28. Dez. 2009 – Nun verweilen wir seit dem ersten Weihnachtsfeiertag im brasilianischen Urwald. In Leticia und Tabatinga dauerten die Immigrationsangelegenheiten nach unserer Ankunft mit dem Flieger noch ca. 2 Stunden, bis wir endlich mit dem Boot in den Amazonas stachen. Der kolumbianische Immigrationsbeamte war um 14.30 Uhr natürlich zu Tisch und ließ besonders gern auf sich warten.
Schon die Landung in Leticia war unbeschreiblich. Wie häufig habe ich mir genau dieses Gefühl vorgestellt, wenn ich in Büchern über den Amazonas las. Und nun sahen wir selbst aus der kleinen Luge die satte Natur, die nur noch aus dichtem Wald bestand und lediglich durch Flüsse durchschnitten wurde, den Fluss der Flüsse – den Amazonas. Dies war nun das Ziel meiner Träume, das Ziel meiner ganzen Reise. Dies hier sollte meine Erlebnisse auf dem Orinoco oder dem kleinen Misuahelli toppen. Ein hehres Ziel, das nur enttäuscht werden konnte. Denn Abgeschiedenheit sieht anders aus. Und nur und gerade die totale Abgeschiedenheit von jeglicher menschlichen Zivilisation oder zumindest der Glaube daran, die Illusion, abgeschieden zu sein, macht das Hocherlebnis eines Urwaldes aus.
Unsere vierstündige Bootstour startete vom kleinen Hafen in Tabatinga/ Brasilien. Mit uns an Bord waren eine schweizerische und eine kolumbianische Familie aus Bogota. Wir passierten Benjamine Constante und Pereira del Norte – Orte, die nicht für das touristische Auge gedacht sind. Inzwischen begann es zu gewittern. Und der angrenzende Regenwald machte seinen Namen alle Ehre. Wir nahmen ein paar Abkürzungen durch Kanäle. Erst hier sah man, wie hoch der Wasserpegel des Amazonas war. Die Bäume schienen alle zur Hälfte unter Wasser zu stehen. In der inzwischen eingebrochenen Dämmerung versagte schließlich unser Motor. Keine Menschenseele, die uns in diesem Moment hätte helfen können. Der Bootsmann muss sich selbst zu helfen wissen. Der Weg war lang und die Erlebnisse in der grünen Lunge der Erde verschlangen mich. Von nun an fuhren wir nur noch mit Licht. Nur mithilfe der Lichtquelle und eines zweiten Mannes, der Anweisungen schrie, erreichten wir nach 4,5 Stunden unser Ziel.
Die kommenden Tage würden wir nun in Palmeri verbringen – mit Kajak fahren, Baden im Fluss und Urwald-Walks. Ein wahres Urwaldidyll. Vergessen sind zahlreiche Moskitobisse, gegen die auch das heimische Schutzmittel nicht half. Und der Candirú hinderte auch nicht vor der Flucht vor der Hitze in das erfrischende Urwaldnass. Mit Schlamm bedeckten wir in irgendwelchen Urwaldtümpeln unsere Gesichter, um die Heilerde einwirken zu lassen. Und auch unsere Paddeltouren werden unvergesslich sein. Entspannung findet man woanders. Schon morgens werden einem nach der 7.30 Uhr Weckung die „Actividades“ des Tages aufgezählt. Eigentlich will ich einfach nur mal sitzen bleiben und den Amazonas genießen. Aber wir haben bezahlt und da bekommt man nun einmal Dienstleistung über den Schlaf hinauf. Diese Hast wird mir in ein paar Tagen noch zum Verhängnis werden. Mein Körper sagt Halt, doch die Unruhe packt mich.
Nun ist es abends. Es ist es sehr angenehm und man findet endlich etwas Ruhe. Besonders ab 18 Uhr, wenn die Tiere mit ihrem Konzert beginnen. Dann setzen nicht nur die Tiergesänge ein, sondern mit den Stimmen wird allabendlich der Generator zum Schnurren gebracht und die Dschungelvolontäre scharen sich vor dem Bildschirm zur Außenwelt – Vernetzung auch hier. Verfolgt von der Zivilisation oder verfolge ich die Zivilisation, will mich nicht in die Hände der Natur fallen lassen. Der Laptop wird nur zögerlich ausgepackt. Seltsam der Eintrag in Facebook „Mitten im brasilianischen Urwald“. Vor 12 Jahren besuchte ich bereits den venezolanischen Urwald – hier fühlte ich Abgeschiedenheit, obwohl die Zivilisation an den Pforten scharrte, nur man sah niemanden. Weit und breit Grün. Gewaschen im Fluss, geschlafen in der Hängematte, geschissen in ein Erdloch – das war Natur pur. Leticia ist bereits weitab von der restlichen kolumbianischen Zivilisation und dann noch einmal 4,5 Stunden mit dem Boot in den Dschungel, wo finde ich noch mehr Natur – noch mehr Ruhe? Die Technik begleitet uns, der Fortschritt ist auch hier angekommen. Und als ich gerade anfangen will, meine Erlebnisse zu notieren, nachdem ich mich verquatscht habe, ist es 22 Uhr und das heißt back to Nature, zurück zum Kerzenschein. 4 Stunden Fortschritt, 20 Stunden Stillstand.
Morgen geht es zurück nach Leticia/ Kolumbien und übermorgen wollen wir in Peru sein. Obwohl wir in Peru heute schon einmal kurz waren. Im Urwald verschwimmen die Grenzen. Schon das nächste Ufer gehört zu einem anderen Land. Santa Rita ist eine peruanische Gemeinde, die wir besuchten und wo wir den Dorfschamanen kennen lernten. Doch das Interesse der uns begleitenden Personen war gering. Was sollte man einen Schamanen auch fragen. Wonach? Aberglaube? Drogen? Trance? Schnell verabschiedeten wir uns wieder. Zu verschieden die Kultur. Zu selektiv der Wille, etwas zu sehen zu bekommen, was man nicht Begreifen kann. Etwas zu zeigen, was man nicht will. Im strömenden Regen erreichten wir unser Camp.
Habt Ihr vorher auch Station im berühmten Schokoladenladen gemacht? Auf die Garoto-Schokolade waren alle wie verrückt. Und werdet Ihr Euch noch auf den canopy-walk begeben? Es ist in der Tat sehr erholsam dort.