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Nach Tagen in der monotonen ockerfarbigen Landschaft, in die sich auch die rotbraunen Häuser so einfügen als wollten sie sich hinter dem steinigen Boden verstecken, verlasse ich das Altiplano. Vor uns windet sich im Nieselregen die schmale, unbefestigte Andenstraße von über 3000 Metern hinab in das grüne Tal – Amazonien!
Nie zuvor erlebte mein Auge den Kontrast zwischen Höhe und Tiefe, Stadt und Land, braun und grün so intensiv wie auf dieser Fahrt. Wäre da nicht der erschreckend geringe Abstand zwischen Jeep und Abgrund, der maximal 30 cm maß, hätte ich mich diesem Ergrünen der Natur bereits auf meiner 12stündigen Fahrt von La Paz nach Rurrenabaque völlig hingeben können. Denn das steinige Ocker wird zunehmend von der erfrischenden Flora der Yungas-Region überdeckt, die mit einem leichten strauchigen Grün der Obstbäume, Kaffeepflanzen und Cocasträucher aufwartet.
Die Strecke führt uns von der Hochebene hinab – die Straße schmiegt sich an die Berge, ist teilweise fast reingehauen. Kurven, Kurven, Kurven und steiler Abgrund. Die Straße nur so eng, dass gerade ein Auto Platz hat und das auf einer matschigen Holperpiste. Was ich vermieden hätte, ist hier jedoch äußerstes Gebot: Immer schön außen fahren! Das macht für mich keinen Sinn. Doch wenn sich einmal ein Bolivianer an ein Verkehrsschild hält, dann ist es hier. Ich wusste, weshalb ich den Flieger vorgezogen hätte. Und plötzlich geht auf der Straße richtig die Post ab. Der Gegenverkehr nimmt zu und die Straße wird noch enger. Leider kommen uns nur „überlegene“ Fahrzeuge wie Busse und LKWs entgegen. Das heißt für uns, immer schön den Rückwärtsgang einlegen und Richtung Klippe ausweichen. Das ist knallharte Detailarbeit – und dies im Schlamm.
Ob das Blau des Titicacasees, das Braun des Altiplanos, das Weiß des getrockneten Salzsees Salar de Uyuni, von allen Tönen auf der Farbpalette, die Bolivien hergibt, ist mir das Grün am liebsten. Immer wieder auf Reisen suche ich den größten Garten der Welt auf – das Amazonasbecken, das sich über neun südamerikanische Staaten erstreckt. Der Regenwald des Amazonasgebiets ist der Grund, weshalb ich immer wieder nach Südamerika zurückkehre. Wenn ich meine Augen schließe und mir Grün vorstellen soll, befinde ich mich mitten auf einem Urwaldpfad durch dichten Regenwald. Fast 60 Millionen Hektar bedeckt das bolivianische Amazonien. Dieses Gebiet besteht aber nicht nur aus Urwald, auch riesige Feuchtsavannen und Sumpfgebiete findet man hier. Man nennt diese Region dann Llanos oder auch Pampa.
Einmal in der Kleinstadt Rurrenabaque angekommen, kann man sich für das eine oder das andere entscheiden. Amazonasregenwald oder Pampas? Ich wähle beides.
Zunächst begebe ich mich in die Pampas. Eine dreistündige Fahrt über eine Holperpiste mit Tausenden Pfützen ist unser Weg dahin. Plötzlich klappert es laut unter unserer Sitzbank. Uns ist klar, das muss die Achse sein. Nach einem kurzen Stopp fahren wir dennoch weiter, doch das Geräusch wird lauter und die Schlaglöcher nehmen nicht ab. Also halten wir noch einmal, damit der Fahrer die Achse “zusammenbinden” kann, und setzen die Fahrt fort. Mit gebrochener Achse auf Holperpiste – uns kann also nichts und niemand stoppen. Entspannter ist im Vergleich dazu durchaus die anschließende Bootsfahrt auf dem Yacuma-Flus, die bereits der Observation dient. Kaum auf dem Boot, sehen wir schon jede Menge sich sonnender Schildkröten, jede Menge Vögel, Affen, einen Alligator und ein Capybara (Wasserschwein). Kein Grün der Welt vermag es, diese überwältigende Fauna zu übertünchen.
