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Nordkorea Diary – Im Myohyang-Gebirge

Myohyang-Gebirge

Eine zu Eis erstarrte Mittelgebirgslandschaft umgibt uns, als das Auto plötzlich hält. Song Guk, einer meiner beiden Guides, winkt mich nach draußen. Seine Kollegin Lim bleibt überraschend beim Fahrer im Auto zurück. Hier gilt kein Vier-Augen-Prinzip mehr. Vor uns liegen große Kasernenanlagen. Schreie tönen über das Gemäuer. Bilder fügen sich allein aus den Geräuschen in meinem Kopf zusammen.

Eine ungewöhnliche Wanderung im Myohyang-Gebirge

Irritiert frage ich Song Guk, ob wir hier jetzt wandern wollen. Er nickt und marschiert schon schnellen Schrittes davon. Ich stolpere auf den gefrorenen Wegen, die nicht gestreut sind, hinter ihm her. Frostiger und grauer könnte eine Landschaft nicht wirken, ihr Antlitz von Eis überzogen, meine Wahrnehmung von der Starre in meinen Adern geprägt. Das Blut schießt mir in den Kopf, verliere immer wieder den Halt auf den spiegelglatten Wegen, klare Gedanken habe ich längst verloren.

Als wir uns der Kaserne nähern, schießt mir nur noch ein „das war’s Madlen“ durch den Kopf. Hier kannst Du von der Bildfläche dieser Welt verschwinden und niemand bekommt es mit. Vielleicht war ich doch zu naiv, als ich dachte, meinen Blog könne ich verstecken – vor dem System. Anders kann ich mir diesen abstrusen Spaziergang der in seiner Surrealität nicht zu überbieten ist, nicht erklären.

Myohyang-Gebirge Myohyang-Gebirge

Song Guk wird wortkarg, eilt nicht zur Hilfe, als ich ausrutsche und falle. Das ungute Anfangsgefühl stellt sich wieder ein und damit auch mein Abwehrmechanismus, den ich immer in kritischen Situationen abrufe – Leute so zuquatschen, mich nur nicht unsichtbar machen. Doch meine Worte erreichen scheinbar längst nicht mehr den Empfänger. Song Guk ignoriert sie und entfernt sich immer mehr. Weitere Kasernengebäude lassen wir links liegen, dann verhallen die Schreie immer mehr im Wald bis schließlich Stille einkehrt und das Hämmern des Spechts die einzige Geräuschkulisse ist. Ich lasse Song Guk davonziehen, halte inne, lausche dem Rauschen des Baches, an dem wir von nun an entlangwandern.

Der Weg wird steiler und glatter. Jetzt, da ich entspannen könnte, verspannt sich mein Körper komplett – nur nicht fallen. Und zugleich durchzieht mich ein Schamgefühl, ertappt, noch immer vertraue ich meinen Guides nicht.

Ich bin im Myohyang-Gebirge, man nennt es auch als Gebirge der geheimnisvollen Düfte. Hier befindet sich auch mit dem Piro-bong der zweithöchste Gipfel des Landes. Ein kleines rotes Blockhaus leuchtet am Wegesrand, in dem normalerweise die Parkgebühr kassiert wird. Doch in dieser Jahreszeit gibt es keinen Grund, sich in dem verlassenen Wald den Hintern täglich einfrieren zu lassen, denn auf so eine seltsame Idee wie wir, auf Eis zu wandern, kommt keiner. Ab März oder April würde man die Wege auch streuen und das Eis entfernen, entschuldigt sich Song Guk, der endlich einhält und das Gespräch sucht. Im Sommer werden die Wälder voll mit Wanderern sein, das Gebirge gilt unter Nordkoreanern als Erholungsgebiet und auch Kinderferienlager findet man in der Nähe.

