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Cachoeira – dort wo der Tabak wächst

Cachoeira

Verschwommen zeichnen sich Bambusfelder hinter der Autoscheibe ab. Sie fügen sich wunderbar in die sattgrüne Landschaft ein, die sich links und rechts der Landstraße aufwellt. Es ist nicht einmal zwölf Stunden her, als ich in der feuchtwarmen Luft von Salvador Bahia landete. Ein Bambusdach schmückte den Weg vom Flughafen in die Stadt, die mich mit ihren bröckelnden Fassaden recht verschlafen begrüßte. Jetlag und Schlafmangel lassen mich nun tief in den Autositz sinken und dösend tagträumen.

Santa AmaroSanta Amaro

Bald wird es regnen, denke ich mir, als wir die kleine Stadt Santa Amaro erreichen. Tief liegen die Wolken inzwischen über der Landschaft. Wo einst Zuckerrohr angebaut wurde, steht heute eine große Papierfabrik, die den Bambus gleich weiterverarbeitet. Die Gegend war auch reich an Gold, Silber, Tabak, Zucker. Die portugiesischen Eroberer holzten die Wälder ab und versklavten die Ureinwohner als billige Arbeitskräfte. Aus Afrika wurden bald kräftigere Arbeitskräfte herangeschafft, im Gegenzug machten sich Rohstoffe und Waren auf die Reise nach Europa.

Cachoeira, BrasilienCachoeira, Brasilien

Cachoeira und der Glanz von einst

Erste Tropfen prasseln auf die Scheibe, als wir unser Ziel am Rio Paraguacu erreichen. Cachoeira galt im 19. Jahrhundert als reichste Stadt. Sie war aber auch das brasilianische Zentrum der Sklaverei und ein wichtiger Ort des Orisha-Kultes. Vor allem Yoruba und Gbe sprechende Afrikaner wurden hierher verschleppt. In Cachoeira wurde aber auch als erstes die Unabhängigkeit von Portugal erklärt.

Autokolonnen schieben sich durch die engen Straßen des Ortes. An den alten Barockfassaden der Häuser nagt der Zahn der Zeit. Normalerweise döst Cachoeira vor sich hin. Doch heute ist das Literaturfestival Flica und die Straßen sind voll mit Besuchern. Eigentlich wollen wir hier auch gar nicht bleiben, sondern die Schwesterstadt São Félix an der gegenüberliegenden Flussseite besuchen. Dies erweist sich jedoch als schwierig. Cachoeira und São Félix verbindet nur eine Brücke. Sie soll eine der ältesten in ganz Brasilien oder gar Südamerikas sein und so sieht sie auch aus. Eine halbe Stunde brauchen wir, um uns der Ponte Dom Pedro II Brücke nur wenige Meter zu nähern. Der klapprige Koloss aus Holz und Stahl ist nur einseitig befahrbar. Da wir in São Félix einen Termin haben, nehmen wir dann doch das letzte Stück über die Brücke zu Fuß und sind somit schneller.Cachoeira, BrasilienCachoeira, BrasilienCachoeira, Brasilien

Wir besuchen den einen großen Arbeitgeber des Ortes, die Terra Dannemann. Junge Schüler tanzen und musizieren, als wir das Centro Dannemann erreichen. Die Wände schmücken Werke junger Künstler. Das Centro Dannemann ist heute nicht mehr nur eine Vorzeigefabrik, sondern zugleich Kulturzentrum.

Das alles geht zurück auf die Leidenschaft eines deutschen Auswanderers – Gerald Dannemann. Als er im 19. Jahrhundert in das fruchtbare Reconcavo-Gebiet kam, sah er hier die optimalen Bedingungen für den Tabakanbau. Geraldo, wie er hier genannt wurde, brachte auch Schule und Rathaus an den Ort und wurde der erste Bürgermeister der Stadt.

Sao Felix, BrasilienSao Felix, BrasilienSao Felix, Brasilien

Der Entstehungsprozess einer Zigarre

Mit einem breiten Lächeln empfängt uns die junge Deutsche, Susanna. Sie entschuldigt sich zugleich, dass wir nicht als erstes auf’s Feld können. Aber gleich sei Mittagspause und dann wird für eine Stunde die Arbeit niedergelegt.
Somit starten wir mit einer kleinen Führung durch das Centro, bevor wir am Nachmittag eine der zwei Fazendas in der Umgebung besuchen.

