Dort, wo das tiefblaue Wasser des Atlantiks auf den hellblauen Himmel trifft, zieht sich wie an einem Faden auf der scharfen Linie die Aida majestätisch gen Südwesten entlang und nimmt Kurs auf Fuerteventura. Hinter mir stehen ordentlich aufgereiht blau-weiße Liegestühle im hellen Sand. Ein paar Touristen genießen die nicht mehr ganz so stechende Abendsonne und den Blick auf das Meer, wo sich kleine Segelboote und Stand-Up-Paddler tummeln. Von der Mole hängen Angelschnüre lasch ins Wasser. Es ist der Blickwinkel, der das Gefühl bestimmt, das Gefühl von Arrecife.
Das Wechselspiel von Arrecife
Wer eine schöne Altstadt sucht, ist hier falsch. Kaum erblickt man ein paar hergerichtete, restaurierte Fassaden, folgt schon eine Bausünde. Das Schöne ist, dass diese Sünden nur klein sind, da die Häuser dank César Manrique ein-, zwei-, maximal dreigeschossig gebaut sind, und nur das Gran Hotel aus dem Stadtbild oder gar Inselbild durch seine Größe heraussticht. Kein Gebäude sollte höher als eine ausgewachsene Palme gebaut werden. Selbst der Hausstrand entpuppt sich als nicht perfekt – mal ist Ebbe, mal balanciert man über einem steinigen Boden durch das Wasser. Trotzdem oder gerade deshalb mag ich den Ort, der ein Korrektiv zu den Feriendestinationen Puerto del Carmen oder Playa Blanca auf Lanzarote darstellt.
El Charco
Wo andere Orte mit ihren Strände punkten, verzaubert Arrecife mit seiner „Pfütze“. Denn um El Charco, wie der kleine Binnenhafen heißt, entfalten die weißen Kalkfassaden mit ihren blauen Fensterrahmen und Türen eine besondere Wirkung. Sie ziehen sich bis auf einen Hang hinauf, hinter dem man besonders am Abend im intensiven Licht der untergehenden Sonne die Vulkane herauslugen sieht während die kleinen, bunten Fischerboote wunderschöne Farbtupfer im Teich bieten. Vor dieser wundervollen Kulisse reihen sich Cafés, Bars und Restaurants aneinander. Trotz seiner besonderen Strahlkraft ist das alte Hafenviertel Charco de San Ginés ein Platz, an dem sich die Einheimischen treffen. Nur ein paar Meter weiter liegen die Yachten im neu gestalteten Hafen La Marina. Und auch das Shoppingparadies ist hier nicht weit, wenngleich als Mall ein wenig leb- und lieblos.
La Recova und San Ginés
Mehr Atmosphäre findet man dort, wo die Stadt ihre Wurzeln hat, am Ende des Hafenbeckens La Puntilla. Hier ließen sich die ersten Fischer nieder und bauten im 16. Jahrhundert eine einschiffige Kirche, die aber durch Piraten gestürmt und zerstört wurde. In unmittelbarer Umgebung erbaute man dann im 17. Jahrhundert eine neue Kirche, die in den folgenden Jahrhunderten um Turm und Seitenschiffe erweitert wurde. Heute kann man die Kirche San Ginés mit ihrem dunkles Vulkangestein, weißer Kalkfarbe und ihrer interessanten Kassettendecke im Mudéjarstil sowie die gewagte Farbkombination der Kanzel in rot-lila am Plaza de las Palmas bewundern. Unter dem grünen Blätterdach der Palmen findet auf dem hübschen Platz vor der Kirche samstags ein Wochenmarkt mit frischen Produkten wie z.B. Käse, Brot, Blumen, Fisch statt. Einheimische kaufen hier ein und halten einen Plausch. Vom Kreuzfahrttourismus merkt man hier wenig.
Von der Kirche geht eine kleine Seitenstraße (Calle La Miranda) hinunter zum Ufer. Linkerhand deuten zwei Banner auf einen Hinterhof hin, auf dem verwaiste Marktstände stehen. Verkäufer preisen in ihren kleinen Läden Schmuck und Antiquitäten an. Ein Café, die Panaderia Amásalo, gibt es auch. Und so nehme ich Platz an einem der kleinen Tische und schaue einem Künstler am Nachbartisch beim Malen zu.
Wieder auf der Uferpromenade stehe ich hier schon fast direkt vor dem Motiv, das Arrecife so prägt – eine lange Zugbrücke, Las Bolas, die hinüber zum Castillo de San Gabriel führt, die im 16. Jahrhundert auf der winzigen Islote de los Ingleses zum Schutz von Hafen und Stadt erbaut wurde. Ein zweiter Dammweg führt parallel dazu hinüber und ist für Fahrzeuge gedacht. Die Festung ist seit 1972 ein nationales historisches Denkmal und beherbergt ein kleines ethnografisches Museum.
Hinterhofklänge
An meinem letzten Tag in Arrecife schlendere ich noch einmal die Calle Manolo Millarer entlang. Streetwareläden treffen auf Gemischtwarenverkauf. Ich finde mich schließlich im kleinen Hinterhof der Panaderia Damien wieder. Vier Tische stehen im Schatten einer Palme. Auch hier liest man wieder Manriques Handschrift. Weiße Hauswände, die von grünen Fensterrahmen und Türen geschmückt sind, umschließen den kleinen Hof. Und doch fühle ich mich nicht beengt. Zwei Musiker nehmen am Nachbartisch Platz und proben für ihr nächstes Konzert. Die Gitarrenklänge schlucken die letzten Geräusche, die von der Straße in das Kleinod hineindringen. Ich liebe Orte, deren Schönheit sich nicht auf dem ersten Blick erschließt. So ist es mit Arrecife.
Eine eindringliche Stimme schmettert den Text „No necesito silencio.“ Man mag es dem Sänger sofort glauben. Es ist kurz vor 14 Uhr, als die Stadt ihren Mittagsschlaf beginnt. Das Cafépersonal hat sich im Halbkreis um die Musiker gesetzt und applaudiert nach jedem Song. Aus einer Probe ist ein Auftritt geworden. Die Siesta kann warten. Als ich den Hof verlasse, begleiten mich die melancholischen Töne des kubanischen Songs Comandante Che Guevara. Es ist noch nicht Zeit, zu gehen – und doch geht mein Flieger in wenigen Stunden.
Ich wurde von Turismo Lanzarote und dem Spanischen Fremdenverkehrsamt eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.
Die Fotos strahlen richtige Ruhe aus
toller Bericht und sehr schöne Bilder! Lanzarote ist mein nächstes Urlaubsziel im Frühling, darauf freue ich mich schon sehr ! liebe Grüße aus Matrei am Brenner, Lena