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Yasuni Nationalpark – Der Ruf der Wildnis

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Seit Einbruch der Dunkelheit zirpen die Grillen noch lauter. Ein monotones Uiu, wie das Aufziehen eines Bogens, begleitet das schrille Geräusch, das durch jede Ritze unserer Cabaña dringt und sich bis in die tiefen Gehörgänge bohrt. Immer weitere Klänge stimmen in das Konzert vor unserer Tür ein. Uiuuu, uiuuu… Wenn ich nur wüsste, wie dieser Wicht aussieht, der mich nicht schlafen lässt. Im Urwald geht man früh zu Bett und steht ebenso früh auf. Im Urwald geht alles ums Überleben, und so scheint der Spruch „der frühe Vogel fängt den Wurm“ noch einmal eine andere Perspektive auf das Leben und die Natur zu werfen.

Äffchen

Äffchen

Napo Wildlife Center

Napo Wildlife Center

Käfer

Käfer

Eule

Eule

Morgens um 6 Uhr mit dem ersten Sonnenstrahl wird auch unser Camp aktiv. Wir fahren ein Stück mit dem Boot hinaus, um uns von einem Nebenfluss aus auf eine dreistündige Wanderung zu begeben. Napo ist nichts zum Fotografieren sondern zum Erleben. Unter dem dichten Blätterdach mag die Natur nur halb so viel Strahlkraft wie auf Galapagos entfalten, wenngleich sich hier ein Vielfaches an Fauna unter dem Wurzelwerk des Eisenholz oder den faulenden Blättern auf dem Boden verbirgt. Es ist nicht groß, es ist nicht spektakulär, aber allein im Detail steckt soviel Interessantes. Schmerzhafte 24-Stunden-Ameisen (Bullet Ants) bahnen sich gemeinschaftlich ihren Weg, der unseren kreuzt. Nahezu unter jedem Blatt, das unser Guide Guido anhebt, versteckt sich ein Frosch in Miniaturformat. Hinzu kommen Tausendfüßer, Käfer und Spinnen – es ist eine scheinbar unsichtbare Parallelwelt, in der es krabbelt und die wir doch nicht wahrnehmen. Ohne einen erfahrenen Führer bliebe sie unbeachtet unter unserer Schuhsohle. Doch Guido mahnt uns, jeden Schritt bewusst zu setzen. Und so schreiten wir behutsam zwischen säulenartigen Kapok- und Feigenbäumen, deren Äste von Orchideen und Bromelien umschlungen sind. Alles lebt von allem – ob Parasitentum oder Symbiose, der Wille des Überlebens sprüht uns aus jedem Blatt, Stamm oder Käfer entgegen.

Plötzlich raschelt es über unseren Köpfen – Eichhörnchen- und Kapuzineraffen hüpfen von Ast zu Ast. Das sollen die einzigen Säuger sein, die sich uns auf dieser Wanderung zeigen. Spuren von Pekaris und Höhlen von Gürteltieren deuten jedoch auf die Anwesenheit größerer Gefährten hin, die in dem dichten Blattwerk Tarnung finden. Wir befinden uns im Primärwald, in dem es nur 2-3 Prozent des Sonnenlichts bis zum Erdboden schaffen. Alles, was leben will, strebt nach oben. Es gibt sogar laufende Bäume, Wanderpalmen, die sich in ihrem Leben mit Hilfe ihres Wurzelwerks 80 cm bewegen – immer auf der Suche nach Licht. So stark ist der Selbsterhaltungstrieb der Pflanzen.

Boot im Nebel

Boot im Nebel

Affe über unserem Boot

Affe über unserem Boot

Nachdem wir mehr als drei Stunden durch den Urwald gewandert sind, sehnen auch wir uns ein Stück weit nach Licht. Paddelnd erkunden wir in einer Lancha den Yasuni Nationalpark – mit dem Blick nach oben. Das aufgeregte Geschrei der Hoatzins begleitet uns. Vom Wasser aus lässt sich wunderbar die Vogelwelt erkunden. Aus dem nährstoffarmen Schwarzwasserfluss, dem Añangu Creek, dringt der Duft des nassen Holzes in die Nase. Baumstämme gilt es gelenkig zu umfahren, ein schleifendes Geräusch dringt unter unserem Boot hervor. Nur nicht festfahren und aussteigen, mag manch einer im Boot denken.

