Wir feiern uns und das Leben – auf einer Insel, der das Wasser bis zum Halse reicht. Doch solange wir uns haben, müssen wir nicht in die Tiefen des Ozeans abtauchen. Hier treibt der Müll, den wir irgendwann gut sortiert in der Tonne geglaubt, wieder nach oben. Diese Insel ist meine Heimat, und diese wählt stur und störrisch links-grün. Wir pappen uns ein „Ich wähle keine AfD“-Banderole auf unser Facebookprofil, liken hier und da alles, was sich gegen die AfD äußert, und wenn es ganz gut kommt, gehen wir auch mal demonstrieren. Wir schreien hinaus – geht wählen – und meinen damit doch nur unseresgleichen. Denn wären viele der einstigen Nichtwähler nicht mobilisiert wurden, würde es auch weniger rechte Stimmen geben. Aber in diesen Strudel haben wir ja eigentlich auch nicht hineingerufen, denn unsere Freunde und Bekannte denken doch ohnehin so wie ich. Und das ist 100% nicht rechts.
Doch egal was wir tun, wir drehen uns doch immer nur in unserem eigenen Kreis. Wer von uns geht denn schon sonntags zwischen der Marzahner Platte spazieren oder macht einen Ausflug nach Anklam? Wir suchen uns das Schöne und lullen uns ein in einen Dornröschenschlaf, aus dem man doch irgendwann erwacht. Wenn die Luft aus dem rosaroten Flamingo abgelassen wird und wir erkennen, dass Einhörner doch nur eine Illusion sind, treiben wir bereits hilflos auf den Wellen des Ozeans.
Probleme gibt es keine, die groß genug wären, auf Protest auszuweichen. Zumindest nicht auf der rechten Fahrspur. Doch warum protestiert das, was ich meine ursprüngliche Heimat nenne – 300 km südwestlich gegen „die da oben“ und „die unter ihnen“ gleich mit? Was ist schief gelaufen mit meinen einstigen Schulkameraden und Nachbarn? Was macht Euch hinter dem Eigenheimzaun, den akkurat geschnittenen Hecken, mit immer gut poliertem Auto in der Garage so unglücklich? Abgehängt sind hier die wenigsten. Manchmal wähne ich mich zurück in meine Vorstellung vom Westen, als ich ihn in meiner Kindheit nur durch ein Westpaket schnuppern konnte. Der Duft ist längst verflogen, war wirklich alles eine Illusion? Nein, denn da, wo ich herkomme, sieht alles fein geputzt und ordentlich aus. Arbeitslosigkeit bei unter 4 %. Ich möchte an diesem Wahlabend, den ich auf der Autobahn durch dem Osten verbringe, hinausschreien, was ist los mit Euch ostdeutschen Männern, dass Ihr so verbittert seid?
Es gibt abgehängte Gegenden, ja! Wer das leugnet, kommt selbst aus seiner Blubberblase nicht heraus – und da sitzt wohl eines der Probleme. Wenn sich Menschen nicht mehr wahrgenommen fühlen, dann greifen sie zum hässlichsten Hilfeschrei. Da bleibt nun mal nur noch das, was eine Demokratie eben fordert, die eigene Stimme. Und die wurde in meinem „eigentlichen Heimatort“ gleich 317 mal der AfD und 11 mal der NPD geschenkt. Nun sitze ich hier, ratlos und sprachlos und hoffe nur, dass ich mit diesen Wählern nicht einst gemeinsam die Schulbank gedrückt habe. Ich sitze ratlos und sprachlos hier und ahne dunkelste Seiten im erweiterten Familienkreis.
Nicht, dass ich es nicht gewusst habe. Mit Idioten kann man nicht reden – meinen die einen. Man müsse wieder mehr miteinander reden, die anderen. Und dann gibt es Stimmen auf dieser Insel, die meinen, in Deutschland ginge es doch niemandem wirklich schlecht. Ja, wer viel reist weiss, was „richtige“ Armut so bedeutet. Doch „die richtige“ Armut gibt es nicht. Armut ist nicht schwarz und weiss, Armut hat Schattierungen. Armut ist nicht objektiv, sondern eine subjektive Angelegenheit. Wenn ich mich arm, bedroht oder abgehängt fühle, dann reicht das aus, Denkzettel zu verpassen – gegen die da oben. Dann reicht es aus, eine Bedrohung zu skizzieren, die von den noch schwächeren Gliedern der Gesellschaft kommt. Wenn man sich bedroht fühlt, tritt das Eklige zutage. Bedrohung und Angst sind doch oft nur etwas Abstraktes, doch das macht es nicht weniger schlimm. Es geht nunmal nicht allen gut – weder in Deutschland, noch in Europa.
Ich nehme genug Armut auch bei uns wahr, aber diese befindet sich in anderen Ecken als dort, wo Herr Frenck sein Unwesen treibt – nur 10 km von meinem einstigen Heimatort. Hier liegt die AfD übrigens bei 41 % der Zweitstimmen – nur mal soviel zum Thema Protest in dem Ort der europaweit am größten Nazi-Konzerte, den die Medien doch so gelobt hatten.
Das Ergebnis der Wahlen war vorhersehbar – auch für unsere gewählten Volksvertreter. Wir leben nämlich nicht auf einer Insel. Und in einem Deutschland, in dem es allen gut geht, leben wir auch nicht, Frau Kanzlerin. Eine Fahrt in Richtung Wochenendhaus in der Uckermark sollte dies eigentlich zeigen. Die Sonne kann noch so schön vom blauen Himmel scheinen und die Seenlandschaft in ein warmes Licht tauchen. Wir leben nicht auf einer Insel – wenn Europa schon wankt, kommt auch Deutschland aus dem Gleichgewicht.
Über Trump lachen brauchen wir aber auch nicht mehr. Rechte und populistische Tendenzen gehören scheinbar zum aktuellen politischen Klima. Das „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“ wird von der „German Angst“ niedergewalzt. Und diese sitzt tief in den Gliedern.
Wo gelernt wurde, dass „die da oben“ alles richten und die Verantwortung der Staat übernimmt, wo Grenzen die eigene Sichtweise und den Wohnraum einsäumten, wo alles, was der Norm nicht entsprach, weggesperrt wurde, wo die Wende nicht nur politisch, sondern auch persönlich hart zuschlug und auch zu viel Ungerechtigkeit führte – da erreicht die Globalisierung mit all ihren negativen Fühlern wohl die Menschen durch einen Verstärker und schreit das Ergebnis auf ostdeutschen Marktplätzen durch eine hässliche Fratze hinaus, die von den Medien dankend aufgenommen wird.
Wir sind nicht besser, aber auch nicht schlechter als die anderen und sitzen doch alle in demselben Boot. Wir sollten nur die Verantwortung nicht an den Kapitän abgeben wollen.