Alle Artikel in: Momentaufnahmen

So ist das Leben.

Beelitz Heilstätten

Schritte

Und plötzlich ist man allein. Der Duft eines Krankenhauses zieht durch das Gemäuer, Türen fallen unregelmäßig ins Schloss, Schritte schlurfen durch die Gänge. Anspannung macht sich breit – bei mir und den anderen Patienten. Ich kehre in mein inneres Gefängnis. So ungefähr muss es sich anfühlen, wenn man nach einem Urteil seine Zelle bezieht. Wenn einen wenige Worte ersticken, einen aus dem reißen, was das Leben ausmacht. Düfte, Geräusche, Geschmäcker intensivieren sich dort, wo das Äußere nicht existiert. Der Zeiger der Uhr tickt langsam. Die Welt zieht in Zeitlupe vorbei.  Der Mann neben mir greift immer wieder die Hand seiner Frau, die ängstlich auf den Boden schaut. Ruhige Worte der Hoffnung flüstert er ihr ins Ohr – gerade so laut, dass sie mich noch erreichen. Sie leiden zu zweit für einen. Ich versuche mich etwas abzuwenden, lausche dem Rascheln des Magazins, das die Patientin links neben mir wahllos durchblättert. Ihre meditative Art mit dem, was auf uns zukommt, umzugehen. Wir warten auf unsere Diagnosen – gemeinsam und doch auch jeder für sich allein. Nur das Paar rechts neben …

Happiness

Wenn Reisen eine Flucht ist

Reisen ist eine Droge, von der man schwer loskommt. Sie radiert einfach für einen Moment all die Dinge aus dem Gedächtnis aus, die uns bedrücken. Sie lässt uns vergessen. Sie kann aber auch heilen. Als ich meine Leidenschaft für andere Länder entdeckte, wusste ich nichts von dieser Wirkung. Ich war einmal im Jahr high, ohne es bewusst zu steuern. Ich tankte Kraft für den Alltag und öffnete den Blick, mit dem ich nach meiner Rückkehr sah, auf welch hohem Niveau sich unser Jammern abspielt. Doch seit dem vorletzten Jahr folge ich immer mehr dem Reflex, wenn es mir nicht gut geht, setze ich mich in den Flieger – weil ich es kann. Mit dem Ergebnis, dass die Droge nicht mehr wirkt. So wie jedes Medikament seine Wirkung verliert, wenn es im Dauereinsatz ist. Denn auf die Dosis kommt es an. Hinzu kommt, dass sie ein Stimmungsverstärker ist. Was bringt es mir, auszureisen, wenn mich am Ende doch alles einholt. Ich kann nicht vor mir selbst ausreisen und dem Ballast, den man mit sich trägt. Das …

Friedrichshain Raw Gelände

Kiezerinnerung – Broken Window Friedrichshain

Ich weiß nicht, wann der kleine schummrige Laden, der vorgab, mal ein Plattenladen gewesen zu sein, sich in einen Puff verwandelte. Längst gingen in der Mittagspause und zum Kaffeetrinken Arbeiter im Blaumann und Geschäftsmänner im Anzug aus und ein, als plötzlich irgendwann das kleine blaue Schild mit den rosaroten Lettern AMORE vor der Tür leuchtete. Wie oft machte ich mit mir oder meinen Kolleginnen zum Spaß eine Wette, welcher parkende Mann oder Passant gleich hinter der Gittertür verschwindet. Meine Gedanken schweiften aber nicht nur wegen Amore von meiner eigentlichen Arbeit ab. Als gegenüber in einem verwaisten Laden ein Shisha-Shop einzog, kam auch Leben in unsere kleine Straße, die nicht gerade durch Schönheit besticht. Von nun an hielten junge Kerle mit klapprigen Autos aber auch mit teuren Schlitten zweite Reihe. Wieder ließ ich mich dazu hinreißen, meine Gedanken von der Arbeit abzuwenden und auf der Straße zu verlieren. Milieu-Studien par excellence ergaben sich hier. Breitbeinig wird noch mal alles zurechtgerückt, bevor Mann manchmal mit posierender Perle an der Seite den Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite betritt. …

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Der Tag, an dem der Westen seinen Duft verlor

Mein Kompass hatte nur drei Richtungen. Und dennoch schien er intakt. Dort wo die Sonne am höchsten stand, ging es für mich nicht weiter. Hinter der Linie am Horizont kam nichts. Doch der Blick in den Himmel reichte. Gen Süden fuhr man einfach nicht. Was uns davon abhielt, kannte ich nur vom Hörensagen. Ein Grenzzaun, der so fest in meinem Leben stand, nur 15 km von unserem Haus, blieb bis zu jenem Tag für mich unsichtbar, an dem er kein Hindernis mehr war. Hin und wieder schritt meine Patin mit Jeansjacken, Netzstrümpfen und Milkaschokolade in mein Leben und färbte meine Welt bunt. Jeder Gegenstand duftete, dass ich mir in meiner Vorstellung hinter der Mauer ein parfümiertes Land vorstellte. Doch ansonsten mangelte es mir an nichts, außer an den unbegrenzten Möglichkeiten. Aber mit meinen fast 13 Jahren hatte ich noch längst nicht die Gesamtpalette an Möglichkeiten ausgeschöpft. Das Universum vergrößert sich, je älter man wird. Die Wege werden länger, die Zeit rast schneller, der Wille nach Freiheit wächst. Was in der Kindheit noch die duftende Wiese …