Als wir am Morgen mit unserer MS Midnatsol durch die wirbelnden Schneeflocken in den Antarctic-Sund einfahren, hält es wohl niemanden mehr in der Kabine. Kräftig hellblau schimmernde Eisberge zwingen uns zu einem kleinen Schlängellauf, der schöner nicht sein könnte. Es knarzt aus der Ferne und wieder fällt ein Stück in den tiefblauen Ozean. Der Nebel legt sich über das Wasser und lässt weder Himmel noch Wasser deutlich erkennen.
Winter im Antarktischen Sommer in Brown Bluff
An diesem Ort werden wir das antarktische Festland erstmals betreten. Vom Deck sehen wir Pinguine munter wie Delfine durch das Wasser springen. Und als wäre dies nicht genug, wirbeln Flocken durch die Luft. Eis, Schnee, Kälte – das sind die besten Voraussetzungen für den Landgang in Brown Bluff auf der Tabarin Halbinsel.
Es ist Liebe auf dem ersten Blick – die traumhafte Klarheit der Farben und der Luft mischt sich unter die Stille. Hier ist alles reduziert. Unsere Anlandung erfolgt gleich morgens und ist bereits spektakulär. Unser Zodiac sucht sich den Weg zwischen Eisschollen. Kleine Eisberge umrunden wir gekonnt. Vor uns erhebt sich eine bräunlich-gelbe Tafelbergfelswand – Brown Bluff ist ein 745 m hoher, erloschener Vulkan. Zunächst laufe ich in die linke Richtung zum Gletscher, der unter der Nebelschicht verschwindet. Kleine Farbkleckse bewegen sich im Gänsemarsch hinauf und verschwinden im Nebel. Ich folge ihnen und bin doch in diesem Moment in den Nebel eingehüllt für mich allein. Auch wenn meist sechs Boote zeitgleich anlanden, verteilt sich die Menge an Besuchern doch auf den vorgegebenen Pfaden, die nach unserem Verlassen schnell wieder verschwinden. Was bleibt, sind die Highways der Pinguine. Die Reinheit der Flocken legt sich über die braun-gelbe Gesteinsschicht und den Pinguinkot, der grünlich-gelblich leuchtet und nicht minder stark stinkt. Würden Bilder Gerüche transportieren, verlören Pinguine vielleicht ein wenig ihren Liebreiz. Doch diesen spielen sie an diesem winterlichen Tag im Flockenwirbel besonders aus. Mit ausgestreckten Flügeln tanzen sie im Schneefall und verzaubern noch ein Stück weit mehr die schöne, unbewohnte Welt.
Zwischen Pinguinkolonien
Wieder zurück an der Anlandungsstelle gehe ich am Strand weiter – Eselspinguine kreuzen meinen Weg. Es soll ca. 1500 Brutpaare hier geben. Der Pfad endet direkt vor einer brütenden Kolonie an ca. 20.000 Adelie-Pinguinpaaren, die wir auf unserer Antarktisreise nur hier bestaunen können.
Sie tapsen fleißig mit Steinen im Mund für das Nest den Hang hinauf und hinab während manch ein Pinguin bereits brütet. Von November bis Februar bleibt den Pinguinen nur Zeit, das Thema Nachwuchs anzugehen. Ein Mitglied aus dem Expeditionsteam ermahnt noch einmal, die Absteckungen der Wege strikt zu befolgen, denn sonst machen wir die mühevolle Familienplanung der süßen Pinguine mit einmal kaputt. Und das will doch niemand. Feinde gibt es jedoch auch schon genug in der Natur mit den Skuas und Leopardenrobben. Und just schnappt sich ein Skua vor unseren Augen auch schon ein Pinguinei und verschwindet damit in den Lüften. Zwischen den brütenden Pinguinen liegen aber auch viele Kadaver – die vor sich hin verwesen. Teilweise sind dies Überreste der letzten Saison.
Auf unserem Rückweg zum Schiff hat der Wind angezogen und die Wellen schlagen höher. Der Dunst zieht sich noch mehr zusammen. Das was wir ahnen wird bald Gewissheit. Das nachmittägliche Cruisen fällt aus. Stattdessen gibt es einen Vortrag von Dan über Pinguine.
