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Im Süden wartet die Wüste – Madagaskar am Wegesrand

Madagaskar

Wir sind eine halbe Stunde unterwegs, als Lantu unsere Autotüren arretiert. Am Horizont inmitten der trockenen Grasbüschellandschaft zeichnet sich eine Stadt ab. Ilakaka – die Stadt, die um die Jahrtausendwende einen Saphirboom erlebte und von einer Siedlung zu einer mittelgroßen Stadt anschwoll. Und noch heute sammeln sich hier im verfluchten Tal der Saphire im Flusstal des Illaka die Menschen, die das Glück in den Edelsteinen suchen, die zu den besten der Welt gehören sollen. Reich geworden ist kaum einer der Gräber. Sri Lankesen, Inder, Thais – Ankäufer aus dem Ausland kamen schnell, um den Kuchen aufzuteilen. Bossis nennt man sie hier. „Gems“ zeigt jedes zweite Haus von Ilakaka an. Es ist immer ein Steinhaus mit diesem Schild. Dazwischen finden sich ärmliche Holzverschläge, der Rest wird hier gehandelt. Lantu fährt langsam durch den Ort. Durch die Scheibe hat die Welt da draußen die Wirkung einer Doku im Fernseher. Gefühle sind weggedimmt, weil man die Atmosphäre nicht spürt, weil man den Schweiß nicht sieht, weil man das Hecheln nicht hört in der glühenden Sonne. Dann zeigt er nach rechts. In einer Schlammgrube wimmelt es vor Menschen, die mit Sieben und Schüsseln Saphire aus dem Schmutz waschen. Auch die nächsten Orte sind noch immer im Saphirrausch, auch wenn sie längst nicht mehr so viel heben. Das Bild gleicht sich: dreckige Wasserlöcher mit vielen Menschen.

Ein paar Ortschaften weiter in Andoharotsy wird Alkohol gebrannt. Rostige Tonnen mit lokalem Rum stehen im sandigen Boden. Der Duft zieht durch jede Ritze unserer Fensterscheibe.
Auf der weiteren Strecke von Ilakaka nach Tulear passieren wir verschiedene Mahafaly-Grabstätten. Diese Einzelgräber der hier lebenden Rinderhirten sind nicht minder auffällig wie die der Sakalava. Die rechteckigen Gräber werden von einer ca. 1 Meter hohen Steinmauer umringt, die Malereien zieren. Diese zeigen typische Dinge des Verstorbenen. Interessant ist aber besonders die Anzahl der Zebuköpfe, die sich auf den Gräbern befinden. Sie zeigen an, wie reich der Verstorbene war. Sie stammen meist von den bei der Beerdigungsfeier geschlachteten Tieren.

Knapp 20 km vor Tuléar zählt Lantu auf Französisch die Zahlen 3,2,1 runter. Et voilà – das Meer. Am Horizont schimmert das frische Blau aus der kargen Landschaft. Die letzten 50-70 km passierten wir Landstriche jenseits von Wasserquellen. Kinder hielten die Hand vor den Mund, als Zeichen für Durst. Die Hitze knallt gnadenlos in das Auto. Diese Menschen haben als einzige Schattenquelle ihre niedrige Strohhütte, in der man nur gebückt stehen kann. Bretter lehnen an der Öffnung und dienen als Tür. Armut kann viele Gesichter haben. Ich wurde oft auf Reisen nach Dollars, Geschenken wie Spangen, Bonbons, Klamotten gefragt. Dinge, an denen es vielen Orten der Welt doch mangelt, die wir im Überdruss haben. Dinge, die das Leben bereichern, aber nicht das Überleben sichern. Dinge, die einen für einen Moment nachdenken lassen. Doch der Eindruck von dürstenden Kindern frisst sich tiefer, dieser Eindruck bleibt, sensibilisiert. Irgendwo sehe ich ein Schild der Welthungerhilfe.

Madagaskar ist ein stetes Auf und Ab. Madagaskar fasziniert im Vorfeld, überrascht bei der Ankunft und schockiert, wenn man mittendrin ist. 2009 ist immer wieder die Zahl, die fällt. Für jedes verlassene Gebäude, für jedes verfallene Restaurant oder Hotel wird der Putsch 2009 als Ursache gesehen. Die Weltgemeinschaft ließ das Land für Jahre allein, auch der Tourismus brach zusammen. Heute weiss ich nicht, ob Madagaskar tatsächlich zuvor blühendere Zeiten erlebte. Man sieht die Schönheit einst vergangener Tage unter den verfallenen Fassaden der beschaulich wirkenden Kolonialarchitektur in den Städten und der Backsteinromantik mit Giebeldächern und Balkonen im Hochland. Nähert man sich den Küsten, verschwimmen Lebensräume mit der Natur. Mich erinnert Madagaskar immer mehr an die Geschichte der drei Schweinchen Millie, Willie und Billie aus meiner Kindheit, die die Zerbrechlichkeit von Behausungen schon lehrte, sind sie aus falschen Materialien gebaut. Aus den Backsteinhäusern im Hochland werden Lehmhäuser Richtung Küste, die in den kargen Gegenden durch Strohhütten abgelöst werden, die nur als Unterschlupf dienen.

Und dann kommt Tuléar. Madagassische Zurückhaltung ist verflogen. Zwei kleine Jungen laufen neben uns her, verlangen Dollars. Ich versuche es mit netter Ablehnung und weiss doch, dass „nett nichts zu geben“ nicht funktioniert. Dafür werde ich auch mit einem dicken „Fuck you Bitch“ bestraft. Ein paar Schritte weiter schallt es „Madame, Pousse, Pousse“ im Kanon hinter mir her. Ich will laufen nach all den vielen Stunden im Auto. Doch eigentlich müsste ich die Wirtschaft ankurbeln. Ich flüchte mich in eine Bar am Strand. Wir sind die einzigen Besucher. Ziegen balancieren auf der Mauer, um an die saftigen Blätter der Palme zu gelangen. Dahinter ist nichts, nur Dreck und Sand. Kinder schauen über den Zaun. „Faim“ tönt es herüber. Ich trete aus der Umzäunung ans Meer. Plastik, Kleidungsstücke mischen sich unter die Seealgen. Das Meer ist dunkel, nicht türkis. Der Blick aus der Ferne war eine Täuschung.

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