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Myohyang-Gebirge Myohyang-Gebirge

High Class für mich allein – eine Nacht im Hyangsan Hotel

Noch vor der Dunkelheit erreichen wir mit einer kurzen Autofahrt entlang des teilweise zugefrorenen Myohyang-Flusses das Hyangsan Hotel, wahrscheinlich eines der besten Hotels im Lande. Mit seiner pyramidenförmigen Beton- und Glaskonstruktion will sich der monströse 80er Jahre Bau nicht so ganz in die bergige Landschaft einfügen. Lim und Son Guk verabschieden sich an der Rezeption von mir. Um 19 Uhr gäbe es im Restaurant Abendessen – sie selbst müssten woanders speisen. Ich bin einziger Gast in diesem 15-stöckigen Hotel mit seinen 190 Zimmern. Mehrere Speisesäle, ein Drehrestaurant, ein Saal für Karaoke, ein Fitnessraum, ein Schwimmbad, einen Schönheitssalon und Massageraum… alles betrieben, um in diesem Moment einen Gast zu bedienen – mich. Lim lässt durchblicken, dass nach dieser Neujahrszeit wohl auch streckenweise gar keine Gäste mehr hier nächtigen.

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Neugierig laufe ich durch die Gänge, rausgehen darf ich nicht. Gefangen im Luxushotel in den Bergen. Ich frage, ob ich in das Schwimmbecken springen kann. Die Tür ist verschlossen, also winke ich sofort ab, will die Energiekosten nicht unnötig strapazieren. Aber nun gibt es kein zurück. Der Gast will schwimmen und saunieren, also wird schnell die Mitarbeiterin gerufen, die den Sportbereich betreibt. Licht an, Sprudel an, Sauna an… denn der internationale Gast zahlt. Ich liebe einsame Orte, doch in dem Moment fühle ich mich tatsächlich komplett verlassen, deplatziert, ausgeliefert. Ich gönne meinem Körper nach Tagen endlich wieder etwas Sport. Ziehe meine Bahnen, schwitze in der Sauna und versuche meine Gedanken dabei zu sortieren.

Der Besuch im Restaurant später ist nicht minder skurril. Runde Banketttische festlich eingedeckt mit Einzelbetreuung. Inzwischen sind zwei weitere Gäste angereist, die am Nachbartisch Platz genommen haben und unter der Beobachtung ihrer persönlichen Servicekraft stehen. Ein wenig atme ich doch auf. Auch ich werde von einer Kellnerin betreut, die ihr Englisch auf sympathische Weise während des gesamten Essen praktizieren möchte. Dabei versteht sie meine Fragen nie, aber freut sich über meine Antworten.

Internationale Freundschaftsausstellung Internationale Freundschaftsausstellung Internationale Freundschaftsausstellung

Nordkoreanische Freundschaften – zu Besuch in der Internationalen Freundschaftsausstellung

Nicht weit vom Hotel entfernt liegt eine besonders ungewöhnliche Sehenswürdigkeit, in der leider ein striktes Fotografierverbot herrscht. Zwei wie Tempel anmutende riesige Gebäude aus Marmor beherbergen die Internationale Freundschaftsausstellung. Für drei Stunden verschwinden wir hinter der gewaltigen Schiebetür, die ich ehrenvoll mit übergestülpten Handschuhen öffnen darf. Mehrere Tonnen schwer ist dieses güldene Prachtstück, dass von bewaffneten Soldaten bewacht wird. Das Hauptgebäude, das die meisten Touristen besuchen, beherbergt die Staatsgeschenke für Kim Il-sung und Kim Jong-un. Die Geschenke für Kim Jong-il befinden sich im zweiten Gebäude.

Es geht durch Metalldetektoren, dann muss ich Kamera, Handy, Uhr, Tasche, Jacke, Schal abgeben. Wir passieren ein Labyrinth von Marmorfluren, begleitet von Symphonien, die Kim Il Sung selbst komponiert hat. Eine Verbeugung vor Kim Il-sung, dann verschwinden wir auch schon in den Räumen, die Staatsgeschenke wie präparierte Bärenköpfe von russischen Oligarchen, ein ausgestopftes Krokodil von den Sandinisten, ein Sturmgewehr von Fidel Castro, ein Aschenbecher von Jimmy Carter, Stalins gepanzerte Limousine und viel Geschirr aus Osteuropa hinter Vitrinenglas aufreihen.

