Durch meine verklebten Lider erblicke ich schemenhaft eine Frau in einer modischen hellblauen Tunika. Sie trägt ein lässig übergeschwungenes Kopftuch. Erschrocken schaue ich auf den Bildschirm, dort steht vor dem kleinen Flieger das Wort „Teheran“. Ich muss eingenickt sein, denke ich mir. Hinter der Fensterscheibe schiebt sich am Horizont ein oranger Streifen in den nächtlichen Himmel. Aus der lockeren Wolkenschicht ragen Gipfel heraus. Mein Flieger befindet sich kurz darauf im Landeanflug. Die monotone beige-braune Fläche unter mir nimmt Gestalt an. Das Undefinierbare wird zur Wüstenlandschaft, wird zu einem Land – Iran.
Ankunft in Teheran
Und dann bin ich da. Die Uhrzeiger werden schnell um 2,5 Stunden nach vorn gedreht, so dass die Dämmerung auch einen Sinn ergibt. Ich bin die Erste, die aufgrund ihres Premium Economy Platzes von Bord der Germania-Maschine geht.
Auf meinem Weg zur Visastelle ruft mir eine junge Dame von einer Versicherungsfirma zu, ob ich versichert sei. Ich nicke hastig. Doch sie bleibt hartnäckig, hakt nach, es geht um eine Reise- und nicht um eine Krankenversicherung. Nun hat sie mich. Nach einer durchgemachten Nacht könnte man mir wohl alles verkaufen, denke ich mir. So willenlos fülle ich ihren Zettel aus, den ich noch nicht einmal lese, und zahle 14 EUR.
Dann geht’s geschwind zur Visastelle. Vier andere deutsche Individualreisende haben sich hier neben mir eingefunden. Wir werden zum Bankschalter geschickt, wo wir jeweils 75 EUR zahlen. Der freundliche junge Mann verschwindet mit unseren Pässen hinter der Glasscheibe und ca. 20-30 Minuten später ruft er uns nacheinander auf. Zunächst winkt er mich heran, nur um dann festzustellen, dass uns Frauen die Kopftücher zu einer verwechselbaren Einheitsmasse machen. Schließlich bin ich die Letzte von unserem Flieger, deren Pass gestempelt wird.
Da es ohnehin noch früh ist, habe ich es nicht eilig. Und so suche zunächst erst einmal den Stand von IranCell für eine SIM-Karte auf. Der junge Mann, der mir ungefragt den Weg weist, weicht mir nun nicht mehr von der Seite. Auch als ich mich immer wieder bedanke und betone, alleine zurecht zu kommen. Als ich dann meine SIM-Karte habe, wechsele ich ins obere Stockwerk für den Geldtausch. Nun gesellt sich abwechselnd noch ein weiterer Typ zu mir. Was ich normalerweise als übliches nerviges Ritual von Taxifahrern an Flughäfen der Welt ansehe, wirkt hier gleich etwas suspekter auf mich. Was, wenn diese Männer mich bewusst beobachten?
Als er merkt, dass ich ihm nach dem Geldtausch davoneile, sage ich in meinem arg übermüdeten Zustand, ich möchte jetzt gern einfach mal allein aufs Klo – diese direkte Ansage wirkt. Mit einem mehrfachen „Sorry“ und „You can trust me“ verabschiedet er sich. Nun suche ich tatsächlich erst einmal die Toilette auf und werde von einer Frau immer wieder aus der Kabine zum Waschbecken geleitet. So ganz will ich das Prozedere nun auch nicht verstehen. Händewaschen vor dem Essen und nach dem Toilettengang sind klar, aber warum darf ich nicht ohne den Gang ans Waschbecken aufs Klo?