Als wir am frühen Abend wieder aus dem Antarctic-Sund herausfahren, türmen sich vor uns noch mehr Tafeleisberge auf. Sie brechen vom Schelfeis ab und treiben gen Norden. Die Erosion durch Wind und Wasser formt bezaubernde Figuren. Es ist, als würden wir eine Open-Air-Kunstausstellung besuchen. Jeder erkennt andere Formen und Figuren in den Skulpturen im Antarktischen Meer.
Es ist Dinnerzeit, als wir nicht schnell genug auf das Außendeck 6 eilen, um den Schlängelkurs zwischen den 30-40 m hohen Eisbergen mitzuverfolgen. Und genau in dem Moment bekommen wir noch die Einladung, den Kapitän Kai Albrigtsen auf der Brücke zu besuchen. Durch die verglaste Scheibe auf Decke 7 sehen wir die Eisberge an uns vorüberziehen. Albrigtsen umschreibt seine Arbeit in der eisigen Passage mit einem schönen Vergleich: Eis sei wie eine schwere Tür, man müsse immer wieder schauen, dass sie noch aufgeht. Sonst ist man plötzlich eingeschlossen. Menschliches Augenmaß ersetzt hier nun den Autopiloten. Mein Blick versucht den Eisberg zu durchdringen, in die babyblaue Farbwelt des Wassereises einzudringen.
Die blaue Farbe des Eises
Vom Expeditionsteam habe ich gelernt, das das Eis immer das Profil der darunterliegenden Landschaft annimmt. Doch vor uns liegt pures Wassereis. Das Eis der Eisberge in den Gletschern auf dem Land bildet sich aus dem zusammengedrückten Schnee, wobei sich Luftbläschen im Eis eingeschlossen werden. Diese streuen das Licht in viele Richtungen. Die Streuung an den Luftbläschen beim Anstrahlen von Licht sorgt für eine starke Vermischung der Strahlen, was u.a. für das strahlende Weiß eines Eisberges zuständig ist. Doch warum sind die Eisberge so strahlend blau? Nur luftarmes Eis mit wenigen Bläschen schimmert tiefblau wie diese Eisberge, die sich vor uns auftürmen. Wassereis schluckt das sichtbare Licht je nach dessen Farbe in unterschiedlichem Maße. Blaues Licht wird fast nicht absorbiert. Und so leuchten die Eisberge im Antarktischen Meer in die nicht dunkel werden wollende Nacht und sind ein visueller Anker auf dem Wasser. Rein in seiner Farbe, klar in seiner Form. Was mag die Eiswelt darin verstecken?
“Ice contains no future, just the past, sealed away. As if they’re alive, everything in the world is sealed up inside, clear and distinct. Ice can preserve all kinds of things that way – cleanly, clearly. That’s the essence of ice, the role it plays.”
(Haruki Murakami)
In Kürze findet ihr hier im Blog noch mehr Berichte, Geschichten und Eindrücke von meiner Reise in die Antarktis und den chilenischen Fjorden!
PS: Meine Reise auf den Social-Media-Kanälen:
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Lektüre zur Antarktis:
- „Highlights Antarktis Die 50 Ziele, die Sie gesehen haben sollten„, Bruckmann Verlag von Hans-Joachim Spitzenberger, Page Chichester, Holger Leue
Die Reise begleitete auch Max von Bloody Orange, dessen wahnsinnig schöne Antarktis-Bilder ihr in seinem Shop erwerben könnt.
Ich wurde von Hurtigruten zu dieser Recherchereise in die Antarktis eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.
Brown Bluff war Anfang des Jahres meine absolute Lieblings-Anlandung 😀
Brown Bluff gefiel mir von den Anlandungen auch sehr gut – es war die besondere Stimmung, die uns noch durch das winterliche Wetter gegeben wurde, die mich faszinierte. LG, Madlen
Man kann von Brown Bluff einfach nicht genug Bilder sehen. Ich finde deine Kameratechnik und dein Grafikdesign sehr schön. Danke, das du so viel mit uns teilst.
Herzliche Grüße
Heiko Gärtner