Immer wieder hält Patricio, unser zweiter Guide, und hebt behutsam Äste an. Patricio ist hier geboren, der Urwald ist sein zuhause. Irgendwo hier muss sie sich versteckt haben. Wir sind auf der Suche nach der Riesenotter – sie ist das Highlight des Flusses. Wo mancherorts die pinken Delfine den Touristen locken, soll hier die Riesenotter unseren Entdeckergeist wecken. Noch bin ich skeptisch, ob eine komische Otter den Delfin schlagen kann. Doch das Thema ist ohnehin erst einmal vom Tisch, denn egal wohin wir schauen, nichts ist zu sehen, außer Vögel und Affen – aber die umso mehr. Selten zuvor sah ich auf engstem Raum solch eine Vielfalt – ob Roter Brüllaffe, Wollaffen oder Sakiaffen und auch der Affe vom Napo Wildlife Center-Logo, der Golden-mantled Tamarin Monkey. Über unseren Köpfen wird wild gehüpft und manch ein Affe entledigt sich auch seines Essens, als Ausdruck seiner Verärgerung.

Nicht minder verärgert zeigt sich das Tier, was wir tagelang gesucht haben und sich bis zum letzten Tag nicht zeigen wollte. Plötzlich planscht etwas neben unserem Boot. Der erste Gedanke ist, ein Riesenfisch, ein Pirarucu. Immer wieder glitt dieser in den letzten Tagen lautlos an unserem Boot vorbei. Doch dieses Tier macht Lärm. Es ist nicht eins, es sind mehrere. Sie kreischen und springen wie Delfine durchs Wasser. Da erkennen wir plötzlich ganz deutlich die Gesichter der Riesenottern. „Eine Familie“, sagt Guido begeistert. Neugierig umkreist diese unser Boot und schreit zur Abwehr. Immer wieder tauchen die 2 m langen Tiere ab, um sich irgendwo vor uns aus dem Wasser zu strecken und uns mit einer angsteinflößenden Fratze anzuquieksen. Das Zusammenspiel von Tonspur und Bewegtbild ist so beeindruckend, dass sie obwohl sie keine schönen Tiere sind, mich doch noch mehr als jeder rosarote Delfin faszinieren.

Riesenottern

Riesenottern

Riesenotter

Riesenotter

Heulende Riesenotter

Heulende Riesenotter

Ein Tag im Yasuni Nationalpark endet nicht vor der Nacht. Wenn die Dunkelheit über das Napo Wildlife Center einbricht, leuchten die Augen des Schwarzen Kaimans aus dem schimmernden Wasser des Añangu Sees. Sechs Meter misst manch ein Reptil. Bedeutend kleiner ist hingegen das, was wir zum Tagesausklang auf unserer Nachtwanderung sehen.

Abends am Añangu See

Abends am Añangu See

Blick von unserer Terrasse auf den See

Blick von unserer Terrasse auf den See

Noch einmal krabbelt es unter dem Schein der Taschenlampen kräftig. Gespenstschrecken, Käfer, die zwei leuchtende Augen auf ihren Flügeln tragen, Spinnen, die jede Nacht ein neues dichtes Netz spinnen – und am Ende gibt es noch Nachtaffen und eine Eule. Nur einer will sich nicht zeigen – die größte Katze des amerikanischen Doppelkontinents, der Jaguar, schwirrt nur als Bild in unseren Köpfen und Erzählungen unseres Guides über uns.

Blatt oder Tier?

Blatt oder Tier?

Tausendfüßer

Tausendfüßer

Made

Made

Fledermäuse

Fledermäuse

Wir sind geplättet von so viel Leben. Tiere, die man sonst schnell übersieht. Der Urwald schärft alle Sinne, die selbst in der Nacht nicht ruhen. Und so stimmt das Orchester des Waldes in die Nachtmusik ein. Kreischen, Schnattern, rauchige Stimmen – Uiuuu, uiuuu… tönt es aus jeder Pore der atmenden Lunge. Hier ist das Zentrum des Lebens – ein kostbarer Schatz.

Doch wie viel ist er uns wert, wenn unter diesem Schatz noch ein größerer Reichtum schlummert?
(Mehr dazu folgt in Kürze in meinem Beitrag Yasuni Nationalpark – Wie hoch ist der Preis für Leben?)

Auf Bootstour

Auf Bootstour

Im Urwald

Im Urwald

Das Napo Wildlife Center erreicht man am schnellsten mit einem halbstündigen Flug von Quito nach Coca (ca. 200 EUR pro Round-Trip). Von dort steigt man in eine motorisierte Lancha um und fährt den Fluss Napo 2 Stunden abwärts. An der Mündung mit dem Añangu Creek steigt man am Napo Interpretation Center in eine unmotorisierte Lancha um – nach 2 Stunden paddeln erreicht man die Nato Wildlife Amazon Lodge.

Wir wurden vom Napo Wildlife Center eingeladen. Alle Ansichten sind unsere eigenen.

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