Irgendwann kommt eine andere Dame zur Hilfe, die meint, ich solle doch nur meinen Rucksack hier stehen lassen. „Relax!“ Gibt sie mir noch mit auf den Weg. Vielleicht steht mir die Anspannung ins Gesicht geschrieben, ich nenne es komplette Reizbarkeit in Folge von Übermüdung. Dann suche ich den Taxistand auf. Mein gebuchtes Hostel ist eine Herausforderung und den Namen des Taxifahrers, den mir der Typ bei der Buchung mitteilte, kennt hier auch niemand. Inzwischen bin ich gänzlich in eine Blase abgetaucht, aus der ich die nächsten Stunden nicht richtig rauskommen mag.
Die ersten Stunden in Teheran
Normalerweise sind es die ersten Stunden in einer neuen Stadt, die ich besonders wissbegierig aufsauge, um sie dann wie ein Puzzle zu ordnen. Doch heute will ich nichts so richtig fühlen. Vielleicht ist aber auch alles zu überraschend normal. Wären da nicht die schwarzen, wehenden Flaggen am Straßenrand mit für mich nicht lesbaren Schriftzügen oder die übergroßen Plakate mit dem Konterfei von Ajatollah Khomeini und Ajatollah Chamenei, könnte diese Autobahn überall sein.
Als mein Taxifahrer die Scheibe öffnet, ziehen die Abgase hinein, die mir das Atmen erschweren. Es ist Herbst. In dieser Jahreszeit legt sich dicker Smog über Teheran und das merkt auch meine Lunge. Im Hostel werde ich mit der Botschaft begrüßt, dass in 20 Minuten mein Zimmer bezugsbereit sei – und das um 9 Uhr morgens. Und als der nette Rezeptionist meint, ich solle doch Frühstücken, das ist FREE, kehren für einen Moment noch einmal die Gefühle zurück, bis ich meinem Körper und Geist im Bett etwas Ruhe gönne. Doch das Vorhaben, Ruhe zu tanken, scheitert. Durch die dünnen Fensterscheiben dringt Lärm vom geschäftigen Treiben auf der Straße in mein Zimmer. Es ist kurz vor 11 Uhr, als es mich hinauszieht. Und da der Rezeptionist nach meinem Erwachen nicht mehr ganz so nett ist und keinen Bock mehr hat, sich um die versprochene Buchung meines Zugtickets zu kümmern, schickt er mich mit der U-Bahn zum Bahnhof. Es sei ganz easy. Wäre da nur nicht die Müdigkeit und mehr Geduld in meinen Gliedern.
Die Metro-Odyssee durch Teheran
Der Rezeptionist scheint selbst schon länger nicht mehr diese Strecke gefahren zu sein, sonst wüsste er von der Odyssee, die man hier als ungeduldiger Mensch erleidet. Von der Mellat-Station, die an der dunkelblauen Linie liegt, soll ich einfach auf die hellblaue Linie wechseln – und voilà schon bin ich da. Doch die beiden haben keinen Schnittpunkt, muss ich feststellen. Dort, wo sie sich laut Hostel-Rezeptionist kreuzen sollen, steige ich trotzdem aus, um mal nachzusehen. Doch der Plan der Metro, nicht der des Hostels, hat leider recht. Ich warte eine Ewigkeit, bis die nächste Bahn der dunkelblauen Linie wieder kommt, dann steige ich in die lila-Linie um. Doch auf diese muss ich ganze 40 Minuten warten. Was ist das denn für eine U-Bahn? Während alle auf ihren Handys daddeln – Chatten oder Instagram bedienen, werde ich schon nach zehn Minuten sichtlich nervöser. Ich bin müde, brauche ein Bahnticket für morgen und die Sehenswürdigkeiten Teherans schaffe ich heute auch nicht mehr.
Als die Metro einfährt, finde ich endlich wieder innere Ruhe. Meine Sitznachbarin pendelt auch sofort mit mir an. Woher ich sei, was ich hier mache und ob ich Familie hätte. Tough Woman – weiß sie zu kommentieren, als ich meine, ich reise gern und oft allein. Bei der Frage nach Familie zögere ich kurz, der ganze „Women only“-Waggon hört schließlich gespannt mit. Dann denke ich mir, was soll’s. Trage ja auch nicht diesen Fake-Ring an der Hand, wogegen ich mich schon immer gesträubt habe. Single-Frau, aber mit Familie, wenn Mama, Papa und Schwester zählen, schmunzele ich entgegen. Sie freut sich und sagt, sie sei auch Single. Na denn, alles richtig gemacht!