Am Ende treten wir auf den Balkon. Selten strahlte der Himmel über Nordkorea so blau, wie an diesem Tag. Mein Blick schweift durch das Tal, durch das die Sonne ihre Strahlen schickt und mich blendet. Was hinter mir in den zahlreichen Räumen liegt, ist bereits nur noch eine flüchtige Erinnerung dieses Morgens. Ein Beweis der Anerkennung, Trophäen zur Vergewisserung der eigenen Akzeptanz und zugleich eine Sammlung der Blendung. Warum findet man diese Sammlung nicht in Pjöngjang, frage ich Song Guk, der mir meine Jacke und meine Kamera von der Garderobe gebracht hat. „Hier sei der Mittelpunkt des Landes“, entgegnet er knapp, als sei das ein überzeugendes Argument. Ich rühre in meiner Kaffeetasse und entscheide mich, keine weitere Frage zu stellen.

Pohyon-Tempel Pohyon-Tempel Pohyon-Tempel

Zu Gast im größten buddhistischen Tempel Nordkoreas, dem Pohyon-Tempel

Wie gut die frische Winterluft nach diesem Morgen tut, merke ich, als ich über das Gelände des Pohyon-Tempels streife, das sich nicht weit von der Freundschaftsausstellung befindet. Lim bleibt erneut im Auto zurück, Song Guk ist in ein Gespräch mit der lokalen Führerin vertieft, als ich aus ihrer Sichtweite verschwinde. So muss sich Freiheit im Kleinen anfühlen. Unbeobachtet bewege ich mich zwischen Buddhafiguren, stapfe von Gebäude zu Gebäude durch den Schnee, zünde mit Wünschen im Kopf Räucherstäbchen an. Wer an Nordkorea denkt, hat vor allem die monumentale Architektur vor Augen, Tempelanlagen kommen in der Imagination nur selten vor. Dabei schauen diese auf eine lange Geschichte zurück – 1042 wurde die größte buddhistische Tempelanlage Nordkoreas gebaut, später Teile zerstört und restauriert. Dieser Ort verkörpert  bis heute die nationale Baukunst Koreas inmitten einer wunderschönen Landschaft und setzt einen Kontrast zu den uninspirierten, funktionalen Hochhäusern.

Revolutionäre Stätte Revolutionäre Stätte Revolutionäre Stätte

Eine Universität im Wald

Auf dem Rückweg nach Pjöngjang passieren wir die Satellitenstadt Pyongsong. Nur knapp eine Stunde von der nordkoreanischen Hauptstadt entfernt gilt sie als Wirtschaft- und Wissenschaftszentrum. Eine Stadt, die wohl für die Bevölkerung einfacher zugänglich ist, als Pjöngjang. Doch für Touristen wurde sie erst 2011 geöffnet. Was den ausländischen Besuchern hier gezeigt werden könnte, erschließt sich mir ohnehin nicht. Es ist eine graue Stadt, die aber vor geschäftigen Menschen wimmelt. Der zugefrorene Fluss wird von den üblichen pastellfarbenen Häuserfassaden umringt. Als ich Song Guk frage, ob ich einmal an den Taedong-gang treten könne, ernte ich einen fragenden Blick. Warum will ich an den zugefrorenen Fluss gehen? Wegen der Fotos. Schnell checkt er, ob er etwas übersehen hat, dann laufen wir konspirativ an diesen Fluss, bevor wir im nahegelegenen Hotel Jangsusan  zum Mittagessen verschwinden. Tatsächlich freue ich mich auf eine Aufwärmphase, doch werde schnell enttäuscht. Das Restaurant gleicht einem Eiskeller. 10 Grad zeigt das Thermometer an. Es gab bis eben Stromausfall, wird man sich bei mir entschuldigen und dazu einen Tee reichen. In Winterjacke mit Schal und Mütze speisen wir, während sich der Kellner im leeren Gastraum über unseren Besuch freut und uns schmackhafte Espressi zaubert, die er für meine nordkoreanische Begleitung mit Honig verfeinert. Eine „echte Kaffeemaschine“ stimmt mich trotz der eisigen Kälte fröhlich.

