Man liebt es oder man liebt es nicht. Ich habe mich bereits am zweiten Tag meines Aufenthaltes in Medellin für letzteres entschieden und suche nach einem „Fluchtplan“. Da fällt mir wieder ein Gespräch mit einem kolumbianischen Paar in Berlin ein, das mir unbedingt einen Ausflug nach Guatapé empfahl. Auf meinen vergangenen drei Reisen nach Kolumbien war ich niemandem begegnet, der mir von dieser Region berichtete. Umso mehr weckte dieser Tipp nun doch mein Interesse und so wollte ich reisen wie es Kolumbianer tun.
Nur 90 km nordöstlich von Medellin fand ich das umschwärmte Kleinod, das mir die erhoffte Ruhe gegenüber Medellin bieten sollte. Nachdem ich im Zentrum Medellins mehrfach von der Polizei auf „kriminelle Energien“ hingewiesen wurden war, mit der Bitte, vorsichtig zu sein und meine Kamera zu verstecken, gab ich genervt auf und hakte für diese Reise das Großstadtkapitel ab. Ich wollte mich treiben lassen durch die künstliche Welt der Botero-Skulpturen im Stadtzentrum und nicht nur in dem aufgemotzten Stadtteil Poblado aufhalten. Ich wollte mich einfach frei bewegen. Und so setzte ich mich in den nächsten Bus, der sich auf Serpentinen durch die Hügellandschaft bewegte.
Je näher wir an unser Ziel kamen, desto höher wurde die Dichte an Ausflugsrestaurants an der Straße. Schließlich erreichten wir eine herrliche Seenlandschaft. So viel Schönheit von der Natur erschaffen? Nicht ganz! Denn die vermeintlich natürliche Seenlandschaft ist einem Eingriff in die Natur geschuldet, es handelt sich um einen Stausee. Mit einer Fläche von 2.262 Hektar zählt er zu den größten Stauseen Südamerikas. Dass man sich hier wunderbar erholen kann, steht außer Frage. Aber nützlich ist er natürlich auch. So produziert er über 30% des Energiebedarfs von Kolumbien und exportiert zusätzlich Strom nach Ecuador und Venezuela.
Nicht nur der riesige Stausee, der viele kleine Bergkuppen wie Inseln umschließt, ist Anziehungspunkt der zahlreichen vor allem kolumbianischen Touristen. Eine besondere Attraktion ragt ca. 220 Meter aus der Umgebung hervor – La Piedra Del Peñol. Der größte Teil dieses Monolithen ist jedoch nicht sichtbar. Zwei Wege bzw. Treppen führen auf den Gipfel und hinab. 650 Stufen sind jedoch zu bewältigen. Keine leichte Sache. So mag manch einer bereits ans Umkehren denken, während er schweren Atems und schnaubend andere Touristen an sich vorbeilässt, nur um dann einige Minuten später froh aufzuatmen, wenn er den Gipfel erreicht hat und die atemberaubende Aussicht genießt. Auch wir sind völlig entzückt. In meinen Gedanken versuche ich, das Wasser abzulassen, um mir die eigentliche Bergwelt vorzustellen. Doch es scheint, als wäre es hier immer so gewesen. Bis an den Horizont wechseln sich Wasser und Bergkuppen ab.
Bis an den Horizont möchte ich auch fahren, als wir das Seengebiet mit dem Kajak erforschen. Kaum jemand, der auf dem Wasser unterwegs ist. So plätschern unsere Paddel in der völligen Ruhe und Abgeschiedenheit durch die Seenwelt der Anden. Später umrunden wir einen Teil des Stausees mit dem Rad auf der Ring Road (Vuelta al Anillo). Diesen Ring möchte ich gern weiter und weiter fahren, bis dass der Horizont uns von der Andenkette die Bergwelt hinunterrutschen lässt, so unwirklich ist das Setting.
Noch einmal kehren wir zum Piedra Del Peñol zurück. Legenden sagen, dass der Peñol-Stein von Indianern der Frühzeit als Gottheit angebetet wurde. Aus der Kolonialzeit stammt die Legende vom Teufel, der beim Versuch den Monolithen an sich zu reißen, den großen Riss an der westlichen Seite des Steines verursachte. Und als ich so noch einmal den Piedra von unten anschaue, scheint es mir, als hätte Botero seine Hände mit im Spiel gehabt. So erscheint mir der Piedra wie eine künstlich geschaffene Skulptur inmitten einer künstlich geschaffenen Seenlandschaft.
Wir reisten im Dezember 2011 nach Medellin und Guatapé.
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