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Im Großstadtdschungel von Vancouver

Vancouver

Ich lehne mich weiter über die Reling, als könne ich damit die Skyline besonders schnell herbeizaubern. Links und rechts ziehen die Gulf Islands an mir vorbei. Wir sollten immer den Worten des Kapitäns lauschen, denn erst in der vergangenen Woche hat man von dieser Fähre aus Wale durch die Straße von Georgia ziehen sehen. Nichts Ungewöhnliches in manch anderer Jahreszeit, aber im April schon. Ich warte darauf, endlich einen Blick auf Vancouver zu erhaschen. Doch leider ist es recht diesig, die Sonne haben wir in Victoria zurückgelassen. Kein Wunder, dass Vancouver irgendwo im Dunst untergeht.

Vancouver

Abtauchen im Großstadtdschungel von Vancouver

Nur etwas mehr als eine Stunde später passiere ich die Cambie Bridge und bin mittendrin, mitten im Dschungel – im Großstadtdschungel. Meine erste Reaktion ist „oh je“. Warum um Gottes Willen schwärmt jeder von diesem uninspirierten Beton- und Glaswall, der aus einer einstigen kleinen Sägewerkssiedlung des 19. Jahrhunderts entstand? Ich bin erschlagen, überfordert und irgendwie enttäuscht. Das Grün liegt dahinter, versteckt. Nachdem Seattle mächtig vorgelegt hatte, konnte Vancouver bei diesem Wetter nur verlieren. Obwohl für Vancouver die Messlatte sehr hoch liegt, schwärmt doch jeder in höchsten Tönen. Und dann das.

Mit Rad durch den Stanley Park

Nachdem ich mitten im Zentrum im Shangri-La Vancouver eingecheckt habe und bei meinem Blick aus dem Zimmerfenster im 11. Stock ins Staunen komme, erscheinen die Glastürme weniger bedrohlich. Also tauche ich ab in die Straßenschluchten der Metropole, nur um ein wenig später in der Denman Straße ein Fahrrad auszuleihen und dem Ganzen zu entfliehen. Und Entfliehen geht hier in Vancouver wunderbar. Vor den Toren des Stanley Parks reihen sich hier die Radverleihe aneinander. Es ist wohl das übliche Touristenprogramm – einmal durch den Stanley Park zu radeln. Aber zur späten Nachmittagsstunde an einem grauen Montag hält sich der Andrang doch in Grenzen. Man kann den Stanley Park auch einmal auf dem 10 km langen Seawall per Fuß oder mit Inlineskates umrunden. Egal wie, wichtig ist die Richtung gegen Uhrzeigersinn einzuhalten. So schlage ich die östliche Richtung ein, um auf dem ersten Stück einen schönen Blick auf die Skyline von Vancouver und dem Segelyachthafen zu genießen. Nach 1,5 km erreiche ich den Platz mit den acht Totempfählen, die in der nordwestlichen Region Kanadas einzigartig sind. Die aus Zedernholz geschnitzten und wunderbar bemalten Pfähle dienen nicht als Götzen, sondern erzählen vielmehr Geschichten aus Familien oder über Traditionen. Es folgt ein herrliches Stück auf 3,5 km, das den Blick auf die gegenüberliegenden Berge wie den Cypress Mountain, Grouse Mountain und Mount Seymour öffnet, würden sie nicht unter der Dunstglocke der Wolken verschwinden. Den nördlichen Punkt markiert die Lion Gate Bridge, die hinüber nach North und West Vancouver führt. Frachter gleiten unter ihr hindurch, während ein kleiner Schlepper Hunderte von Holzstämmen hinter sich herzieht. Auf der Westseite öffnet sich das Meer. Am Horizont schwimmen Schiffe.

Der Highway für Räder ist sehr szenisch und ich frage mich, weshalb man nicht häufiger solche schönen „Küstenwege“ für Räder und Füße einrichtet. Während neben mir auf einer eigenen Bahn gejoggt wird, muss man als Radler etwas aufpassen, da der leicht erhöhte Weg für Radfahrer und Inliner oftmals eng ist, was das Überholen erschwert. Hinter dem Siwash Fels, der von weitem sichtbar aus dem Wasser ragt und laut einer Legende für die Selbstlosigkeit eines Schwimmers steht, dem die Familie vorging, beginnen die Strandabschnitte, die an diesem Tag nur von wenigen besucht sind. Ich fahre am dritten Strand die Anhöhe hinauf, um eine Kleinigkeit im Tea House zu verzehren und den Meerblick durch die Scheibe zu genießen. Dann setze ich meine Fahrt fort und folge dem Uferweg immer weiter gen Süden. Hier begegnen mir wieder mehr Rennradler und Läufer. Der Sandstrand der Englisch Bay geht in den Sunset Beach über. Auf dem Grünstreifen spielen die Einwohner Ball oder machen ihr Work Out. Hinter der Burrard Bridge sieht man auf der gegenüberliegenden Seite den Public Market auf der Insel Granville Island. Auch der False Greek wird von Parkflächen gesäumt. Kunstwerke der #vanbiennale schmücken die Stadt.