Im nahen Tal der Kastanien liegt bei Pyongsong die Revolutionäre Stätte Paeksongri. Von 1952 bis 1954 hatte man die Universität in Pjöngjang vor dem amerikanischen Bombardement schützen wollen und hierher verlegt. Eine Bronzestatue glänzt am Rande des Kiefernwaldes. Einfache Hütten liegen zwischen den Bäumen verstreut, in diesen hatten einst die Studenten geschlafen, gegessen, studiert. Und auch Kim Il-sung kam zu Besuch und über diesen berichtet die lokale Führerin inbrünstig. Wie er ein Gedicht vortrug, wie er fragte, ob er den Studenten mit irgendwelchen Wünschen helfen könne, und diese nach Zigaretten fragend die Antwort erhielten, Zigarettenvorräte seien vornehmlich für die Soldaten da. Überall, wo Kim Il-sung war, ist heute eine revolutionäre Stätte.

NordkoreaNordkorea

Es dämmert bereits, als wir auf der leeren Autobahn nach Pjöngjang fahren. Meine nordkoreanische Begleitung muss sich an diversen Checkpoints ausweisen, nach meinem Pass wird nie gefragt. Eselskarren, Passanten und Räder – im Grau der herannahenden Nacht lassen sich Menschen nur schwer ausmachen. Wie in einer Schattenwelt huschen dunkle Silhouetten vor uns über die Straße. Die Leere ist spürbar, wo das Leben selbst nur zur Ausstattung mutiert, wo Menschen wie Statisten wirken, die nur temporär in einer inszenierten Wirklichkeit die Hauptrolle besetzen dürfen. Am letzten Tag nehme ich wahr, dass meine komplette Bandbreite an Emotionen runtergedimmt ist auf das Nötigste. Ich bin des Fragens müde. Auch Song Guk und Lim schließen ihre Augen, genießen sichtlich die Ruhe, die den Innenraum des Autos einnimmt.

Ich frage mich, wie lange benötigt es, sich so anzupassen, dass man diese Wirklichkeit nicht mehr (mit)spielt, sondern lebt. Die mir präsentierten Menschen wirken wie Marionetten in einem Puppentheater. Der Strippenzieher ist überall präsent und doch auch unsichtbar. Ich fühle mich wie ein Gast einer achttägigen Aufführung. Nur die Emotionen werden nicht bedient… Es bleibt im Dunkeln, ob es Angst, Glaube oder Gehorsam ist, was das nordkoreanische Volk empfindet. Zwischen mir und der Bevölkerung bleibt ein Vakuum, das jede menschliche Regung fortsaugt, bevor sie mich erreicht.. Selten habe ich auf Reisen so wenige lächelnde Menschen erlebt. Hier ist kein Platz für Gefühle. Wer nach Nordkorea reist, muss selbst die Grenze finden, die die Wahrheit von der Inszenierung trennt.

Zum Teil 1: Nordkorea Diary – Pjöngjang, eine Insel
Zum Teil 2: Nordkorea Diary – Pjöngjang zum Jahreswechsel, Juche 109

 

Dieser Beitrag ist Teil 3 zu meiner privaten achttägigen Reise nach Nordkorea zum Jahreswechsel 2019/20. Ich versuche das zu beschreiben, was ich sah und fühlte. Eine politische Bewertung nehme ich nicht explizit vor. 

3 Kommentare

    • Danke Philipp. Leer – auf eine traurige Art und Weise. Und selbst mit Menschen wären die Fotos nicht minder traurig, weil ihnen die Lebhaftigkeit fehlt.

  1. Wow, super spannend, vielen Dank für den Beitrag. Reisen nach Nordkorea gehören wohl zu den letzten großen – schwer erreichbaren – Abenteuern unserer Zeit. Ich hoffe dieses ungewöhnliche Land auch irgendwann mal bereisen zu können.
    Viele Grüße!
    Olivia

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