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Wir lagen vor Kap Hoorn

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Es ist Sonntagmorgen, der erste Advent, als ich den Vorhang noch ein Stück weiter beiseite schiebe, um nicht den Moment zu verpassen, in dem eine Landmasse hinter der doppelten Scheibe auftaucht. Noch blicke ich auf das offene Meer. Seit knapp 3 Tagen sind wir nun am Bord der MS Midnatsol von Hurtigruten. Ein gutes Stück mit chilenischen Fjorden, Gletschern und Bergen liegt hinter uns. Immer war irgendwo eine Bergkette oder Insel in Sichtweite, als wir die Magellanstraße und später den Beagle Kanal passierten.

Kap Hoorn

 

Ankern in Kap Hoorn

Doch seit wir gestern Abend von Puerto Williams ablegten, um den südlichsten Punkt Südamerikas (naja, genau genommen sind das die 100 km entfernten Diego-Ramirez-Inseln, aber die sind schließlich nicht bewohnt) anzusteuern, gibt es nichts, was den Horizont von seiner Monotonie ablöst. Mein Magen kämpft langsam gegen den Rhythmus der Wellen an. Ich schwanke ein wenig durch die Kabine und fische mein Notfallkit gegen Seegang aus dem Schrank. Nicht, dass ich es schon bräuchte. Aber sicher ist sicher.

Ankern vor Kap Hoorn

Kap Hoorn

Punkt 7 Uhr wird der Anker gesetzt. Wir haben Kap Hoorn erreicht. Rund 10.000 Menschen wurde dieses Stück Erde schon zum Verhängnis, es gilt als der größte Schiffsfriedhof der Welt. Wir wissen, dass eine Anlandung hier ein Glücksspiel ist und sind noch bester Laune, als wir auf Deck 6 versuchen, die graue Szenerie auf Fotos festzuhalten. Es ist ein unwirtlicher Ort, an dem wir liegen. Kaum zu glauben, dass eine Familie tatsächlich da drüben auf Kap Hoorn lebt. Im Minutentakt schaukeln sich die Wellen höher, ich kämpfe gegen den Wind an und flüchte mich doch ins Innere des Schiffs. Im Schutz der Frontscheibe beobachte ich das Spiel der Albatrosse mit dem Wind. Ein anderes Kreuzfahrtschiff, das schon vor uns hier ankerte, setzt sich wieder in Bewegung. Als der Lautsprecher knistert und Tessa, die Leiterin des Expedition Teams, sich einen Moment zu lang räuspert, weiß ich, Kap Hoorn und wir, das wird nichts werden. Die Bestätigung kommt postwendend. Der Wind ist aufgefrischt –von 10 m pro Sekunde, auf 21 m pro Sekunde und später auf 34 m pro Sekunde. Wir könnten nicht gefahrenlos in die Zodiacs einsteigen. Eine Stunde später lauschen wir dem Knattern des einziehenden Ankers. Wir fahren ein Stück zurück, um unseren Lotsen abzusetzen. Was nun folgt, ist der gefürchteste und ungewisseste Teil, gegen den ich wohl mit Emesan und Nausyn ankämpfe – die Drake Passage, in die wir – wenn sich das Wetter nicht ändert – mit einer Windgeschwindigkeit von 11 hineinfahren.

Ankern vor Kap Hoorn

 

Kap Hoorn

Wer in die Antarktis reist, hat keinen Plan. Jeden Tag ändern sich die Konditionen, so dass es keinen Sinn macht, ein Programm aufzustellen. Das macht die Reise auch so spannend. Ich weiß nicht, wo ich morgen sein werde, wo ich als nächstes Boden unter den Füßen habe. Auch eine genaue Route kann uns das Team erst am Ende der Reise aufzeigen. Alles, was klar ist, ist nur, dass unser Kompass gen Süden zeigt und ich wohl nie mehr in meinem Leben dem Südpol näher sein werde. Ich ziehe meine dicken Outdoorklamotten wieder aus. Anstatt nasser Anlandung stehen nun Vorträge über Vögel vom Expeditionsteam und über die Shackleton’s Endurance-Expedition von Arved Fuchs auf dem Programm. Letzterer hatte zur Begrüßung gemeint, er freue sich einmal, diese unwirtliche Gegend auf solch komfortable Weise zu bereisen, anstatt in kleinen „Nußschalen“.