Wir schauen auf die geübten Handgriffe der Tabakdreherinnen, zwölf widmen sich im Centro Dannemann dieser Arbeit. Es sind ungefähr 100 bis 120 Zigarren, die eine Frau pro Tag nach einem festen Bauplan dreht. Da ist zum Beispiel Maria, die das schon seit sechsundzwanzig Jahren macht. Es bedarf besonderes Talent und Geschick und Genauigkeit, um diese Arbeit auszuführen.

Dannemann, Sao Felix, Brasilien Dannemann, Sao Felix, Brasilien Dannemann, Sao Felix, Brasilien

Nach dem Drehen wird von jeder einzelnen Zigarre die Luftdurchlässigkeit gemessen. Der Wert darf zwischen 20 und 40 liegen. Ansonsten brennt die Zigarre zu schnell runter oder man würde ewig daran ziehen.

Es folgt der Trocknungsprozess der Zigarre, in dem dem Umblatt die Feuchtigkeit entzogen wird. Das dauert 15 Tage. Ein Arbeiter schneidet flink das Mundstück. Mit dem Deckblatt geht die Zigarre noch einmal in einen 15 bis 30tägigen Trocknungsprozess, auf den eine 120 bis 150tägige Fermentierung folgt. In einer hübschen Schachtel aus Zedernholz verkauft Dannemann die Zigarren als 6er oder 25er Packung. Man unterscheidet zwischen Robusto, Corona, Doppel Corona und Panatela. Einzeln kosten sie 30 bis 50 Reais.

Dannemann, Sao Felix, BrasilienCachoeiraCachoeira, Brasilien

Auf der Fazenda

Wir fahren ein paar Kilometer hinaus aufs Land – vorbei an einem riesigen Stausee, der sich zwischen die aufgewellten Hügel legt. Wir wollen uns auf der Fazenda Santo Antonio den Ernteprozess des Tabaks anschauen. Leider ist gerade nur keine Erntezeit, so dass vieles Theorie bleibt.

Der winzige Tabaksamen wird mit Sägespäne gemischt. Ein Gramm besteht aus ca. 1200 Samenkörnern. 45 Tage dauert es, bis der Samen heranwächst und die Setzlinge dann gut sortiert auf die Felder kommen. Dabei muss auf gleiche Höhe geachtet werden. Zu kleine Pflanzen würden kein Licht abbekommen, zu große das Licht wegnehmen. Innerhalb 90 Tage werden die Tabakpflanzen 3 m hoch. Dann folgen Trocknungs-, Fermentierungs- und Selektionsprozess. Es verwundert nicht, dass der Weg vom Samen zur Zigarre  mindestens zwei Jahre dauert.

Dannemann, Sao Felix, BrasilienDannemann, Sao Felix, BrasilienDannemann, Sao Felix, Brasilien

Die Tabakpflanze besteht aus drei Teilen: Einlage, Umblatt und Deckblatt. Das Edelste und Teuerste ist das Deckblatt (Capa) und nur dieses wird auf den Fazendas von Dannemann noch selbst angebaut. Es vermittelt schließlich über seine Farbe, seine Struktur und seinen Duft den ersten Eindruck der Qualität einer Zigarre. Den Tabak für Einlagen und Umblätter kauft Dannemann von den umliegenden Bauern auf. Die Tabakfirma unterhält mit 200 Kleinbauern Kooperationen, die von ihnen den Samen für die späteren Einlageblätter erhalten.

Die Bestandteile unterscheiden sich in ihrer Geschmacksintensität und ihrem Aussehen. Oben liegt das stärkste Blatt, das Deckblatt ist nämlich mitnichten nur Dekoration und Zier. Es prägt mindestens zu 30 % den Geschmack. Unten liegen die leichteren Geschmacksrichtungen.

Zwei verschiedene Deckblätter unterscheidet man: Das dunkle Deckblatt Mata Fina mit seinem starken und süßen Aroma. Dessen Samen stammt zu 100 % aus der Region und es wird in Brasilien kultiviert. Dann gibt es das Santo Antonio, dessen Samen aus Sumatra stammt und das ein Zitronengrasaroma aufweist.