Und gerade als ich innerlich so langsam in Teheran ankomme und mich ins das Gespräch vertiefe, sehe ich an uns Haltestellen vorbeiziehen, die die Bahn einfach ignoriert. Ich ahne Schreckliches und werde kurz darauf bestätigt. Meine letzte Umsteigestation, um den Bahnhof zu erreichen, wird auch mal eben durchfahren.
Schon gesellt sich ein Herr zu uns und erklärt mir den sternförmigen Aufbau des U-Bahn-Netzes Teherans. Sehr schön, denke ich mir, wieder etwas für meine Kategorie „Mann erklärt Frau die Welt.“ Ein weiterer Student stellt sich zu uns und versucht mir ebenso zu helfen. Die Männer übernehmen nun mehr und mehr das Ruder und meinen, es sei ohnehin am besten und schnellstens, das Zugticket online zu buchen. Natürlich werden auch gleich Nummern und E-Mail-Adressen getauscht. Ein Kontakt in Deutschland kann ja nie schaden.
Im Strom – auf einem der größten Basare der Welt
Ich kann nicht erklären weshalb, aber mich zieht es nicht mehr zum Bahnhof, obwohl ich mich nun nur noch in ein Taxi setzen bräuchte. Das möchte ich aber nicht. Trotzig fahre ich mit der roten Linie zwei Stationen gen Norden zum Basar. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, denn ein orientalischer Basar ist so ziemlich das Letzte, was mein Gemütszustand gerade noch braucht. Ich werde getrieben und geschoben – laufe immer im Strom. Es ist voll, es ist laut, ich gehe im Strom der Masse – werde Teil von ihnen. Und plötzlich bin ich da, angekommen.
Erst zieren Teppiche und Kristall- und Goldwaren die Stände, dann bin ich in der Technikabteilung des Basars, um mich später in der Textilabteilung wiederzufinden, speziell auf der BH-Meile. Mit Spitze und Farben kann man die Iranerinnen sehr gut für das Drunter begeistern. Wer sagt auch, dass sich iranische Frauen nur wegen Tschador und Co. darunter nicht in Schale schmeißen sollen?
Ein Nussverkäufer winkt mich heran und meint: „Take Photos“. Bin ich zunächst zögerlich, was das Fotografieren betrifft, hole ich nun doch meine Kamera heraus.
Ruhige Stunden im Palast des Rosengartens
Dennoch dürstet es mich nach einer Weile nach etwas Ruhe , die ich im Golestan-Palast finde. In seinem großen Garten räkeln sich Katzen und zanken Krähen. Nur ein paar Touristen spazieren verteilt auf den Wegen. Der im 18./19. Jahrhundert erbaute Regierungspalast der Kadscharen heißt übersetzt auch „Palast der Blumen“ oder „Palast des Rosengartens“ und ist seit 2013 Weltkulturerbe der UNESCO. Nicht nur die kunstvollen Fliesenmosaiken der Außenfassaden, die Jagdszenen, bunte Vögel und Blumenmuster zeigen, sind ein optisches Highlight. Auch die opulent gestalteten Innenräume mit vielen Verspiegelungen und Verzierungen verzaubern. Der Golestan-Palast war bis zur Errichtung der Islamischen Republik offizieller Sitz des persischen Monarchen. Hier wurden 1925 Reza Khan und 1967 sein Sohn Mohammad Reza Pahlavi zum Schah von Persien gekrönt.
Das Palastgelände mit seinen 17 Gebäuden und Hallen ist ausschweifend, man muss sich an der Kasse bereits entscheiden, was man besuchen möchte. Für jedes Teilgebäude gibt es separate Eintrittskarten. Man kann auch eine Sammelkarte für den gesamten Komplex erwerben, doch so viel Zeit bleibt mir nicht.
