schüchtern.

Schnell lassen wir die Häuser von dem 3200 m hoch gelegenen Cuajimoloyas hinter uns und tauchen in die Nadelwälder ein. Zäune müssen regelmäßig passiert werden. Meist führt ein Balken über den Stacheldraht hinweg. Kuhfladen deuten darauf hin, was sich hinter den Zäunen und dem Dickicht verbirgt – Kühe. Aus der Ferne höre ich das Meckern von Ziegen. Agaven zieren den Wegesrand. Sie sind er Grundstoff für das heimische Getränk Pulque. Den trinkt man in den hiesigen Dörfern noch lieber als Mezcal, durch den Oaxaca weltweite Berühmtheit genießt.

Zwischen Bromelien und Mückenschwärmen

Nach 6 km, die wir unterwegs sind, ändert sich die Vegetation. Unter die Pinien mischen sich nun auch Laubbäume. Später tauchen wir in einen verwunschenen Märchenwald ein. Bromelien hängen von den kräftigen Stämmen der Bäume herab. Mit der üppigeren Flora bekommt auch gleich die Fauna ein neues Gesicht. Mücken umschwärmen uns. Nach 2,5 Stunden sehen wir vor uns einen Felsen. Bänke laden zum Verweilen ein. Ein Mann wartet dort bereits auf uns. Es ist unser neuer Guide Juan, der Stefan ablöst und uns nun nach Latuvi bringen soll.

Zunächst nehmen wir noch vor der traumhaften Kulisse unser kleines Picknick ein, das wir in der Tourismusbehörde erhalten haben. Juan erzählt uns wesentlich euphorischer als sein Vorgänger, wo unsere Wanderung heute noch hingeht und deutet dabei mit seinem Finger von der Felsspitze einmal über das Tal. 8 km trennen uns noch von Latuvi. Dieser Ort liegt auf dem gegenüberliegenden Hügel, was eine Stunde Abstieg und eine Stunde Aufstieg bedeutet. Enthusiastisch führt uns Juan in die Welt der Bromelien und Orchideen ein und erklärt uns zudem die heilenden Wirkungen der einzelnen Pflanzen. Die Stunde des Abstiegs ist etwas anstrengend für meine Füße, Knie und Konzentration. Auf den trockenen Blättern und Nadeln kommt man sehr schnell ins Straucheln.

Ankunft in Latuvi

Endlich im Tal angekommen mischt sich unter das Rauschen des Windes im Wald noch das Rauschen das Flusses, neben dem Forellenbecken liegen. Truchas sind hier eine Spezialität. Von hier gehen wir nun den Hügel hinauf. Ein alter Mann mit Esel kommt uns entgegen. Es ist der erste Mensch, der uns seit Verlassen des Orts Cuajimoloyas wieder begegnet. Kurz darauf passiert uns eine Frau mit ihrem kleinen Hund. Wo man Gassi geht, ist wohl die Zivilisation nicht weit. Doch Latuvi liegt ziemlich verlassen unter seinen Wellblechdächern auf dem Berg. Adler kreisen über uns, als wir in der gleißenden Sonne die letzte Steigung im Ort nehmen, um unsere Unterkunft zu erreichen.

Auf der Gemeinschaftsterrasse der Community Cabañas schaukeln Hängematten. Von hier genieße ich die sonntägliche Ruhe und den Sonnenuntergang mit einer heißen Schokolade. Wo ich auch hinschaue, erblicke ich nur Berge und Wälder. Die Messe in der kleinen Kirche auf dem gegenüberliegenden Hügel legt den Ort seit Stunden lahm. Plötzlich bellt ein Hund, dann stimmen Esel und Hühner ein – bis sich der übliche Klang eines lateinamerikanischen Dorfes über die Dächer legt und die Bewohner aus der Kirche heraustreten.

Was man sonst noch wissen sollte?

• Die Pueblos Mancomunado sind ein Zusammenschluss von Dörfern in der Sierra Norte, die den Ökotourismus voranbringen wollen.
• Ich habe die Wanderung mit Expediciones Sierra Norte unternommen, ein Touranbieter, der sich auf die Sierra Norte spezialisiert hat.
• Man kann aber auch in die einzelnen Dörfer der Pueblos Mancomunado fahren und dort vor Ort in den Tourismusbüros arrangieren.
• Empfohlen wird, Regenbekleidung und Mückenschutz mitzuführen.

Distanz von Cuajimoloyas nach Latuvi: 16 km // Zeit: 10.00 bis 15.30 Uhr