Kap Hoorn

Ich ziehe mich in meine bequeme Kabine zurück, und sehe einfach nur aus dem Fenster, sehe Kap Hoorn an mir vorbeiziehen, sehe die tiefliegenden Wolken quer über uns hinwegjagen, sehe dem Tanz der schäumenden Kronen auf dem aufgerauten Wasser zu. Ich denke mir, wie muss es sein, dies mit einem kleinen Segelboot zu erleben? Und ich frage mich, wie viele Boote wohl auf dem Meeresgrund liegen.

Wir lagen nur eine Stunde vor Kap Hoorn, wo Atlantik und Pazifik aufeinandertreffen. Dann schlagen wir noch einmal die nördliche Richtung ein, um den chilenischen Lotsen in ruhigeren Gewässern vor der Isla Nueva abzusetzen. Mittags drehen wir wieder auf Süden. Unser nächstes Ziel sind die Südlichen Shetlandinseln, die wir übermorgen erreichen. Von dieser subantarktischen Inselgruppe sind es dann noch 150 km über die Bansfieldstraße zum antarktischen Kontinent.
Es ist ein langer Weg, um den am wenigsten besuchten Kontinent zu erreichen. Doch es sind „nur“ noch 950 Kilometer, die uns vom antarktischen Festland trennen.
Adios Südamerika, was jetzt kommt, ist nur noch die Antarktis.

Kapelle auf Kap Hoorn

Kapelle auf Kap Hoorn

Kap Hoorn

Nachtrag

Die Anlandung

Drei von zehn Anlandungen glücken. Warum also nicht noch einmal versuchen? Auf unserem Rückweg kündigte der Kapitän an, dass wir am Montagmorgen gegen 10 Uhr wohl Kap Hoorn erneut erreichen werden. Er erwartete eine ruhige Fahrt durch die Drake Passage, doch nachts und in den Morgenstunden könnte der Wind anziehen, was auch einen erhöhten Wellengang nach sich ziehen würde. Tatsächlich schaukelte es morgens etwas mehr, so dass ich mit einer Anlandung an Kap Hoorn nicht rechnete. Wie erstaunt war ich, als wir dennoch die Lotsen an Bord nahmen. So viel Hoffnung muss sein. Als der Anker heruntergelassen wurde, wuchs diese weiter an. Und als die ersten Boote der englischsprachigen Passagiere rausgingen, war es nun endlich gewiss. Es gibt eine Anlandung. Nur ob der Zeitkorridor reichen würde, bis wir, die Gruppe der Magellanic Penguins dran wäre, war unklar. Natürlich steigt sie die Spannung, als wir auf Deck 3 warten, weil nach dem Aufruf unserer Gruppe erst einmal nur noch Boote ankommen, aber keine mehr rausgehen. Das Wasser schwappt und spritzt bei jedem Passagier, der vom Zodiac ins Schiff steigt. Immer wieder taucht das kleine Zodiac gefühlt 2 m ab, bis es wieder auf Höhe der Einstiegsstelle erscheint. Und dann ist es endlich soweit. Kurz vor 14 Uhr steigen wir in unser Zodiac. Unsere Expeditionsleiterin Tessa empfängt uns am gegenüberliegenden Ufer und gibt uns wie immer ein kurzes Briefing. Dann erkunden wir in 90 Minuten, an die wir uns dieses Mal mehr als sonst unbedingt halten sollen, einen Teil der Insel. Vor drei Wochen ist eine neue Familie in das Haus bei der Kapelle und dem Leuchtturm gezogen, sie wird ein Jahr bleiben. Unser Team hat Weihnachtsgeschenke und Weihnachtsspeisen in einer Kiste geladen, die es der Familie vorbeibringt. Man weiss nicht, ob und wann die nächste Anlandung stattfinden kann und vielleicht ist dann Weihnachten auch schon vorbei. Die Familie stempelt fleissig unsere Pässe und verkauft auch noch kleine Souvenirs. Eine kleine Treppe führt hinauf in den Leuchtturm, dessen verschmutzte Scheiben leider nur wenig vom schönen Rundumblick freigeben.