Kaum bin ich drin, kommt auch schon ein Mann auf mich zu, und lädt mich auf ein Gespräch in deutscher Sprache ein, dem ich folge. Und so verlieren sich in Teheran immer wieder meine Gedanken und Wege. Nicht die Sehenswürdigkeiten selbst sind das Ziel, sondern ein Stück weit auch die Begegnungen, die Menschen.
Lost in Teheran
Und so kommt es, dass ich mich auf meinem Rückweg zum Hostel in den kleinen Gassen verliere. Mopeds mit Sichtschild knattern eng an mir vorbei. Männer schieben Karren mit allerlei Waren durch die Häuserschluchten. Ich laufe intuitiv und verlaufe mich. Irgendwann komme ich nicht mehr weiter, Straßenschilder werden rar und ich kann sie nicht lesen – und so spreche ich einen Polizisten an. Dieser ist aber weniger hilfreich und schickt mich in zwei Richtungen.
Dann mischt sich eine junge Lady ein und nimmt mich fast an die Hand. Ich habe den Eindruck, sie kennt auch nicht so recht den Weg, aber versucht dies zu kaschieren. „It’s a man’s world“ – meint sie plötzlich zu mir, als wir die Straße entlanglaufen, die nur noch aus Geschäften mit Auto- und Handwerksteilen besteht. In den Straßen sehe ich tatsächlich nur noch Männer, was etwas ungewöhnlich ist. „Du brauchst keine Angst haben“, ergänzt sie noch. Ich muss etwas lachen. Nein, ich habe keine Angst vor Männern, aber auffällig ist das Straßenbild schon. Als ich in einer Seitenstraße mein Hostel entdecke, fällt mir trotzdem ein Stein vom Herzen.
Von Moscheen und Palästen
Am nächsten Tag suche ich den nahen Masudieh-Palast auf, der auch aus der Zeit der Kadscharen-Dynastie herrührt. Ich bin die einzige Touristin an diesem Morgen. Während ich mit dem Kassierer über die englischen Ziffern streite, die er immer wieder falsch ausspricht, merke ich, wie aussichtslos das doch ist und gebe auf. Ich spaziere durch die Gartenanlage und werde gleich vom Gärtner herangewunken, der mich gern vor einer floral gestalteten Wand fotografieren möchte.
Nicht weit vom Palast befindet sich der Baharestan-Platz. Durch die Häuserschluchten habe ich bereits die prunkvolle Kuppel der Shahid-Motahari-Moschee erblickt. Gern möchte ich die Moschee von Nahem sehen, doch zwischen mir und der Moschee liegen noch 6 Spuren mit wahnsinnigem Verkehr. Ich schaffe es immer nur bis zur zweiten Spur, auf der ich kapituliere. Meine gescheiterten Versuche der Straßenüberquerung scheinen nicht unbeobachtet geblieben zu sein. Ein Einheimischer schnappt mich und leitet mich schließlich über die Straße. Die umstehenden Männer müssen lachen und auch ist stimme in das Gelächter eine. Noch immer scheine ich komplett mit Teheran überfordert zu sein. Selten habe ich mich so hilflos gefühlt, um im nächsten Moment immer wieder aufgefangen zu werden.
Kopf, Glieder, Geist dürsten erst einmal nach Ruhe, nach einem Ort ohne Lärm, ohne Smog, mit freier Sicht, einem Ort zum Ankommen. Und so bin ich voller Vorfreude, als ich am frühen Nachmittag in den gelben Wagen mit dem Schild „Tehran Taxi“ zum Bahnhof steige. Teheran werde ich am Ende meiner Reise wiedersehen – jetzt lasse ich Hänge des Elburz-Gebirges hinter mir und es geht in die Wüste.
Die Reise wurde unterstützt vom der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH und Germania.