Vancouver ist wie ein harter Beton- und Glaskern zum Arbeiten mit viel weicher Grünfläche zum Erholen außenherum. Ich könnte stundenlang durch diesen grünen Rand weiterradeln, wäre es nicht schon so spät. Ich durchquere den George Wainborn Park, den David Lam Park, mache einen Abstecher nach Yaletown, fahre dann zurück zum Coopers Park, wo ich in der Ferne noch das Gebäude der Science World erblicke und hinter mir das BC Place Stadium. Nachdem ich das Rad abgegeben habe, spaziere ich den Uferweg am Hafen entlang. Um 19 Uhr ist hier ziemliche tote Hose. Die Läden und Restaurants sind dicht und es gibt kaum Passanten. Von der Waterfront ist das In-Viertel Gastown dann auch nicht mehr weit – und wo sonst sollte ich nach Restaurants und Cafés suchen?

Im historischen Viertel des Stadt vereinen sich Kunst, Kultur, Mode und Kulinarik. Restaurants und Designläden wechseln sich ab. Neben mir besprechen Studenten der benachbarten Filmschule ihren nächsten Dreh. Frisuren, Klamotten, Attitude gleichen denen der jungen Leute in anderen Metropolen. Nur die Straßenzüge vermitteln das angestaubte Bild einer englischen Kleinstadt um die Jahrhundertwende und bilden einen herrlichen Kontrast zu den Wolkenkratzern von Downtown.

Zwischen den alten hergerichteten Bürgerhäusern unter dem Blätterdach der Bäume zischt und dampft es. Die weltweit erste Dampfuhr, die alle Viertelstunde eine Melodie spielt, ist in der Water Street ein Magnet für viele Besucher. An diesem Abend haben sich nur wenige hierher verirrt.

Am nächsten Tag fliehe ich vor dem Regen hinüber auf die Halbinsel Granville Island, die ich mit einer kurzen Fährfahrt über den False Greek erreiche. In den ehemaligen Lagerhallen und Werkshallen haben es sich Künstler und Handwerker eingerichtet. Darunter mischen sich die jungen Studenten, die sie hier ansässige Emily Carr University of Art and Design besuchen. In den Hallen und Straßen am Ufer des False Greek kann man sich im Müßiggang üben. Bis in die 50er Jahre war auf diesem neu gewonnenen Landstück zwischen zwei Sandbänken noch Industrie zuhause, doch dann verfiel Granville zu einer Industrieruine. Erst ab den 70er Jahren wurde die Halbinsel wieder aktiv genutzt und ist inzwischen ein Kulturtreffpunkt und Touristen-Hotspot. Das kulinarische Highlight bietet jedoch der Public Market mit seinem frischen Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch, Backwaren, Kaffee und vielen Snacks.

Als der Regen nachlässt, lasse ich mich von der kleinen Fähre am David Lam Park absetzen. Von hier laufe ich die Strandpromenade entlang, bis ich das BC Place Stadium erreiche. Hinter dem Heimstadion des Canadian-Football-Teams BC Lions und der Fußball-Mannschaft Vancouver Whitecaps FC erreiche ich China Town. Das drittgrößte chinesische Viertel auf dem nordamerikanischen Kontinent hinter San Francisco und New York City ist nach dem ersten Goldrausch 1858 entstanden.

 

Im Dr. Sun Yat-Sen Classical Chinese Garden finde ich ein kleines Ruheidyll zwischen Pavillons und Seerosenteichen. Der an der Carrall Street gelegene Chinesische Garten besteht aus einem frei zugänglichen Park sowie einem Garten mit Eintritt.

Verglichen zu den recht sauberen Straßen in Downtown und Gastown wirkt es in China Town schon etwas heruntergekommener und sehr geschäftig. Alte, bröckelnde Hotelfassaden sprechen von anderen Zeiten. Diese will ich festhalten. Doch als ich meinen Fotoapparat darauf halte, werde ich etwas aggressiv von einer obdachlosen Frau beschimpft. Weshalb ich das Leid hier festhalte. Natürlich kann ich die vielen Obdachlosen, die sich nicht nur in den Straßen von Chinatown niedergelassen haben, übersehen. Dass ich tatsächlich an den Fassaden interessiert bin, mag mir die Frau dennoch nicht glauben. Obwohl ich die Kontraste einer Großstadt liebe, sind es sicherlich nicht die der sozialen Gegensätze. Leider graviert sich dieses allein in meinen drei Tagen in Vancouver immer tiefer ein. Eine der lebenswertesten Städte der Welt ist zugleich Hort der Armut, Obdachlosigkeit und HIV. Das Tor zu Asien ist zudem auch Hauptumschlagplatz für Drogen. Das gilt besonders für die Downtown Eastside. Das zwei Quadratkilometer große Viertel ist das ärmste im Land. Rund 10.000 Drogenabhängige leben hier auf engstem Raum. Manches mag die gewaltige Skyline verdecken, manches der grüne Gürtel, der die Stadt umringt, ersticken, doch am Ende quillt es doch immer irgendwo hervor. Vancouver ist schön. Vancouver überrascht. Doch Vancouver kann auch, wenn man hinschaut, überfordern.

 

Was man sonst noch wissen sollte?

Geschlafen habe ich im zentral gelegenen Shangri-La Vancouver – Mich überzeugte nicht nur die tolle Lage, die Freundlichkeit des Personals und der Komfort, sondern besonders die kleinen Details begeisterten mich.

Cafés & Restaurants in Gastown:

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