Die Nacht war wesentlich frischer als die Nächte zuvor. Reif legte sich wieder über das Gras am Ufer. Unsere Jurte war zunächst gut beheizt, doch wie in den Nächten vor der Khuvsgul-Gegend kühlte sie schnell aus, dieses Mal jedoch bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Auch aus dem morgendlichen Wasserhahn kam eine eiskalte Erfrischung. Um 6 Uhr sollte zwar jemand vom Camp unseren Jurtenofen heizen, doch erst um 7 Uhr klopfte es, als wir unsere Jurte bereits geheizt hatten. Um 6 Uhr war wohl auch dem Personal zu früh gewesen. Noch vor 9 Uhr machten wir uns auf den Weg und verabschiedeten uns von unserem kurzen Zwischenstopp am Zuun Nuur. Ca. 150 km warteten heute auf uns. So genau kann uns das nie jemand sagen, so verlassen wir uns auf unsere Schätzungen. In der Mongolei ändern sich die Wege und am besten ist es, immer die Einheimischen nach dem Weg zu fragen, so die stakkatoartig heruntergebetete Antwort unserer Battuul, wenn wieder Unwissenheit bezüglich des Weges in ihrem und dem Gesicht des Fahrers stehen.
Tatsächlich fahren wir heute über einen kürzeren Weg aus dem Camp, den Weg, den wir gestern noch nicht gefunden hatten bzw. den es laut unserem Guide nicht geben sollte. Aber wir lernten ja bereits, Wege ändern sich. Und heute beschreiten wir den richtigen Weg gen Terkhiyn Tsagaan Nuur oder kurz Weißem See. Doch schon im nächsten Ort herrscht erneut die Unsicherheit in der vorderen Sitzreihe. Schnell werden wieder vorbeikommende Fahrer nach dem Weg gefragt. Es wiederholt sich der gestrige Tag. Auch auf der Strecke, wieder nachfragen, ob wir richtig seien. Souveränität täte der Situation manchmal gut und würde entschärfen. Aber woher auch soll unser Fahrer die staubigen Pisten kennen, die sich Frühjahr für Frühjahr neu in die abgegraste Steppe schneiden? Er kommt aus Ulaanbaatar wie auch unser Guide. Diese Route ist er noch nie gefahren. Eine teure Einführung nach unserem Geschmack, ist dies ja kein Billigtouranbieter. Wir fahren gen Süden immer weiter auf eine schneebedeckte Gipfelkette zu und wissen, dahinten liegt unser heutiges Ziel. Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel herab und doch ist die Höhenluft zum Schneiden. Wir bewegen uns nun über Pässe. Die karge abgegraste Steppenlandschaft und Hügel mit den nördlich bewachsenen Lärchenwäldchen (nordexponierende Gebirgswaldsteppe) verwandelt sich in idyllische Lärchenwälder mit Flusstälern.
Leider wird der Weg weniger idyllisch, denn inzwischen herrscht bei uns Schritttempo. Es ist frustrierend wie langsam wir uns durch diese Wälder bewegen. In Deutschland würde sich auf diesen Straßen nur noch das Forstauto bewegen. Ausgewaschene Sandwege, die eine Aneinanderreihung an Löchern bieten, als fiele man in das schwarze Loch. Aber wenigstens gibt es hier nur noch den einen Weg und das erspart uns weitere Haltemanöver. Die Landschaft erinnert mich ein wenig an deutsches Mittelgebirge, nur dass hier keine Kiefern und Fichten stehen. Bilderbuchartig könnte hier gleich der Wolf um die Ecke schauen. Zunächst sieht man in Ortschaften die für Khangai typischen Holzhäuschen, in die ich mich bereits sehr verliebt habe. Aber immer wieder findet man vereinzelt Jurten.
Wieder ein Gipfel mit fast 3000 m Höhe und noch 60 km Weg. Doch nicht weit hinter diesem Pass sehe ich Wasser und dieses Mal keinen Fluss. Das muss er sein, der Weiße See. Doch auf meine Freude nach dieser Schütteltour ertönt auf den vorderen Sitzen nur Schweigen. Als wir etwas eindringlicher fragen, ob es wirklich der Weiße See sei oder ein anderer See, entgegnet und Battuul kurz und knackig „anderer See“. Doch dieser „andere See“ wächst immer mehr zu einer mächtigen Konkurrenz vom Weißen See an, bis es auch Battuul nicht mehr leugnen kann. Vor uns liegt ein großer, langgestreckter (16 km Länge und nur 5 km Breite), leuchtender See, der zum Verweilen einlädt – der Weiße See, dem viele Mongolen den Titel des schönsten Sees vergeben. Ich finde ihn auch schön, aber schöner nach meinem Geschmack ist der Khuvsgul See. Nun fahren wir von der Nordseite kommend den See an, keine große Überraschung meines Erachtens, denn unser Ausgangspunkt lag auch im Norden. Doch Battuul meint, sie hätte den See nicht erkannt, weil das eine Abkürzung war. Naja, wer immer nur lange Wege fährt, für den mag das eine Abkürzung gewesen sein. Für mich eigentlich nur logisch und der einzige richtige Weg. Aber die Freude war groß als wir, nachdem wir noch kilometerlang am nördlichen Ufer entlanggefahren waren und manch eine tiefe Wasserstelle durchqueren mussten, endlich nach 4,5 Stunden unser Camp Maikhan Tolgoi erreicht hatten. Dieses Camp zählt zu den größeren seiner Art und ist direkt am Wasser gelegen. Nach dem Essen ruhten wir uns ein wenig am Ufer aus und dann liefen wir am Ufer weiter in östliche Richtung zum Camp Tsagaan Nuur. Dort war auch ein kleiner Minimarkt, in dem wir wieder auf einen Jeep mit einer deutsch-mongolischen Familie trafen und uns kurz unterhielten. Ansonsten war in den umliegenden Camps eher Totentanz. Nur unser Camp schien aus den Nähten zu platzen. Meist sind die Camps inzwischen auch geschlossen und daher fährt jedes Auto dasselbe Camp an. Allein unser gestriges Camp wird ab Montag schließen. Die Saison ist definitiv vorbei, aber durch die fehlende Konkurrenz wird es in den wenigen verbliebenen Camps eng. Zudem gibt es einige Leute, die auch bei den inzwischen empfindlichen Temperaturen zelten. Eine Jurte ist unbeheizt auch ein kaltes Unterfangen, aber wenigstens kann man sich abends noch 2-3 Stunden an den Ofen setzen. Im Zelt wärmt man sich hingegen nur an sich selbst. Unsere Wanderung dauerte mehr als 3 Stunden und so kamen wir zur besten Abendbrotzeit wieder zurück ins Camp. Als steten Begleiter hatten wir aus unserem Camp einen Hund mit auf die Wanderung genommen. Mit vier treuen Begleitern kehrten wir zurück.