Am nächsten Morgen wandern wir mit Gummistiefeln durch die Pampas und suchen gemeinsam DIE Anakonda. In der Regenzeit ein schweres Unterfangen. Wir kämpfen uns durch schulterhohes Gras und schlürfen durch kniehohe Pfützen. Das Wasser schafft sich Zugang durch jede Ritze meiner Stiefel. Die Anakonda finden wir nicht. Und plötzlich, wir sind fast am Ufer zurück, gibt es doch noch eine kleine Anakonda zu sehen. Als hätte man sie aus irgendeinem Käfig in einem Versteck befreit. Ist es Zufall oder geplant? Diese Anakonda ist ein klarer Überraschungsfall. Mittags machen wir eine Siesta und lauschen dem tropischen Regen, der den Kapuzineräffchen wahre Melodien von Freudenklängen entlockt. Die ganze Kraft des Natur scheint sich in den Stimmen der Affen zu vereinen. Aber nicht nur am Land öffnet die weite Grassteppe den Blick auf die Tierwelt. Auch unter Wasser hat die Pampas etwas zu bieten. So schwimmen wir mit pinken Delfinen (Boto). Das Wasser lockt zwar nicht durch seine schlammige Farbe, aber die fünf rosaroten Flecken erhellen unser Gemüt. Was auch immer die braune Brühe verbergen mag, in diesem Moment denke ich nicht daran. Ein paar hundert Meter weiter in einer Bucht halten wir dann eine Rute ins Wasser. Piranhas beißen an.
Zwei Tage später, eine andere Tour. Wieder mit dem Boot unterwegs, aber dieses Mal geht es in eine andere Richtung – hinein in den Madidi Nationalpark. Bekannt wurde dieser durch das Buch des Israelis Yossi Ghinsberg „Dem Dschungel entkommen“. Dem Untertitel des Buchs „Überlebenskampf im Urwald Boliviens“ wollten wir es nicht gleichtun, dennoch verliefen auch wir uns für einen Moment im Dickicht des Urwalds. Bei einer so üppigen Flora von rund 5000 Arten von Pflanzen kann man schon schnell den Überblick verlieren, selbst unser Guide.
Das Camp ist sehr spartanisch. Kein Wasser, kein Strom. Viele Sandfliegen begrüßen uns. Dafür aber auch ganz viel Ruhe und noch mehr Natur. Die grüne Farbe dominiert hier alles. Jeder Winkel lebt. Nach dem Lunch machen wir uns auf den ersten Dschungeltrek. Neben Insekten, Affen und Papageien erwarteten wir (nicht wirklich) Ozelots, Pumas und Panther. Plötzlich hören wir Schnaufen und Zähne wetzen. Klingt so etwa eine Raubkatze? Schon sind wir inmitten einer Gruppe von 30 Pekaris. Das ist noch eine kleine Gruppe. Am nächsten Morgen begeben wir uns auf einen weiteren Dschungeltrek. Leider sehen wir auch dieses Mal anstatt einer Raubkatze viele Pekaris. Doch sind die nachmittäglichen 30 Peanuts. Dieses Mal landen wir in einer Gruppe von 90 Pekaris, die uns sehr nah kommen und mir etwas zu aggressiv erscheinen. Pekaris sind anders als das 08/15 Hausschwein. Das Grunzen und Zähnereiben klingt wie eine Kampfansage in meinen Ohren. Ich halte Ausschau nach einem erklimmbaren Urwaldriesen. Auch der Guide wirkt nicht beruhigend, denn so berichtet er, dass sie mit ihren dolchartigen Eckzähnen sogar dem Jaguar und Puma gefährlich werden.
Kaum haben wir die Pekaris unbeschadet hinter uns gelassen, als ich eine Giftschlange erspähe. Die ist zwar klein, aber 100% real. Die Tiererlebnisse scheinen unseren Guide etwas verwirrt zu haben, denn plötzlich verlaufen wir uns. Unser Guide meint zwar, alles sei ok, denn alle Wege führen ins Camp. Seine Nervosität macht mich da aber nicht so sicher. Die Hitze ist so unerträglich unter dem grünen Blätterdach des Dschungels, dass selbst das Stehen schwerfällt. Nach 1,5 Stunden vergeblicher Suche finden wir endlich zurück ins Camp und machen uns auf die Rückfahrt. Vorbei geht es an den steilen Bergenhängen, die den Fluss einkeilen. Hier fliegen immer wieder Ara-Paare über uns hinweg, die in den Felswänden ihre Nester mit dem Nachwuchs versorgen. Lngsam verlassen wir das grüne Herz und nähern uns dem beschaulichen Städtchen Rurrenabaque.
Hier geht es heute jedoch alles andere als urwaldtypisch ruhig und gelassen zu. Farbenfroh gekleidete Tänzer schmücken die Straßen. Und dennoch entdecke ich auch hier wieder die Farbe des Urwalds – Amazonasgrün. So wird das mehrtägige Patronatsfest Anfang Februar mit einem folkloristischen Umzug und der Prozession der Jungfrau Candelaria zelebriert.