Dannemann, Sao Felix, Brasilien Dannemann, Sao Felix, BrasilienDannemann, Sao Felix, BrasilienDannemann, Sao Felix, Brasilien

Nachdem wir im Fermentierungsraum schwitzen, ist es Zeit, selbst einmal Hand anzulegen. Sandra führt uns auf eine freie Brache, auf der bereits ein paar kleine Bäume verteilt liegen. Ich genieße den wunderschönen Blick über die sanften Hügel, die hier alle freigelegt wirken. Das will Dannemann mit einem Aufforstungsprojekt ändern und hier kommen wir jetzt ins Spiel. Auch wir werden Teil des Projekts sein, indem wir einen Baum pflanzen. Mein zweiter übrigens ins diesem Jahr. Wir suchen nach geeigneten Plätzen für unsere kleinen Bäume, die bald schon zu einem Wald heranwachsen sollen.

Ich habe den im tropischen Amerika weitverbreiteten Jenipapo-Baum gewählt. Aus seinen Früchten lassen sich Kompott und Alkohol herstellen. Die Ureinwohner Brasiliens und Venezuelas gewinnen aus den Früchten aber auch blaue Farbe, mit denen sie sich bemalen. Es lässt sich aber auch ein Gebräu daraus herstellen, um das Skelett des Candiru aufzulösen, ist er einmal in die Harnröhre badender Männer eingedrungen.

Cachoeira, BrasilienCachoeira, Brasilien

Zurück in Cachoeira

Nach der Zeit auf der Fazenda runden wir den Tag noch in Cachoeira ab. Das Literaturfestival hat die Stadt noch immer fest im Griff. Stände reihen sich um den kleinen Marktplatz, auf Bühnen werden Geschichten vorgelesen oder auch Tanzaufführungen gezeigt.

Ich erblicke an einem Stand eine lachende Bahianerin, die mich zu sich herwinkt. Sie verkauft traditionelle frittierte Acarajés, die ich probiere.

Danach schaue ich noch im Museu Karl Hein Hansen vorbei, um mir seine Werke anzuschauen.

Der hier als Hansen-Bahia bekannte hamburgische Künstler zählt zu den ungewöhnlichsten expressionistischen Holzschneidern und Malern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1949 wanderte er nach Brasilien aus.

Mitte der 50er Jahre siedelte er nach Salvador Bahia über, dass zu seiner zweiten Heimat wurde. Der berühmte Brasilianische Romancier Jorge Amado fügte dem Namen Hansen als Ehrung „Bahia“ hinzu. Hier, wo er unter Fischern, Matrosen, Händlern und Bettlern lebte und dadurch wesentliche künstlerische Impulse empfing. Viele seiner Motive zeigen Prostituierte und das Leben in einer Hafenstadt.

Cachoeira, BrasilienCachoeira, BrasilienCachoeira

Rauch und Träume

Es ist bereits abends, als wir uns auf den Rückweg nach Salvador Bahia begeben. Herablaufende Tropfen zeichnen Muster auf die Frontscheibe des Autos. Wind bläst durch die Ritze des Seitenfensters in mein Gesicht. Die Müdigkeit kann er nicht ganz wegblasen. Dunkelheit bricht über die Wiesen und Felder herein und legt den grauen Schleier der Nacht über das satte Grün Bahias. Fast wirkt es, als wolle Rauch aufsteigen. „Tabak verwandelt Gedanken in Träume.“ sagte einst Victor Hugo. Berauscht von den Bildern fahren wir durch die Nacht.

DannemannCachoeiraCachoeira

Was man sonst noch wissen sollte?

  • Manufactura Brasileira da Charutos Dannemann
    Rua Manoel Passos, 4
    São Félix – Bahia
    Website: www.dannemann.com
  • Damário Dacruz – Pouso da Palavra (Galerie und Café)

Ich wurde auf meiner Reise durch den Nordosten Brasiliens von TAP Air Portugal unterstützt. Der Inhalt meiner Beiträge bleibt davon unberührt.

2 Kommentare

  1. Danke für so ein interessanter Artikel!!! Ich habe ihn mit mit großer Freude.
    Der Tabakanbauprozess ist lang und mühsam, aber interessant. Diese Menshen, die Tabak wachsen, sind echte Arbeiter!!!
    Ich würde mich freuen diese Felder, wo Tabak wächst, zu besuchen.
    Und diese Bilder sind bezaubernd und schön…

  2. Liebe Madlen,
    die Bilder sind ja richtig klasse! Da bekomme ich direkt wieder Lust nach Brasilien zu reisen.
    Die Vielfältigkeit des Landes hat mich beeindruckt, jeden Tag kann man etwas komplett neues entdecken.
    Hattest du ein Lieblingsessen in Brasilien? Kulinarische Eindrücke finde ich immer besonders einprägsam.
    Liebe Grüße Martin

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