Kap Hoorn

Albatros-Denkmal auf Kap Hoorn

Albatrosse und die Seelen der toten Seemänner

Einen kurzen Fußmarsch entfernt über Holzplanken erreichbar befindet sich das Denkmal mit der Albatros-Silhouette. Dieses gedenkt den ertrunkenen Seemännern und der vergangenen Epoche der Segelschifffahrt. Es ist oft ein Albatros, der als steter Begleiter bei Reisen am 50. Breitengrad fungiert.  In ihm sollen die Seelen der Seemänner weiterleben. Das Monument ist so konstruiert, dass es Windgeschwindigkeiten von 200 km/h aushält, dennoch ist das Denkmal schon einmal umgeknickt. Früher war auch das alte Haus der Familie an Drahtseilen befestigt. Bei manch einem Sturm hob sich das gesamte Haus. Fenster mussten immer abgedichtet werden. Und tatsächlich fliegt die Kapuze permanent runter und es ist, als ob man gegen einen Stein läuft. Doch die Frische des Windes unter dem locker bewölkten Himmel ist wohltuend. Vögel kreisen über meinem Kopf hinweg. Sich ohne Flügelschlag zu bewegen, nur im Wind treiben zu lassen – wie viele Albatrosse haben meine Reise in den letzten Tagen begleitet. Welche Geschichte könnten diese Seemänner wohl erzählen? Einen Moment setze ich mich nieder und genieße den Blick in die Luft und dann gen Süden, wo ich herkomme. Irgendwo vom Ende der Welt.

Auf einem Stein leuchten die Worte aus einem Gedicht von Sara Vial:
„Ich bin der Albatros, der am Ende der Welt auf dich wartet. Ich bin die vergessene Seele der toten Seeleute, die Kap Hoorn ansteuerten von allen Meeren der Erde. Aber sie sind nicht gestorben vom Toben der Wellen. Denn heute fliegen sie auf meinen Flügeln in die Ewigkeit.“

Kap Hoorn

Auf Kap Hoorn

Ich wurde von Hurtigruten zu dieser Recherchereise in die Antarktis eingeladen. Alle Ansichten sind meine eigenen.

PS: Verfolgen könnt Ihr die Reise auch auf den Social-Media-Kanälen unter
#hurtigruten &
#flaggesetzen und speziell
#allesaufa.
Das Abenteuer beginnt jetzt!

4 Kommentare

  1. Klingt sehr spannend, bin schon auf erste Eisbergfotos gespannt. Ich hoffe, die Tage auf See werden für euch recht kurzweilig.

    LG Myriam

  2. Danke, liebe Myriam. Ich freue mich auch schon auf viel Eis 😉 Noch gibt es viel zu tun und jeder Tag an Bord ist sehr aufregend. Man erfreut sich an so vielen kleinen Details.
    LG, Madlen

  3. Vor Kap Hoorn habe ich mächtig Bammel! Es ist ja eine berüchtigte Ecke für hohe Wellen und starke Winde. Ich habe mal Windstärke 10 über mehrere Stunden im Mittelmeer mitgemacht. Es war grauselig! Trotzdem würde mich eine Südamerikaumrundung mal reizen.

    Bin gespannt auf eure weiteren Eindrücke.

    Liebe Grüße
    Renate

    • Liebe Renate, leider kam der auffrischende Wind zur falschen Zeit – nämlich genau dann, als wir mit den Anlandungen starten wollten. Das war Pech, aber spiegelt die ungeschulte Realität der unwirtlichen Gegend am Fin del Mundo wider 😉 Immerhin scheinen wir aktuell aber noch sehr großes Glück mit der noch gefürchteteren Drake Passage zu haben, über die wir doch recht smooth gleiten, verglichen zu dem, was andere vor uns hier schon an Wellengang erlebt hatten.
      Liebe Grüße
      Madlen

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