Einen Tag später verlasse ich auch dieses bunte Treiben, dieses Mal jedoch mit dem kleinen Urwaldflieger. Innerhalb einer halben Stunde lande ich wieder in einer ockerfarbenen Welt auf dem Altiplano.
Mit diesem Beitrag beteilige ich mich an der Blogparade „Liebstes Grün – von Gärten, Parks und Grün-Oasen“ von Doris alias littlemissitchyfeet.
PS: Vielleicht liegt es an meiner Heimat, dem „grünen Herz Deutschlands“, dass ich Grün allem anderen vorziehe. Ich hätte genauso über das Grün vor den Toren Berlins oder meinem zweiten Zuhause der Mecklenburger Seenplatte schreiben können. Ebenso über das satte Grün und den überwältigenden Blick, der sich mir eröffnete, als ich an der ugandisch-kongolesischen Grenze auf das schier endlose Kongobecken blickte oder dem Tannengrün der mystisch wirkenden Nadelwälder des Baltikums.
Mehr zu Bolivien: http://puriy.de/reiseziel_bolivien/
Noch mehr Grün: http://pinterest.com/puriyunterwegs/green/
Buchtipps:
- „Dem Dschungel entkommen“ von Yossi Ghinsberg
- „Die versunkene Stadt Z: Expedition ohne Wiederkehr – das Geheimnis des Amazonas“ von David Grann und Henning Dedekind
Aktuelle Ausstellungen zu Amazonien:
- Amazonien – LebensRäume – LebensRituale – LebensRechte. bis 31.8.2013 in Stuttgart
Amazon green. My trip to the green lungs of the Earth.
After days amid the monotonously ochre countryside, where even the auburn houses fit in as if they wanted to hide behind the rocky ground, I am leaving the Altiplano. In the drizzling rain the narrow, unsecured Andean road is twisting down from over three thousand metres in front of us – Amazonia!
Never before have my eyes experienced the contrast between height and depth, city and countryside, brown and green as intensively as on this journey. If there hadn’t been the shockingly small gap of not more than thirty centimetres between the jeep and the abyss, I would have already been able to indulge in the greening of nature during my twelve hour ride from La Paz to Rurrenabaque – since the rocky ochre is increasingly covered by the refreshing flora of the Yungas-region, which comes up with a slight shrubby green of the fruit trees, coffee plants and coca bushes.
Our route takes us down the plateau – the road clings to the mountain and is almost carved into it. Curves, curves, curves and a steep abyss. The street is very narrow so that there is only space for one car on a muddy, bumpy road. What I would have avoided is the highest bid here: always driving along the outside of the road. That makes no sense at all. However, if a Bolivian ever follows a traffic sign, then it’s here. I knew why I would have preferred the plane. Suddenly, all hell is let loose on the road. The oncoming traffic increases and the road becomes even more narrow. Unfortunately, there are only „superior“ cars like busses and trucks coming our way, which means we have to go into reverse and avoid the cliffs. This is really tough detail work – and all that in the mud.
Whether the blue of Lake Titicaca, the brown of the Altiplano, the white of the dried salt lake Salar de Uyuni – of all the tincture on the colour palette Bolivia offers, I like the green best. I always try to go see the biggest garden on earth during my trips – the Amazon Basin, which extends over nine South American states. The reason why I always return to South America is the rainforest of the Amazon region. When I close my eyes and envision the colour green, I am always in the middle of a jungle pathway through the thick rainforest. The Bolivian Amazonia covers almost 60 million hectare. However, this region doesn’t merely consist of jungle, you can also find wet savannahs and marshes here. The region is then called Llanos or pampa.
Once arrived in the small town Rurrenabaque, you can choose one or the other. Amazon rainforest or pampas? I choose both.
At first, I proceed to the pampas. Our route to get there is a three hour journey on a bumpy road with thousands of puddles. Suddenly, it clacks under our seat. We know that it has to be the arbor. After a short stop we keep on driving anyway, but the noise gets louder and the potholes don’t diminish. We stop again so that the driver can „tie“ the arbor and continue our journey. With a broken arbor on a bumpy road, nothing and nobody can stop us. The following boat trip on the Yacuma-river is, by comparison, definitely more relaxing, which already conduces to observation. We are hardly on board when we see dozens of tortoises bathing in the sun, lots of birds, monkeys, an alligator and a Capybara (water pig). No green of the world can cover up this overwhelming fauna.
