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Nummer 21

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Heute ist Markttag in Silvia. Aber mein erneuter Fieberschub am gestrigen Abend lässt mich morgens noch nicht einmal daran denken, in den frühen Bus nach Silvia zu steigen. Stattdessen kämpfe ich mit meiner Gesundheit und den nervigen Hostelbewohnern, die morgens um 6 Uhr aufstehen, tausendmal die Küche und Bad aufsuchen, um dann um 7.30 Uhr abzureisen. Wie lange braucht man denn bitte schön, um sich fertig zu machen, und wie viele Rascheltüten hat man denn bitteschön im Gepäck? Vielleicht nervt mich das alles auch nur, weil ich in diesem dunklen Zimmer im Caracol liege, das ja sonst sehr nett ist, aber eben wie jedes Hostel hellhörig ist. Wir entschließen uns, für die letzte Nacht ins Hotel nebenan zu ziehen. Grandiose Idee. Ich soll ruhig schlafen und zu Kräften kommen und habe zudem endlich wieder mein eigenes Bad, das ich zuschei… kann.

Etwas gespenstisch ist der kleine Luxus dennoch – denn jedes der 21 Zimmer steht leer. Wir haben die Qual der Wahl. 21 geöffnete Zimmertüren und die Rezeptionistin will uns aus gutem Willen zum Nachtwächter gleich vorn ins erste einquartieren. Das gefällt uns gar nicht. Wir bitten um ein oberes Zimmer weiter hinten. Als ich auf der Toilette keine Klobrille entdecke für 70.000 Pesos, checke ich mal eben die anderen Zimmer. Ich will zwei weiter ziehen, aber nun hat die Dame ganz die Schnauze mit uns voll und gibt uns das hinterste, das am weitesten weg ist – Nummer 21.

Unser Blick schweift rüber auf den Morro del Tulcán und die Capilla de Belén. Ansonsten viele Dächer und Mauern. Ich schlafe gleich noch einmal auf dem Bett ein. Nun fühle ich mich besser und kann noch einmal in die Stadt. Viel gibt es hier jedoch nicht mehr zu sehen. Fast alles habe ich in irgendeinem Zustand bereits passiert. Der Parque Caldas ist der zentrale Ausgangspunkt, um den sich Banken, Regierungsgebäude, la Catedral und natürlich Juan Valdez drapieren. Letzteres suchen wir natürlich auch auf, und welch starke Abwehrkräfte muss ich mobilisieren, keinen Kaffee zu bestellen. Aber ich bin aktuell ausschließlich auf Haferschleim, Suppe und Kamillentee – naja – und manchmal noch einen Saft. Wir gehen auch noch einmal zu den Brücken Custodia und Humallidero, wo sich die einzigen Souvenirläden der ganzen Stadt in Form von Ständen befinden. San Agustin war da schon merklich weiter. Und als wir auf der Suche nach dem 3. Vegetarier sind, macht mich ein Polizist darauf aufmerksam, dass ich doch meine Kamera einpacken soll. Dabei fotografiere ich doch aber gerade munter. Polizei sieht man hier an jeder Straßenecke – meist in Doppelfunktion – Sicherheit und Straßenverkehrsregulierung.

Am Abend ist auf dem Caldas eine kleine improvisierte Bühne aufgebaut, auf der ein Konzert gegeben wird. Wir lauschen nur kurz. Dann gehen wir in eine der Kneipen noch etwas essen und dann ins Hotel. Den Morro de Tulcan wollten wir auch noch besteigen, doch am Fuße angekommen, saßen schon spooky Personen da, dass wir den Rückzug antraten.

Der Plan ging vorerst auf, ich schlief gut ein – bis um ca. 3 Uhr nachts knallende Geräusche durch die Straßen hallen. Ich vernehme sie durchaus, doch versuche mich weiter in den Schlaf zu wiegen. Irgendwie klingt es doch auch nur wie die nächtlichen Geräusche in San Agustin. Lars wird zunehmend nervöser und hier gibt es wohl einen eindeutigen Unterschied zwischen mir und ihm. Aus dem Auge eines Verschlingers von Drogenkartellfilmen und –romanen kann man zur späten Stund im Zentrum des Drogenhandels wohl nicht anders, als die Geräusche in die medial geprägten Bilder einzupassen. Was gestern noch Medellin und Cali waren, ist heute Popayan. Da draußen sind Banden und die bekriegen sich. Und wir hören Schuss für Schuss, die sich zu einem wahren Schusswechsel zusammenfügen. Mal ist dieser ganz nah, gleich um die Ecke, dann wieder entfernter. Der Hall dieser Schüsse ist eindeutig indentifizierbar. Madlen, das kann nichts anderes sein. Irgendwann hat er mich tatsächlich ganz kirre gemacht und die 70.000 Pesos sind nicht mehr ihren Preis wert. Denn ich wollte Ruhe und nun bekomme ich eine schlaflose Nacht. Und jetzt geht das Problem erst so richtig los. Warum müssen wir auch in einem einsamen Hotel schlafen. Im Hostel würde sich Lars sicherer fühlen, aber hier kommt doch jeder rein … Und wie könnte ich nur annähernd zweifeln, dass das keine Waffen sind. Ich muss das ganze richtig einordnen, ich bin nicht wortwörtlich auf Mallorca! Nö, das habe ich auch schon gemerkt. Hat zwar den Ballermann, aber geballert wird dort wohl nicht so viel wie in Popayan. Zwischen 4 und 5 Uhr verstummen die vermeintlichen Schüsse, aber Schlaf finde ich dennoch nicht. Der Gang zum Klo wird von einem geduckten Lars vollzogen. Wir sind im Krieg und der Feind darf auch nicht unsere Schatten finden. Ab 5 Uhr, ich freue mich schon auf das Tageslicht, erschallen erneut die Schüsse. Wieder in der Nähe, dann entfernter. Ich zähle die Sekunden bis 6 Uhr runter, als wäre dies der endgültige Befreiungsschlag. Und punkt 6 Uhr ist Ruhe. Nur der Verkehrslärm nimmt zu. Total fertig schleppe ich mich zu Juan Valdez, um meinen Kamillentee zu trinken.

Zurück im Hotel fragen wir die Rezeptionistin, die nicht die Nachtschicht geschoben hat, welche Geräusche uns heute Nacht belästigten. Polvería – Feuerwerkskörper wegen Weihnachten, antwortete sie. Ich hake noch einmal nach, ob es nicht Schüsse gewesen sein können. Sie lacht sich kaputt. Die Saubermachfrauen fragen neugierig nach und lachen ebenso lautstark, als sie ihnen etwas von Schüssen erzählt. In Berlin macht sich kein Feuerwerkskörper verdächtig, aber hier im richtigen Setting wirkt’s.

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