Momentaufnahmen
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Kimo

Kimo-Schnee

„Der Zauber der Hoffnung liegt in dem Glauben, die Realität mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen zu können.“

Wenn Du gehst, nimmst Du die Hoffnung mit, auf das, was nicht mehr sein wird. Es ist der Moment, in dem Du Dir eingestehen musst, (etwas) verloren zu haben. Gegen die Hoffnung, gegen die Natur. Es ist der Moment, in dem Vergänglichkeit das Beständige übermannt. Das, was jeden Tag aufs Neue auf Dich wartet und Dich glücklich und zufrieden macht.

Es ist der Gedanke, Dich nie wieder im Türrahmen begrüßen zu können, wenn ich das Schloss zur Wohnung öffne. Es ist der Schmerz, der bleibt, wenn ich nach Hause zurückkehre. Es gibt keinen Grund, zum Bleiben, es gibt keinen Grund, zurückzukehren.

Flüchtig ist das Leben, flüchtig sind wir. Stille füllt den Raum, wo sonst ein Schnurren, ein Tippeln war. Kalt und leer ist es geworden. Da war immer ein wärmender Körper, der freudig meine Nähe suchte. 15 Jahre hast Du mich begleitet, bis die Lunge Dir nicht mehr genug Luft zum Atmen gab, bis Dich Dein Herz schwächte und Du die Essenaufnahme verweigertest. Du warst satt vom Leben, lebensmüde.

Kimo_liegend

Wann ist der Moment, in dem man als hoffnungsvoller Mensch die Hoffnung aufgeben darf? Wann vergisst man sich, der zurückbleiben wird auf dieser  Welt? Wann sieht man die Erlösung und beendet das Leben, das Dir viel Freude und Liebe schenkte. Und so sehe ich Dich sitzen hinter dieser Glasscheibe, in der Du mit purem Sauerstoff versorgt wirst. Lausche benommen in diesem Vakuum der Sinne der Kosten-Nutzen-Rechnung der Ärztin. Ich lasse Dich hier in jenen Stunden zurück, als ein Gewitter und Sturm über die Stadt hinwegjagt. In mir sieht es nicht viel anders aus. Von nun an werde ich täglich über Diagnosen, Behandlungen und Kosten informiert – bis in die Südsee sollen mich diese Nachrichten noch erreichen. Am Ende jedes Gesprächs steht die Frage, wollen Sie das noch? Können Sie das noch? Es ist meine Aufgabe, Dich von Qualen zu erlösen, die Dir von nun an das, was wir Leben nennen, bereitstellt. Rational ist das klar, emotional will ich noch so viele Momente aufsaugen, um sie später Erinnerungen zu nennen. Doch darf ich das, nur weil ich es kann? Die Zeit ist ohnehin gegen uns… und am Ende ist es immer zu spät.

Kimo-me

Zwischen jenem Tag und heute liegen Wochen, die wir uns nicht sahen. Dir zweimal täglich immer zur selben Uhrzeit Dir überlebenswichtige Medikamente zu geben, war ich nicht in der Lage. Rational war das die richtige Entscheidung, emotional nicht. Du verweiltest dort, wo sich immer Menschen um Dich kümmerten, die Dir Nähe gaben. Der Abschied hat längst im Stillen stattgefunden.

Zwei Monate später, erhalte ich diese Nachricht. Worte, die eine Frage formulieren, liegen in der Leitung zwischen Köln und Berlin. Sollen wir noch einen Tag warten, damit Du bei ihm sein kannst? Diese Entscheidung hätte längst im März gefällt werden sollen. Doch wenn es um Leben und Tod geht, entscheiden sich wohl die meisten immer fürs Leben und blenden den Schmerz dabei aus. Noch einmal wirst Du Lebenswillen zeigen, noch einmal stemmst Du Dich gegen Das Urteil, das in der Luft liegt. Seitdem schwebt das Damoklesschwert erneut über meinen Gedanken und Deinem Körper und Geist. Inzwischen ist es fast Sommer. Genau drei Monate nachdem ich Dich hinter der Scheibe in der Sauerstoffkammer ums Leben ringen sah, sitzen wir erneut in der Tierklinik. Da ist immer wieder dieser Spruch in meinem Kopf: „Hoffnung ist der Rettungsring derjenigen, die wissen, dass sie verlieren werden.“ Wir wussten es damals und wir wissen es heute. Aber wer ertrinkt schon gern, wenn es diesen Ring zum Greifen gibt. Früher oder später frisst uns die Natur alle auf, so wie sie uns das Leben schenkte.

Kimo-Decke

So viele Tränen sind vergossen, dass sich meine Gedanken längst von meinen Gefühlen abgespaltet haben. Am Ende siegt immer das Rationale, denn gegen das Leben kann man nicht gewinnen. Ich versuche allenfalls alles mit Haltung zu ertragen, bis ich mich selbst nicht mehr halten kann.

15 Jahre voller Freude und Dankbarkeit bis heute um 15.30 Uhr als Dein Brustkorb in meinen Händen zum Stillstand kam. Draußen scheint die Sonne als ich mich ins Auto setze und ich die Straße weiterfahre – raus ins Grüne, als wollte sie mir einen Anlass geben, unter der Sonnenbrille meine Tränen verstecken zu können.

Erstes Foto 29. August 2004

Erstes Foto 29. August 2004

Letztes Foto 4. Juni 2019

Letztes Foto 4. Juni 2019

 

 

 

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