The next morning, we hike through the pampas with our gumboots on and look for THE anaconda. A hard endeavour during monsoon season. We cut our way through shoulder-high grass and shuffle through knee-deep puddles. The water gains access through every crack in my gumboots. We can’t find the anaconda. But suddenly, we are almost back at the waterside, we see a little one after all, as if you’ve delivered it out of a hidden cage. Is that a coincidence or intended? This anaconda is clearly a case of surprise. We have a siesta about noon and listen to the tropical rain, which charms real melodies of pleasure out of the capuchin monkeys. It seems as if the power of nature is joined within the monkey’s voices. However, not only on shore does the grass steppe give an insight into the animal kingdom. The pampas have something to offer under water, too. So we swim with pink dolphins (Boto). The water is not really tempting with its muddy colour though, but the five pink spots cheer us up. Whatever the brown sludge may disguise, I don’t think about it at this point. A few hundred metres further, we stop at a bay and put the fishing pole into the water. Piranhas take the bait.
A different tour two days later. We are on our way with the boat again, but this time we go in a different direction – into the Madidi national park, which became famous through the book „Lost in the Jungle“ by the Israeli author Yossi Ghinsberg. Although we didn’t want to imitate the subtitle „A harrowing true story of survival“, we got lost in the thicket of the jungle for a moment. With such an abundant flora of about 5000 plant species one can easily lose track, even our guide.
The camp is very spartan. No water, no electricity. A lot of sandflies welcome us, but on the other hand also quite a lot of peace and quiet and even more nature. The colour green dominates everything here. Every corner is alive. After lunch, we go on our first jungle trek. Next to insects, monkeys and parrots, we expect to (not really) encounter ocelots, cougars and panthers. Suddenly, we hear gasping and grinding of teeth. Is that the sound of a big cat? We are already in the midst of a group of 30 peccaries, but this is only a small one. We go on another jungle trek the next morning. Unfortunately, we only see a lot of peccaries instead of big cats again. This time we encounter a group of 90 peccaries, who come very close to us and they seem a bit too aggressive to me. Peccaries are different than the run-of-the-mill pigs. The grunting and grinding of teeth sounds like a challenge to me. I am on the look-out for a climbable jungle tree. The guide doesn’t calm me either, as he tells us that their dagger-like fangs can even be dangerous for the jaguar and the cougar.
We scarcely left the peccaries unscathed behind us, as I spy a poisonous snake. Even though she is very little, she is a hundred per cent real. The encounters with the animals seem to have confused our guide a bit, because all of a sudden, we get lost. However, our guide says that everything is ok, because every path leads to the camp. His nervousness doesn’t convince me though. The heat under the green leaf canopy of the jungle is so unbearable that even standing is difficult. After 1,5 hours of unsuccessful search we finally find our way back to the camp and embark on our journey back. We pass steep mountainsides, which wedge the river. There are pairs of macaws flying over our heads again and again, who feed their offsprings in their nests in the crags of the mountain. We are slowly leaving the green heart and come closer to the tranquil town Rurrenabaque.
However, it’s anything but quiet and relaxed here today. Colourfully dressed dancers decorate the streets. Nevertheless, I still spot the colour of the jungle – Amazon green. The patronal festival lasts several days in Feburary and is celebrated with a parade and the procession of virgin Candelaria.
I absent myself from this colourful celebration one day later, this time with the small jungle plane though. Within an hour I disembark in an ochre coloured world on the Altiplano again.
With this article, I take part in the blogging parade „Liebstes Grün – von Gärten, Parks und Grün-Oasen“ by Doris alias littlemissitchyfeet.
PS: Maybe it’s because of my home, the „green heart of Germany“, that I choose green over anything else. I could just as well have written about the green at the gates of Berlin or about my second home the Mecklenburg Lake District. Also about the luscious green and the overwhelming view at the Ugandan-Congolese border, where I looked over the mere endless Congo Basin, and also about the fir-tree green of the Baltic’s seemingly mystical coniferous forest.
More about Bolivia: http://puriy.de/reiseziel_bolivien/
Book tips:
• “Escape from the Amazon” von Yossi Ghinsberg
• “The Lost City of Z: A Tale of Deadly Obsession in the Amazon” von David Grann und Henning Dedekind
Aktuelle Ausstellungen zu Amazonien:
• Amazonien – LebensRäume – LebensRituale – LebensRechte. bis 31.8.2013 in Stuttgart
Der schöne Text hat noch einmal meine Erinnerungen an die Pampas-Tour aufgefrischt. Auch wir bekamen nur auf dem Rückweg aus dem Sumpf in der Nähe des Flusses eine Anakonda zu Gesicht. Das kann kein Zufall sein 😉 Liebe Grüße, Christian
http://www.voneinerreise.de/bolivien/welcome-to-the-pampas/